Verstolperter Start des Nachhaltigkeitsvertriebs

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Vor einem Monat sollte es so richtig losgehen mit dem Ziel der Europäischen Union, die Kapitalflüsse auch beim Abschluss von Anlagen und Versicherungsanlagen hin zu nachhaltigen Investitionen zu steuern. Doch weder in der Branche noch in der Ampel-Regierung und den Behörden ist eine Aufbruchstimmung zu spüren.

Seit 2. August sollen Versicherungsvermittler und -berater ihre Kunden beim Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten nach ihren Nachhaltigkeitspräferenzen fragen und bei Interesse helfen, entsprechende Anlagen zu finden. Finanzanlagenvermittler und -berater wurden in Europa allerdings vergessen. Auch das deutsche Bundesministerium nicht nur der Wirtschaft, sondern auch des Klimaschutzes fand das bisher nicht wichtig genug, diese immerhin fast 40.000 Anlageberater und Anlagevermittler durch eine einfache Ergänzung der Finanzanlagenvermittlungs-Verordnung in die neuen Pflichten einzubeziehen.

Wenig Interesse und Aktivitäten

Doch ein Monat später ist wenig Euphorie zu verspüren. Informations- und Bildungsveranstaltungen zur Nachhaltigkeit sind eher spärlich besucht. Die Mehrheit der Anwesenden, so der subjektive Eindruck, hat noch nie Näheres zum Konzept der Nachhaltigkeit gehört und steht dem Thema mindestens skeptisch-reserviert gegenüber, wenn nicht sogar vereinzelt offen ablehnend. Die Vermittlerschaft repräsentiert eben auch nur einen Querschnitt der Bevölkerung.

Auch Versicherer fallen derzeit nur vereinzelt mit Aktivitäten und Pressemitteilungen rund um das Thema Nachhaltigkeit auf. Verdenken kann man es ihnen nicht, denn die Brüsseler Vorgaben sind von einer Komplexität und Unvollständigkeit, dass selbst Fachleute verzweifeln.

Haftungsrelevant, aber hochkomplex geregelt

Nur zwei Beispiele: Der eurorechtliche Laie soll verstehen, dass erstens die in deutschen Gesetzbüchern festgehaltenen Gesetze und Verordnungen wie unter anderem Versicherungsvertrags-, -aufsichtsgesetz und Gewerbeordnung keineswegs ausreichen zu verstehen, was von Versicherern und Vermittlern rechtlich gefordert wird. Immerhin kann eine Nichterfüllung der Pflichten unter Umständen Schadenersatzansprüche begründen. Wie schon in der Vergangenheit, könnten wohl beim nächsten Börsentief Kunden und ihre Rechtsberater anfangen zu prüfen, ob die gerade nicht wie gewünscht performende Anlage oder Versicherungsanlage rechtlich sauber verkauft und die Beratung vollständig dokumentiert worden ist.

Zweitens muss man durchschauen, dass es inzwischen mindestens fünf europäische Verordnungen rund um das Thema Nachhaltigkeit gibt, die zwar alle den Namen Verordnung tragen, aber einer Binnenhierarchie unterliegen und sich teilweise überschneiden, ganz zu schweigen von der bald kommenden, neuen Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD).

So gibt es höherrangige Verordnungen des Europaparlaments und Europarats wie die Taxonomie- und die Transparenzverordnung sowie nachrangige, Delegierte Verordnungen der EU-Kommission. Zum Beispiel sind das zwei zur Änderung älterer Delegierter Verordnungen, die ihrerseits wiederum die Richtlinien IDD und MiFID II ergänzen – aber mit unmittelbarer, rechtlicher Bindung aller im Vertrieb Tätigen auch ohne nationale Umsetzung. Weitere Delegierte Verordnungen sollen die höherrangigen Verordnungen erläutern und werden als Technische Regulierungsstandards bezeichnet, so zur Transparenzverordnung und in Kürze zur Taxonomieverordnung.

Keine Übersetzung der EIOPA-Empfehlungen

Zu allem Überfluss hat die Europäische Versicherungsaufsichtsbehörde EIOPA wenige Tage vor dem Start der erweiterten Eignungsprüfung unverbindliche Empfehlungen („Guidance“) zur Umsetzung vorgelegt – in Englisch. Auf Anfrage teilte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) dem Versicherungsmagazin mit, dass eine deutsche Übersetzung dieser Empfehlungen nicht geplant sei. Das sei nicht üblich.

Außerdem sei nach einer Anhörung von Betroffenen die EIOPA zu der Meinung gelangt, „eine gewisse Flexibilität in der Umsetzung der neuen Rechtspflichten zu gewähren“ und daher von dem ursprünglichen Plan abgerückt, verbindliche Leitlinien zu veröffentlichen. Das wolle man nicht „konterkarieren“ durch gegebenenfalls verbindliche Vorgaben der BaFin. Allerdings werde man den Umgang der Marktteilnehmer genau beobachten und bei Bedarf „anlassbezogen“ Hinweise veröffentlichen.

Nun werden aber Versicherungsvermittler und kleinere Versicherer, die der englischen Rechtssprache nicht mächtig sind, mit diesen Texten allein gelassen. Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag teilte auf Anfrage lediglich mit, zeitnah keine Antwort geben zu können, wie man mit den EIOPA-Texten umgehen und ob man den beaufsichtigten Unternehmen helfen will.

Keine Ergänzung der Bildungsvorgaben

In dieses Bild passen zwei Kleine Anfragen des CDU-Bundestagsabgeordneten und Mitglied des Finanzausschusses, Carsten Brodesser, und die Antworten der Bundesregierung darauf. So wollte Brodesser zum einen wissen, ob geplant sei, die Anlage 1 der Versicherungsvermittlungsverordnung und dort den Katalog der Sachkunde-Inhalte um Kenntnisse zur Eignungsprüfung und zur Produktauswahl unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeit zu ergänzen.

Das verneint Staatssekretär Sven Giegold vom Bundeswirtschafts- und Klimaschutzministerium. Die Praxis würde das selbst regeln, das reiche der Bundesregierung aus. Allerdings vertritt die EIOPA hier in ihrer Empfehlung Nummer 7 eine deutlich andere Haltung und verweist auf die IDD-Bildungsanforderungen. Nach Meinung der EIOPA sollten alle Versicherungsangestellten und Vermittler, die Versicherungsanlageprodukte vertreiben, mindestens Basiskenntnisse besitzen, um Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden bewerten zu können. Zudem sollten diejenigen, die sogenannte Artikel 9-Produkte beraten und verkaufen, die ein aktives Nachhaltigkeitsziel anstreben, eine tiefere Detailkenntnis solcher Anlagen besitzen –zu Tätigkeitsbeginn und in der Weiterbildung.

DIN-Norm genügt als Erstinformation

Weiter wollte Brodesser wissen, ob die Bundesregierung vorhat, eine „rechts- und haftungssichere standardisierte Erstinformation zur Nachhaltigkeit“ für die Kundenberatung herauszugeben. Auch das wird so von der EIOPA vorgeschlagen.

Dieses Anliegen wiederum weist für das Bundesfinanzministerium Staatssekretär Florian Toncar zurück und verweist auf den Anhang A2 der DIN-Norm 77230 als Lösung. Der allerdings enthält keine standardisierte Erstinformation, sondern lediglich eine „Allgemeine Erläuterung von Nachhaltigkeit u.a. anhand der SDGs“, die man sich wiederum nur durch Nachlesen beispielsweise der erwähnten 17 globalen Ziele für eine nachhaltige Entwicklung der Welt („SDG“) und anderer Quellen so weit erschließen kann, dass man notfalls einem Kunden Fragen dazu beantworten könnte.

Interesse und Begeisterung für eine praktische Umsetzung der hehren Ziele der Europäischen Union einer Klimaneutralität bis 2050 oder der noch ehrgeizigeren Ziele der aktuellen Regierungskoalition lassen sich aus diesen Reaktionen der Bundesregierung und der Behörden nicht gerade erahnen. Damit das Ganze doch noch gelingt, wäre ein Neustart wichtig – sonst wird das Thema Nachhaltigkeit schnell als unausgegorene und lästige Regulierung abgehakt werden und eine Chance vertan.

Autor(en): Matthias Beenken

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