Vertriebsoffensive Altersvorsorge: Diese Themen brennen der Branche unter den Nägeln

"Das Geschäft ist kein Selbstläufer", umriss Bernhard Rudolf, Chefredakteur von Versicherungsmagazin, die gegenwärtige Stimmung im Versicherungsvertrieb. Dr. Wolfgang Drols, Unternehmensberater und Vorstandsmitglied im Ruhestand, ergänzte, dass es bei den Kunden immer noch "eine Vollkaskomentalität gibt, von der wir wissen, dass sie falsch ist". Immerhin 180 Milliarden Euro würden jährlich für Klingeltöne ausgegeben werden, mehr als für private Altersvorsorge. "Nicht das Geld fehlt, sondern das Bewusstsein", dass für Vorsorge gespart werden müsse, sagte er.

Die Digital Natives wollen den persönlichen Berater
Wie man junge Menschen für das Thema Altersvorsorge interessieren kann, dazu hatte Professor Dr. Michaele Völler vom Institut für Versicherungswesen der Fachhochschule Köln überraschende Antworten. Wer dachte, dass sich die heutige Generation der "Digital Natives" ausschließlich im Internet informiert, beraten lässt und kauft, liegt falsch.

Laut eigenen Untersuchungen wissen fast alle jungen Menschen ab 18 Bescheid über den Bedarf, privat vorzusorgen. Doch der Schritt zum Handeln ist für die meisten zu lang. Selbst die, die vorsorgen, tun dies meist auf externen Impuls beispielsweise durch Eltern oder Arbeitgeber.

Überhaupt spielen die Eltern eine zentrale Rolle als Empfehlungsinstanz. Sie finanzieren häufig zudem die erste Vorsorge und stellen damit eine Kernzielgruppe für Versicherer dar. Auch beim Berater sind junge Menschen erstaunlich konservativ und bevorzugen den seriösen, fachkundigen Vermittler. Dieser wird gerne in der Agentur aufgesucht oder darf nachhause kommen.

Versicherer müssen sich aber auf das veränderte Informationsaufnahmeverhalten der Jungen einstellen. "Apps, die nicht funktionieren, werden sofort deinstalliert - kann das mit Versicherungen überhaupt funktionieren?", fragte sie. Statt Text- brauchen junge Menschen mehr Bildinformation. Völlig falsch schätzen viele Versicherer den Stellenwert der Sozialen Netzwerke ein. "Facebook ist die digitale Gartenparty, da erwarte ich keine Informationen über Versicherungen." Junge Menschen recherchieren zwar im Internet, nutzen dafür jedoch Suchmaschinen und die Webseiten der Versicherer. Dort finden sie aber erstaunlicherweise zwar oft spezielle Seiten für junge Menschen, aber dort keine Informationen zum Thema Altersvorsorge.

Honorar über die Laufzeit verteilen
Ulrich Zander, Vizepräsident des Bundesverbands Deutscher Versicherungskaufleute (BVK), plädierte gegen Eingriffe in die unternehmerische Freiheit der Vermittlerdurch Vorgaben zur Vergütung. Der typische Vermittler denke viel langfristiger, als die kritische Öffentlichkeit nach einzelnen Skandalen glaubt. "Man wächst mit dem Kunden", schilderte er das Prinzip der Nachhaltigkeit. Viele Vorwürfe wie provisionsorientierte Versichererauswahl und gewinnmaximierendes Umdecken gehen seiner Ansicht nach zumindest an der agenturvertraglichen Wirklichkeit der Ausschließlichkeit vorbei.

Von der Politik forderte Zander, Provisionsvermittler und Honorarberater gleich zu behandeln. Honorarberater sollten ihr Honorar auf die ganze Vertragslaufzeit verteilen müssen, wie es die Grünen aktuell für die Provisionsvermittler gefordert haben.

Technik treibt die Beratung an
Wie sehr die Altersvorsorgeberatung mittlerweile auf Technik angewiesen ist, machten Vorstand Werner Schmidt und Manfred Schulte vom LVM deutlich. Der "LVM-Kompass" ist ein ganzheitlicher EDV-gestützter Beratungsansatz für verschiedene Vorsorgebereiche einschließlich Optimierung der Gesamtlösung. Bisher nutzen erst 35 Prozent der Agenturen das Tool, obwohl mit durchschnittlich 1,8 Vertragsabschlüssen pro Beratung ein überzeugender Erfolg messbar ist.

Volker P. Andelfinger, Palatinus Consulting, sieht die Versicherer nicht ausreichend auf die Möglichkeiten, aber auch künftigen Anforderungen der digitalen Vernetzungstechnik vorbereitet. Versicherungen müssten sich als Problemlöser verstehen und Dienstleister und Nothelfer vernetzen. Stattdessen werden Zukunftstechniken mit großer Skepsis behandelt, wie die teure Einstufung des Opel Ampera in der Kfz-Versicherung zeige.

Branche lässt sich den Schneid abkaufen
"Die Krise fällt aus", lehnte Manfred Poweleit, Herausgeber des Map-Reports, einen Abgesang auf die klassische Lebensversicherung ab. Anhand der Bilanzzahlen zeigte er, dass sich die Branche nicht für ihre Leistung schämen muss. "Man hat nicht den Mut zu den eigenen Produkten zu stehen. Die Konkurrenz ist keineswegs besser, nur frecher", so Poweleit. Eindringlich wies er auf den Vorsorgebedarf vor allem in der Hinterbliebenenvorsorge hin. Derzeit würden Betroffene im Durchschnitt nur rund die Hälfte ihres Bedarfs durch gesetzliche und private Vorsorge decken.

Auch Rüdiger Bach von der R+V sieht in der Vorsorge keine Alternative zur Lebensversicherung. "Sie brauchen unheimlich lange, um Vertrauen aufzubauen", umriss der Vorstand für die betriebliche Altersvorsorge die Herausforderung in diesem Geschäft. Die Chancen seien vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen groß. Speziell die Entgeltumwandlung habe zwar in den vergangenen Jahren zugenommen, dennoch nehmen erst 20 Prozent aller Beschäftigten daran teil. Banken hätten hier einen Vorsprung durch ihren oft sehr guten Kontakt zu Arbeitgebern.

Manipulation ist nichts Schlechtes
"
70 bis 80 Prozent der Entscheidungen erfolgen unbewusst", so Dr. Hans-Georg Häusel von der Nymphenburg-Gruppe. "Geld ist nichts anderes als konzentrierte Lust", skizzierte er die emotionale Seite von Finanz- und Versicherungsentscheidungen. Man müsse sich von der Vorstellung verabschieden, solche Entscheidungen würden rational getroffen. "Denken ist der schlimmste Zustand, den sich das Gehirn vorstellen kann", was sich mit dem hohen Energieverbrauch erklären lasse.

Für den Vertrieb bedeutet das, dass Kunden abhängig von ihrer dominierenden, emotionalen Disposition bei seinen Entscheidungen beeinflusst werden kann. Schon allein sichtbare Ordnung, Gerüche oder Bequemlichkeit der Stühle im Büro beeinflussen den Kunden, ebenso wie die Temperatur eines angebotenen Getränks. Bei ihren Erläuterungen sollten Versicherer eine viel emotionalere Sprache verwenden. Die Hirnforschung liefert Erklärungen, warum junge Menschen kaum auf langfristige Vorsorge ansprechbar sind oder warum Frauen völlig anders angesprochen werden müssen als Männer. "Manipulation ist nichts Schlechtes, nur wenn es den Anderen schadet", ermunterte Häusel zur Anwendung der Erkenntnisse durch Neuromarketing.

Gewinner des Altersvorsorge-Awards
Zum Abschluss wurden die besten Altersvorsorge-Berater ausgezeichnet. Drols führte aus, dass beim "Handwerkszeug" Altersvorsorgesoftware immer noch erschreckend viele falsch rechnen. Der Arbeitskreis Kubi e.V. hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Beratung unter anderem durch die Entwicklung von rund 1.000 Testfällen zu verbessern. Dies soll für den Vertrieb nutzbar gemacht werden, was auch die Reduzierung einer Komplexität erforderlich macht. Der Award unter der Schirmherrschaft von Bundesministerin Ilse Aigner soll "die handwerkliche Umsetzung" verbessern.

Von 132 Teilnehmern konnten sich 18 Vermittler und vier Agenturen für das Finale qualifizieren. In der schriftlichen Prüfung scheiterten rund 80 Prozent der Teilnehmer, auffällig oft Makler sowie Callcenter. Zum ersten Mal haben aber alle Finalteilnehmer in der jeweils zweistündigen praktischen Prüfung bestanden.

Mehr zum Award und den ausgezeichneten Teilnehmern:

Bild: Dirk Uebele

Autor(en): Matthias Beenken

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