Vollkommen unsinnigen Versicherungsschutz haben Verbraucherschützer an Schulen in Baden-Württemberg entdeckt. 1,5 Millionen Schülerinnen und Schülern werde dort mit staatlicher Hilfe eine unbrauchbare Versicherung aufgedrängt. Der Vertrieb der Police läuft über Lehrkräfte, die gar kein Recht hätten, Versicherungen zu beraten.
Involviert ist das Land Baden-Württemberg. „Das ist ein Skandal“, kritisierte die Verbraucherschützerin Kerstin Becker-Eiselen. Die Schülerversicherung wird daher vom Bund der Versicherten (BdV) als „Versicherungskäse 2018“ gebrandmarkt. Negativ-Preisträger sind die Anbieter, die Württembergische Gemeinde-Versicherung (WGV) und die Badische Versicherung (BGV).
Auf Eltern und Schüler Druck ausgeübt?
Die angebotene Schüler-Zusatzpolice enthält eine Unfall-, Sachschaden- sowie Haftpflichtversicherung. Zwar ist die Police mit nur einem Euro pro Jahr günstig, doch inhaltlich nach Einschätzung der Verbraucherschützer total ungeeignet. So liegen die Invaliditätshöchstsumme nur bei 50.000 Euro, die Sachschadenabsicherung bei 300 Euro und der Haftpflichtschutz bei 2.000 Euro. „Das ist ein Witz“, urteilte Becker-Eiselen, die hauptamtlich bei der Verbraucherzentrale Hamburg auch für Versicherungen verantwortlich ist. Im Internet hätten Verbraucherschützer zudem Hinweise gefunden, dass auf Schüler und Eltern „Druck“ für einen Abschluss der Police ausgeübt wird. Der staatlich mitorganisierte Schutz wirke trügerisch. Die Familien könnten der Meinung sein, ausreichend versichert zu sein, warnen die Verbraucherschützer. Auf der anderen Seite ist die Police wegen der bereits bestehenden gesetzlichen Unfallversicherung ein unnötiger Doppelschutz.
Neue Assistance-Produkte werden abgelehnt
Scharfe Kritik übten die Verbraucherschützer auch an neuen Produkten der Versicherungswirtschaft. So halten sie das Assistance-Angebot Smarthome Schutzbrief der Ergo Versicherung für „unsinnig“ und das Gesundheitsmanagement-Programm Vitality für „gefährlich“. Beide Produkte waren für den BdV-Versicherungskäse 2018 nominiert. Beim Generali-Produkt erhalten Kunden, die ihre Gesundheitsdaten kontrollieren lassen und aktiv ihren Gesundheitsstatus verbessern, einen Nachlass bei der Berufsunfähigkeits- und Risikolebensversicherung. Dieser Nachlass ist aber vollkommen intransparent, meinen die Verbraucherschützer.
Einen echten Rabatt gebe es nicht, sondern lediglich eine höhere Beteiligung an den Überschüssen. Wie hoch der Vorteil ausfällt, sei auch im Geschäftsbericht auf den der Versicherer verweist, nicht klar ersichtlich. Zudem gebe es ein Datenrisiko. Zwar sei die Datenschutzerklärung korrekt und die Gesundheitsdaten gingen nicht direkt an den Versicherer, doch die Verbraucherschützer befürchten, dass die sensiblen Gesundheitsinfos reanonymisiert oder von Hacker gestohlen werden könnten. „Die Kunden gehen ein großes Risiko ein, für einen Schnaps an Überschuss“, heißt es in der BdV-Laudatio zum Negativpreis. Bei dem Angebot Generali Vitality seien Chancen und Risiko für die Kunden vollkommen unausgewogen.
Ergo und Generali über Kritik sehr überrascht
Diese Kritik überrascht die Anbieter Ergo und Generali sehr, wie sie auf Rückfrage mitteilen. So sei das Generali-Programm in jeder Hinsicht transparent. Es werde dem Kunden sehr anschaulich dargestellt, welche Vorteile er erhalten kann, welche Daten erhoben werden und wie sie erhoben werden. Das gelte auch für das Punktesammeln durch Aktivitäten in den Bereichen Bewegung, Ernährung und Vorsorge. Laut Generali können die Kunden bis zu 16 Prozent Rabatt auf ihre Berufs- und Risikolebensversicherung erhalten. Die Speicherung und Verarbeitung der Daten entspreche den besonders hohen deutschen Datenschutzanforderungen und sei mit Datenschutzbehörden abgestimmt.
Bislang nur Anerkennung erhalten
Auch die Ergo-Versicherung kann sich die Kritik des BdV nicht erklären. Beim Smarthome Schutzbrief kooperiert die Assekuranz mit dem Telekom Sicherheitsangebot Magenta. Die Police habe bisher nur Anerkennung erhalten. So sei es im Februar 2018 zur Versicherungsinnovation des Jahres gewählt und mit dem Goldenen Bullen ausgezeichnet worden. Dabei wurde die Notfall-Aktivierung bei Abwesenheit besonders hervorgehoben. „In der Jury saßen unter anderem Annabel Oelmann, Vorsitzende der Verbraucherzentrale Bremen, und Michael Franke von der Versicherungsratingagentur Franke und Bornberg“, so die Ergo.
Autor(en): Uwe Schmidt-Kasparek