Nach elf Jahren gibt Günter Hirsch sein Amt als Versicherungsombudsmann Ende März ab. Im GDV-Magazin „Positionen“ erklärte er unter anderem, warum Beschwerden auch positiv für die Versicherer sind, warum Verbraucherschutz wichtig ist und warum das Ringen um Transparenz noch weitergehen muss. Wir veröffentlichen Auszüge aus diesem Interview.
Herr Professor Hirsch, Ihre Amtszeit endet am 31. März. Was hat Sie in den elf Jahren als Ombudsmann am meisten beeindruckt?
Günter Hirsch (GH): Das ist die Zeitenwende bei der außergerichtlichen Streitbeilegung: Private Schlichter haben seit jeher in Streitfällen außerhalb des Gerichtssystems vermittelt. Seit 2012 wurde dieser Bereich aber verrechtlicht: Erst kam das Mediationsgesetz, dann die EU-Richtlinie, die Verbrauchern einen außergerichtlichen, alternativen Zugang zum Recht eröffnet.
Hat das Kunden wirklich geholfen?
GH: Ja. Das ist ein enormer Zuwachs an Verbraucherschutz. Für jede Streitigkeit gibt es europaweit nun eine Schlichtungsstelle. Das legt die Hürden für Verbraucher niedriger, zu ihrem Recht zu kommen: In den elf Jahren meiner Ombudsmann-Tätigkeit gingen rund 270.000 Beschwerden bei uns ein. 270.000! Was glauben Sie, wie viele Verfahren dagegen vor Gerichten landen?
Keine Ahnung. Wie viele?
GH: Diese Gesamtzahl würde einen Amtsrichter über 400 Jahre auslasten. Aber der Vergleich hinkt natürlich. Meine Motivation, als Ombudsmann zu arbeiten, war: Zurück an die juristische Alltagsfront, wo ich meine juristische Laufbahn begonnen habe. Ich wollte die Versicherungswirklichkeit kennenlernen.
Wie lautet das Ergebnis Ihrer Feldforschung? Hat sich Ihr Bild der Branche verändert?
GH: Ja. Ich kann zumindest sagen, dass es bei Beschwerden eher selten um einen harten Streit ums Recht geht, sondern um einen Mangel an Transparenz und Klarheit. Dies beginnt bei den Allgemeinen Versicherungsbedingungen, bezieht sich aber auch auf die laienverständliche Vermittlung der Entscheidung des Unternehmens. Gerade wenn die Beschwerde erfolglos ist, erklären wir dies dem Verbraucher so, dass er es nachvollziehen kann.
Es wird also noch immer zu wenig aus der Kundenperspektive gedacht?
GH: Ja, aber es tut sich etwas: Die Unternehmen verstehen zunehmend, dass Beschwerden von Kunden nicht nur eine Last sondern auch eine Chance sein können. Es macht für Versicherer Sinn, dem Kunden entgegen zu kommen, statt auf einer fragwürdigen Rechtsposition zu beharren. Denn ein kundenfreundliches Beschwerdemanagement lohnt sich auch wirtschaftlich für das Unternehmen. Das ist in den Führungsetagen inzwischen angekommen. Viele Sachbearbeiter hingegen denken immer noch, sie würden ihrem Arbeitgeber durch die sture Ablehnung von Ansprüchen Geld sparen.
Schießen Forderungen der Verbraucherschützer auch manchmal übers Ziel hinaus?
GH: Nein. Verbraucherschutz braucht eine Lobby. Lobbyismus ist Interessenvertretung. Die Marktgegenseite ist schon in der Lage, ihre Interessen ebenfalls effektiv zu vertreten.
Autor(en): Thomas Wendel, GDV-Positionen