Die Digitalisierung, lange Zeit vernachlässigt, ist mittlerweile in den Führungsetagen der Versicherer zum dominierenden Treiber aktueller und künftiger Projekte geworden. Unser Gastbeitrag zeigt, wo dieses wichtige Thema tatsächlich steht.
So unterschiedlich und vielfältig wie der deutsche Versicherungsmarkt ist auch der aktuelle Stand der Digitalisierungsprojekte. Manche Unternehmen glauben, mit einer Kunden-App und einer Online-Schadenmeldung bereits digital zu sein. Andere wiederum gehen in die Tiefen ihrer Prozesse und digitalisieren ihre Wertschöpfungskette. Wieder andere suchen nach Kooperationen mit jungen digitalen Unternehmen, den Insurtechs. Diese sollen helfen, ihre eigene Organisation auf einen digitalen Weg zu bringen.
Die Branche hat zu spät auf Digitalisierung reagiert
Angesichts der Unterschiede bei den Digitalisierungsbemühungen fällt es schwer zu beurteilen, was richtig, falsch oder überflüssig ist. Eines muss sich der Großteil der Branche jedoch eingestehen: Es wurde zu lange gewartet. Das ist verlorene Zeit, die nun aufgeholt werden muss. Wer in Zukunft bestehen möchte, muss sich stärker an den geänderten Erwartungen der Kunden und der Vertriebe orientieren. Die Zeiten, in denen ein Versicherter wochenlang auf die Antwort des Versicherers gewartet hat und sich das Ganze per Post zustellen ließ, sind längst vorbei. Wer heute noch davon ausgeht, hat den fundamentalen Wandel der Gesellschaft nicht begriffen. Sie ist zwar erst seit wenigen Jahren wirklich online, aber der Umstand ständig verfügbarer Informationen hat unsere Lebensweise und das, was wir von unseren Geschäftspartnern erwarten, schon jetzt maßgeblich verändert.
Der Kunde erwartet heute Übersichtlichkeit seiner Einkäufe, aber auch seiner Verträge. Er möchte transparent informiert sein, immer Zugriff auf alle Verträge haben und weltweit jederzeit mit seinem Versicherer interagieren können. Das ist der Anspruch, an dem sich die Branche auszurichten hat. Die Generation der Kunden, die ihre Versicherungspolice im Ordner im Schrank abheftet und im Schadensfall einen Brief an den Versicherer schreibt, stirbt langsam aus. Momentan ist die aktivste und attraktivste Kundengruppe im Markt die sogenannten Millennials.
Jene Kunden, die mit Computern und Internet groß geworden und heute zwischen 30 und 40 Jahre alt sind. Sie werden nicht warten, bis Versicherer sich schrittweise in den kommenden fünf bis zehn Jahren digitalisieren und ihnen dann Services bieten, die in anderen Bereichen längst Standard sind. Wer als Versicherer jetzt nicht aktiv wird, verliert diese Kunden schneller als der Sachbearbeiter den Kündigungsbrief bearbeitet.
Zukunftsfähige Prozesse und Services etablieren
Die große Herausforderung ist also, sich als Unternehmen selbst zukunftsfähig und digital aufzustellen und diesen Prozess so zu gestalten, dass der Bestandskunde von der Digitalität profitiert und der Neukunde attraktive Angebote findet. Das wird flankiert von Services, die mittlerweile ganz selbstverständlich vorausgesetzt werden. Der heutige Kunde wird schnell durchschauen, ob es sich nur um ein digitales Feigenblatt handelt oder ein echter Mehrwert geboten wird. Hier ist Authentizität gefragt, denn Blender werden schnell erkannt.
Künftig werden die Grenzen zwischen den Branchen, Banken, Versicherungen und auch der Konsumgüterindustrie verschwimmen. Auch die Versicherungsprodukte werden sich anpassen müssen. Unternehmen müssen vernetzt und branchenübergreifend denken, aber auch die Prozesse dafür schaffen. Zur Wohnungsfinanzierung wird automatisiert und mit einem Klick die Hausratversicherung angeboten, zum gebuchten Urlaub gibt es eine auf die Dauer und die Reiseart abgestimmte Unfallversicherung. Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen.
Die Möglichkeiten sind vielfältig, auch wenn sich nicht alles durchsetzen wird. Wenn es soweit kommt, dass die Nachfrage da, aber der Basis-Prozess nicht vorhanden ist, steht die Maschine still. Es ist Vordenken gefordert und etablierte Versicherer sind gut beraten, sich an neuen Marktakteuren, den Insurtechs und anderen Technologiedienstleistern, zu orientieren.
Kein Stillstand der Veränderung
Das muss nicht immer gleich zur großen Revolution führen. Es zeichnet sich aber ab, dass ein auf permanenter Veränderung und Anpassung beruhendes Konzept der Unternehmensführung, ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess, quasi automatisch zu einem nachhaltigen und innovativen Geschäftsmodell führt.
Dieser Beitrag ist ursprünglich bei Springer Professional erschienen.
Autor(en): Stephen Voss