Das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) stößt nicht überall auf Gegenliebe. Während sich viele Verbraucherschützer positiv äußern, stöhnen die Makler über die umfassenden Informations- und Dokumentationspflichten. all4finance.de (a4f) hat Rechtsanwalt Dr. Ulf Solheid gefragt, wo Lücken bestehen und wie es wirklich um die Vor- und Nachteile für den Verbraucher aussieht.
a4f: Ist das neue Gesetz tatsächlich so verbraucherfreundlich oder eher eine Mogelpackung?
Die Einführung des Antragsmodells kumuliert mit der VVG-Informationspflichtenverordnung und den Informationsvorschriften der Versicherungsvermittlerrichtlinie vom Mai 2007. Bevor der Makler überhaupt zur Beratung über das Versicherungsprodukt kommt, hat er seine Statuserklärungen abzugeben und das Bouquet der Versicherungsunternehmen und der jeweils ausgesuchten Versicherungsprodukte darzulegen. Das führt zu einer Überfrachtung der Versicherungskunden mit Informationsmaterialien.
Der Verbraucher, der die Marktanbieter, aber deren Solvabilität und Servicequalität nicht kennt, kann die vielen Informationen nur zur Kenntnis nehmen, ohne sie wirklich werten zu können. Kunde und Makler werden also eher abgelenkt, als dass sie sich auf das geeignete Produkt konzentrieren können.
a4f: Bitte geben Sie uns einige Beispiele, warum das VVG auch Nachteile für Verbraucher hat.
Beispiele für Verbrauchernachteile finden sich auf den verschiedensten Ebenen des neuen Gesetzes. Grobe Fahrlässigkeit bei der Herbeiführung des Versicherungsfalles (§ 81 VVG-2008) "führt zur Leistungskürzung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis". Eine Leistungskürzung durch die Versicherer erfolgt auch bei der Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit (§ 28 VVG-2008), etwa bei unstimmiger Deklaration von Vorkrankheiten, bei nicht (rechtzeitig) mitgeteilten Gefahrerhöhungen (§ 26 Abs. 1 VVG-2008) oder bei Verstößen gegen die Schadenminderungspflicht (§ 82 VVG-2008) sowie bei Rechtsbeeinträchtigungen beim Übergang von Ersatzansprüchen (§ 86 Abs. 2 VVG-2008).
Es ist vorherzusehen, dass Prozesswellen auf die Gerichte zukommen werden, mit der Streitfrage, wann welches Verhalten einer versicherten Person bei der Herbeiführung des Versicherungsfalles als grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 81 VVG-2008 einzustufen ist und wonach die Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers gemessen werden soll, die den Versicherer berechtigt, eine „Leistungskürzung“ vorzunehmen.
Durch diese Öffnungsklausel wurde ein Kürzungsmechanismus installiert, der das Versicherungsprinzip aushöhlt, indem er zu einem unvorhersehbaren Selbstbehalt der Versicherten führt. Dieser kann, selbst bei prozentual eher moderaten Kürzungsquoten, zum wirtschaftlichen Ruin ganzer Familien und zur Insolvenz des Versicherungsnehmers führen.
Im Falle eines verschuldeten Verkehrsunfalls mit Personenschäden oder auch nur Blechschäden von teuren oder mehreren Pkw, kann eine "nur zehnprozentige" Kürzungsquote einen Selbstbehalt von zehntausenden oder hunderttausenden Euro bedeuten.
Als Beispiel sei auf den bisher ohne Kürzungen versicherten Schaden beim Überfahren einer roten Ampel, das so genannte Sekundenversagen, verwiesen. Hier ist in Zukunft mit sensiblen Verminderungen der Versicherungsleistung zu rechnen. Es ist von 50 Prozent die Rede. Überfährt der Fahrer ein Stoppschild, rechnet man mit einer Kürzung um 25 Prozent. Bei Übermüdung, dem Sekundenschlaf, werden Kürzungen um 75 Prozent vorhergesagt und für Überholmanöver stehen 50 Prozent im Raum.
Unerfreulich ist, dass der Gesetzgeber kein Kriterium vorgegeben hat, wonach sich die Schwere des Verschuldens zu bemessen hat. Hier sind für jeden Einzelfall ungeahnte Kürzungsargumente durch den Versicherer möglich. Der Verbraucher wird gar nicht einschätzen können, welche Kürzungsquote aufgrund welches Verschuldensgrades in seinem Einzelfall die richtige ist. Er wird auf die richterliche Entscheidung angewiesen sein, vorausgesetzt, er kann es sich wirtschaftlich erlauben, einen Rechtsstreit zu führen. Dies wiederum wird Auswirkungen auf die versicherungstechnischen Ergebnisse der Rechtsschutzversicherer haben. Es ist jetzt absehbar, dass sensible Prämienerhöhungen auf die Rechtschutzversicherten zukommen.
a4f: Wo liegen Ihrer Meinung nach die größten Nachteile für die Maklerschaft?
Da mit der Einführung des neuen VVG die Bedingungswerke umgestellt werden, kommt auf die Makler ein enormes Arbeitspensum zu, weil sie zu überprüfen haben, ob und inwieweit die neuen Vertragsbedingungen den Bedürfnissen der einzelnen Versicherungsnehmer noch gerecht werden. Erfahrungsgemäß werden die Versicherungsunternehmen Neuformulierungen in den Policen so vornehmen, dass im Zweifel weniger Deckung zugestanden wird. Die Produkte werden sich daher verteuern. Hier werden die Makler aufpassen müssen.
Weiter wird das Konfliktpotenzial der vorbezeichneten Leistungskürzungen beim Makler mit Sicherheit einen wesentlich höheren Argumentations- und Bearbeitungsaufwand veranlassen. Außerdem hat der Makler als Sachwalter bei seiner Beobachtungspflicht des Versicherungsbestandes nunmehr auch besonderes Augenmerk auf die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers zu legen, insbesondere bei erkennbaren Gefahrenerhöhungen, die unverzüglich dem Versicherer mitzuteilen sind. Sonst läuft der Versicherungsnehmer Gefahr, Leistungskürzungen ausgesetzt zu sein.
Der Makler ist mit dem neuen VVG in erhöhtem Maße dem Risiko ausgesetzt, dass sein Kunde im Falle von Leistungskürzungen von ihm im Regresswege wegen unzulänglicher Wahrnehmung der Sachwalteraufgaben den Betrag verlangen wird, um den der Versicherer die Leistung kürzt. Der geschickte Anwalt, der Zugriff zu Versicherungsplattformen hat, wird dann womöglich eine Versicherungspolice finden, die für den eingetreten Versicherungsfall eine Deckung ohne Kürzungen vorsah. Und schon ist der nach dem "best advice" haftende Makler dazu auserkoren, in einem solchen Fall "Zweiter Sieger" zu bleiben.
Summa summarum wird das VVG noch seine Feuertaufe zu bestehen haben.
konzentriert sich in seiner Kanzlei schwerpunktmäßig auf das Gebiet des Wirtschaftsrechts inklusive Versicherungs-, Kapitalanlage- und Handelsrecht.
a4f: Ist das neue Gesetz tatsächlich so verbraucherfreundlich oder eher eine Mogelpackung?
Die Einführung des Antragsmodells kumuliert mit der VVG-Informationspflichtenverordnung und den Informationsvorschriften der Versicherungsvermittlerrichtlinie vom Mai 2007. Bevor der Makler überhaupt zur Beratung über das Versicherungsprodukt kommt, hat er seine Statuserklärungen abzugeben und das Bouquet der Versicherungsunternehmen und der jeweils ausgesuchten Versicherungsprodukte darzulegen. Das führt zu einer Überfrachtung der Versicherungskunden mit Informationsmaterialien.
Der Verbraucher, der die Marktanbieter, aber deren Solvabilität und Servicequalität nicht kennt, kann die vielen Informationen nur zur Kenntnis nehmen, ohne sie wirklich werten zu können. Kunde und Makler werden also eher abgelenkt, als dass sie sich auf das geeignete Produkt konzentrieren können.
a4f: Bitte geben Sie uns einige Beispiele, warum das VVG auch Nachteile für Verbraucher hat.
Beispiele für Verbrauchernachteile finden sich auf den verschiedensten Ebenen des neuen Gesetzes. Grobe Fahrlässigkeit bei der Herbeiführung des Versicherungsfalles (§ 81 VVG-2008) "führt zur Leistungskürzung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis". Eine Leistungskürzung durch die Versicherer erfolgt auch bei der Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit (§ 28 VVG-2008), etwa bei unstimmiger Deklaration von Vorkrankheiten, bei nicht (rechtzeitig) mitgeteilten Gefahrerhöhungen (§ 26 Abs. 1 VVG-2008) oder bei Verstößen gegen die Schadenminderungspflicht (§ 82 VVG-2008) sowie bei Rechtsbeeinträchtigungen beim Übergang von Ersatzansprüchen (§ 86 Abs. 2 VVG-2008).
Es ist vorherzusehen, dass Prozesswellen auf die Gerichte zukommen werden, mit der Streitfrage, wann welches Verhalten einer versicherten Person bei der Herbeiführung des Versicherungsfalles als grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 81 VVG-2008 einzustufen ist und wonach die Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers gemessen werden soll, die den Versicherer berechtigt, eine „Leistungskürzung“ vorzunehmen.
Durch diese Öffnungsklausel wurde ein Kürzungsmechanismus installiert, der das Versicherungsprinzip aushöhlt, indem er zu einem unvorhersehbaren Selbstbehalt der Versicherten führt. Dieser kann, selbst bei prozentual eher moderaten Kürzungsquoten, zum wirtschaftlichen Ruin ganzer Familien und zur Insolvenz des Versicherungsnehmers führen.
Im Falle eines verschuldeten Verkehrsunfalls mit Personenschäden oder auch nur Blechschäden von teuren oder mehreren Pkw, kann eine "nur zehnprozentige" Kürzungsquote einen Selbstbehalt von zehntausenden oder hunderttausenden Euro bedeuten.
Als Beispiel sei auf den bisher ohne Kürzungen versicherten Schaden beim Überfahren einer roten Ampel, das so genannte Sekundenversagen, verwiesen. Hier ist in Zukunft mit sensiblen Verminderungen der Versicherungsleistung zu rechnen. Es ist von 50 Prozent die Rede. Überfährt der Fahrer ein Stoppschild, rechnet man mit einer Kürzung um 25 Prozent. Bei Übermüdung, dem Sekundenschlaf, werden Kürzungen um 75 Prozent vorhergesagt und für Überholmanöver stehen 50 Prozent im Raum.
Unerfreulich ist, dass der Gesetzgeber kein Kriterium vorgegeben hat, wonach sich die Schwere des Verschuldens zu bemessen hat. Hier sind für jeden Einzelfall ungeahnte Kürzungsargumente durch den Versicherer möglich. Der Verbraucher wird gar nicht einschätzen können, welche Kürzungsquote aufgrund welches Verschuldensgrades in seinem Einzelfall die richtige ist. Er wird auf die richterliche Entscheidung angewiesen sein, vorausgesetzt, er kann es sich wirtschaftlich erlauben, einen Rechtsstreit zu führen. Dies wiederum wird Auswirkungen auf die versicherungstechnischen Ergebnisse der Rechtsschutzversicherer haben. Es ist jetzt absehbar, dass sensible Prämienerhöhungen auf die Rechtschutzversicherten zukommen.
a4f: Wo liegen Ihrer Meinung nach die größten Nachteile für die Maklerschaft?
Da mit der Einführung des neuen VVG die Bedingungswerke umgestellt werden, kommt auf die Makler ein enormes Arbeitspensum zu, weil sie zu überprüfen haben, ob und inwieweit die neuen Vertragsbedingungen den Bedürfnissen der einzelnen Versicherungsnehmer noch gerecht werden. Erfahrungsgemäß werden die Versicherungsunternehmen Neuformulierungen in den Policen so vornehmen, dass im Zweifel weniger Deckung zugestanden wird. Die Produkte werden sich daher verteuern. Hier werden die Makler aufpassen müssen.
Weiter wird das Konfliktpotenzial der vorbezeichneten Leistungskürzungen beim Makler mit Sicherheit einen wesentlich höheren Argumentations- und Bearbeitungsaufwand veranlassen. Außerdem hat der Makler als Sachwalter bei seiner Beobachtungspflicht des Versicherungsbestandes nunmehr auch besonderes Augenmerk auf die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers zu legen, insbesondere bei erkennbaren Gefahrenerhöhungen, die unverzüglich dem Versicherer mitzuteilen sind. Sonst läuft der Versicherungsnehmer Gefahr, Leistungskürzungen ausgesetzt zu sein.
Der Makler ist mit dem neuen VVG in erhöhtem Maße dem Risiko ausgesetzt, dass sein Kunde im Falle von Leistungskürzungen von ihm im Regresswege wegen unzulänglicher Wahrnehmung der Sachwalteraufgaben den Betrag verlangen wird, um den der Versicherer die Leistung kürzt. Der geschickte Anwalt, der Zugriff zu Versicherungsplattformen hat, wird dann womöglich eine Versicherungspolice finden, die für den eingetreten Versicherungsfall eine Deckung ohne Kürzungen vorsah. Und schon ist der nach dem "best advice" haftende Makler dazu auserkoren, in einem solchen Fall "Zweiter Sieger" zu bleiben.
Summa summarum wird das VVG noch seine Feuertaufe zu bestehen haben.
konzentriert sich in seiner Kanzlei schwerpunktmäßig auf das Gebiet des Wirtschaftsrechts inklusive Versicherungs-, Kapitalanlage- und Handelsrecht.
Autor(en): Angelika Breinich-Schilly