Vertrieb braucht besseren Nachwuchs

Lothar Rauer, geschäftsführender Gesellschafter der Personal- und Managementberatung Chancenkompass GmbH (www.chancenkompass.de) aus Berlin, zeigt sich im Versicherungsmagazin-Interview davon überzeugt, dass der Versicherungsvertrieb auch weiterhin eine interessante Perspektive bietet. Aber die Anforderungen haben sich deutlich verändert. Für die Unternehmen bleibt noch viel zu tun.


VM:
Laut Deutschem Beamtenbund ist der Versicherungsvertreter seit Jahren der von den Deutschen am wenigsten geachtete Beruf. Woran liegt es, dass der Beruf ein solch geringes Ansehen genießt?
Lothar Rauer:
Das zum Teil subjektive negative Image der Branche ist durch einzelne Ausreißer sicherlich mitbestimmt, daher begrüße ich sehr die Verschärfung des Verhaltenskodex im Versicherungsvertrieb. Dieser dokumentiert den herausragenden Anspruch an eine gute sowie faire Beratung. Meiner Meinung nach tragen die Versicherungsexperten durch ihre täglichen Kundenberatungen erheblich dazu bei, Transparenz zu der tatsächlichen Situation der gegenwärtigen gesetzlichen Sicherungssysteme zu schaffen. Sie erfüllen somit in der Bevölkerung einen wichtigen sozialpolitischen Auftrag.

VM: Wirkt sich dieses Image erkennbar auf die Rekrutierung von Nachwuchs-Vermittlern aus?
Rauer: Aus meiner Sicht gibt es kein wirklich nachhaltiges, allgemeingültiges negatives Image dieses Berufsbildes. Wer kümmert sich denn um die Informationsverbreitung der zu den vorhandenen Möglichkeiten im Finanzsektor, auch wenn hier ein merkantiles Interesse besteht? Zudem hat es der Versicherungsspezialist nach langer Zeit geschafft, endlich aus dem Schatten seiner Bankberaterkollegen zu treten, da diese in der Vergangenheit mit ihren Beratungsleistungen häufig die an sie gestellten Erwartungen leider nicht erfüllen konnten.

VM: Hat sich am Idealprofil des Versicherungsverkäufers durch die Regulierung etwas verändert?
Rauer: Mit Sicherheit hat die EU-Vermittlerrichtlinie dazu geführt, dass durch die offene Vorstellung des Beraters, die Beratung und letztendlich die Gesprächsprotokollierung mehr Transparenz sowie Rechtssicherheit für den Kunden und für den Vermittler geschaffen wurde. Nur darf man hier den damit entstandenen zusätzlichen Verwaltungsaufwand des Beraters nicht unterschätzen.

VM: Können Sie erkennen, dass Versicherer und Vertriebe auf diese Situation reagieren und andere Verkäufer suchen als früher?
Rauer: Die Mitarbeitergewinnung hat sich meines Erachtens vollkommen verändert. Die Zeiten sind vorbei, wo die Menschen auf die Möglichkeit eines nebenberuflichen Berufseinstieges auf der Straße angesprochen wurden. Um hier entsprechend gut ausgebildetes und qualifiziertes Personal finden zu können, wird die Unterstützung durch externe Personalberatungsunternehmen notwendig. Der Kampf um die gut ausgebildeten qualifizierten Persönlichkeiten, in Berater- und Führungspositionen, wird in Zukunft noch weiter erheblich zunehmen.

VM: Seit mehr als zehn Jahren analysiere ich mit meinen Studenten Stellenangebote für vorwiegend selbstständige Verkäufer. Die einzige Änderung in dieser Zeit war AGG-bedingt der Wegfall von Altersangaben. Ansonsten sind die Anzeigen bis heute sehr kurz und aussagearm. Als Perspektive werden meist gleichzeitig unbegrenzte Verdienstmöglichkeiten bei maximaler Sicherheit angeboten. Warum verkauft sich die Branche so schlecht?
Rauer: Mit Sicherheit lassen sich Stellenausschreibungen attraktiver gestalten, nur darum geht es nicht. Reißerische Annoncen erzeugen bei den Kandidaten eher eine Skepsis anstatt eine Vertrauensbasis von Beginn an zu schaffen. Entscheidend ist immer die persönliche und gleichzeitig anspruchsvolle Ansprache, bei der auf die individuelle Bedarfssituation des Kandidaten entsprechender Wert gelegt werden sollte und nicht vielversprechende Erwartungen zu erzeugen, welche sich dann oft als Luftnummern herausstellen. Eine wechselseitige aufrichtigere und offenere Kommunikation von Beginn auf der Basis von Wahrheit und Klarheit wäre hier sehr wünschenswert.

VM: Warum schaffen es aber manche Vertriebe trotzdem noch, ungelernte Quereinsteiger in großer Zahl in den Versicherungsvertrieb zu locken?
Rauer: Diese Vorgehensweise gibt es in der Tat noch bei einigen Vertriebsgesellschaften. Doch die Entscheidung, einem solchen Lockruf zu folgen, trifft jeder selbst für sich. Dass diese Laufbahn in den meisten Fällen damit beginnt, lediglich persönliche Kontakte einzubringen und diese erst einmal nur mit Datenaufnahmen zu bedienen, ist doch hinlänglich bekannt. Sollten allerdings diese Gesellschaften mit entsprechenden zertifizierten Ausbildungsmodulen eine fachliche Qualifikationsebene schaffen, ist es für jeden Quereinsteiger eine Möglichkeit, sich hier beruflich neu orientieren zu können.

VM: Ist das Modell des Strukturvertriebs mit Quereinsteigern und Nebenberuflern für Sie zukunftssicher, oder stirbt es aus?
Rauer: Es werden im Bereich des Vertriebes von Konsumgütern immer die Möglichkeiten für Quereinsteigern und Nebenberuflern geschaffen werden, das ist für diesen Wirtschaftszweig auch in Ordnung. Allerdings lässt sich das im Finanzdienstleistungsbereich meiner Meinung nach gegenwärtig nur noch schwer umsetzen. Hier geht es für den Kunden evtl. um langfristige und existenzielle Entscheidungen. Der Kunde muss der hohen Beraterqualität vertrauen können, daher halte ich dieses eher überholte Vertriebsmodell strukturell für nicht mehr so zielführend und aktuell daher auch zu überdenken. Wir können gespannt wie diese Umstrukturierungen bei diversen Vertrieben sukzessive umgesetzt werden.

VM: Die gestiegenen Anforderungen setzen sicher auch eine veränderte Personalauswahl bei den Fach- und Führungskräften des Vertriebs voraus. Haben die Unternehmen aus Ihrer Sicht die Zeichen der Zeit erkannt?
Rauer: Es ist ein langsamer Prozess, der in den Unternehmen teilweise anzukommen scheint. Bedauerlicherweise ist man hier oft noch der Überzeugung, dass die Wege aus der Vergangenheit immer noch gut funktionieren.

VM: Braucht der Vertrieb mehr Akademiker und wennja, welche?
Rauer: Der Vertrieb braucht generell mehr Menschen, die Freude an der Kommunikation und an der verantwortungsbewussten fairen Beratung haben. Dieses sollte unabhängig davon sein, ob sie eine entsprechende akademische Vorbildung besitzen oder nicht. Bei einem zielgruppenorientierten Vertrieb könnte es dagegen mit Sicherheit einen Vorteil bedeuten. Dadurch ist der Berater in Lage, gezielte und individuelle Lösungsansätze gemeinsam mit seinem Kunden zu entwickeln.

VM: Der Versicherungsvertrieb ist anders als in anderen Branchen immer noch eine fast lupenreine Männerdomäne. Wann und auf welchem Weg öffnen sich die "Herrenclubs"?
Rauer: Das trifft sicherlich für die höhere Führungsebene zu, insbesondere bei den Vorstandspositionen. Frauen haben aber bewiesen, dass sie im Rahmen ihrer Fach-, Sozial- und Führungskompetenz den männlichen Geschlechtsgenossen in nichts nachstehen. Auch auf der Beraterebene ist ein Vormarsch der Damenwelt deutlich zu erkennen. Hier gibt es absolut keine Differenzierungen unter den Geschlechtern. Ich persönlich bin sogar der Meinung, dass weibliche Berater beziehungsweise Führungskräfte sogar über ein Stück mehr situatives Einfühlungsvermögen verfügen und das kann doch nicht schaden.

VM: Wenn Sie heute einem gut ausgebildeten Nachwuchstalent eine Perspektive im Versicherungsvertrieb anbieten wollen - wie überzeugen Sie die Bewerberin oder den Bewerber?
Rauer: Der Einsatz von üblichen Überzeugungsmethoden sehe ich nicht als geeignete Unterstützung hinsichtlich einer beruflichen Neuorientierung. Es geht doch viel mehr darum, anhand der Persönlichkeitsstruktur und der gegebenen Befähigungen des Kandidaten durch eine gewissenhafte Analyse und Bewertung maßgeblich seine Wünsche und Ziele zu berücksichtigen und diese mit dem Anforderungsprofil des Unternehmens gewissenhaft abzugleichen. Hier ist es besonders relevant, dass anhand von klar formulierten Erwartungen diese vorher gemeinsam aufrichtig definiert werden, sodass schlussendlich eine faire künftige Zusammenarbeit zwischen Mitarbeiter und Unternehmen dauerhaft entsteht.

Autor(en): Matthias Beenken

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