In zehn Jahren wird der Versicherungsvertrieb in vollem Umfang digital sein. Das ist das Ergebnis einer Zukunftsstudie, die die Unternehmensberatung Bearing Point erstellt hat.
Dabei vermeiden es die Forscher wohl ganz bewusst, Zahlen zur Entwicklung der Versicherungsvermittler zu nennen. Denn nach ihrer Auffassung wird 2030 kein Kunde es mehr nötig haben, eine Agentur aufzusuchen oder einen Vermittler zu Hause zu empfangen. „Beratungstechnologien wie Videotelefonie und Chat haben sich im Jahr 2030 durchgesetzt und finden nun auch flächendeckend im Vertrieb statt“, so die Studie. Die Corona-Pandemie hat ja ganz aktuell gezeigt, was technisch ohne Kontakt möglich ist.
Lebensversicherungsvertrieb ohne persönlichen Kontakt
Doch die technische Entwicklung wird sich nach Meinung der Forscher deutlich beschleunigen und alle Versicherungssparten ergreifen. Digitaler Vertrieb ohne persönlichen Kontakt wird nach Meinung der Forscher auch für komplexe Themen wie Lebensversicherungen oder Altersvorsorge gelten. Gleichzeitig würden bestimmte Policen vollkommen extern vertrieben. Das gelte beispielsweise für Handy-Versicherungen, die nur noch über Elektronikgeschäfte oder Webshops erhältlich sein werden.
Weitere Kontaktverluste zu beklagen
Damit sei ein „schmerzlicher Verlust“ des Zugangs zum Kunden verbunden. Kunden hätten sich 2030 längst an ihre digitalen Assistenten gewöhnt. Damit würden Aufgaben wie der Abschluss einer Versicherung an diese ausgelagert. Dann heiße es: „Alexa, bitte bestell den Fernseher, den ich mir neulich angesehen habe, und schließe noch eine Garantieverlängerung über zwei Jahre ab, möglichst günstig“. Im Direktvertrieb würden zunehmend Chatbots vor allen Dingen für Commodity-Produkte eingesetzt. Anscheinend gibt es aber trotzdem noch Vermittler aus „Fleisch und Blut“, wie Bearing Point schreibt. Diese Vermittler würden beispielsweise mit Künstlicher Intelligenz (KI) arbeiten, um Leads zu generieren und so ihre Chancen im Vertrieb zu erhöhen. Welche Kunden dann noch aktiv und wie genau gewonnen werden sollen, bleibt aber unklar.
Kunden wollen über jeden digitalen Kanal reibungslos komunizieren
Eigentlich weisen die Forscher den Vermittlern eine vollkommen passive Rolle zu, die eher auf klassische Kundenberater passt. Zwar müssen diese „Prozessbegleiter“ umfängliches Wissen haben, denn sie sollen den Kunden in jeder „Position“ seines digitalen Versicherungskaufs zur Verfügung stehen. Solches Wissen lässt sich aber wohl auch aus Datenbanken abrufen. Die Berater „googlen“ dann wohl schnell, wenn es bei den Kunden im technischen Ablauf hakt. Die Kunden wollen nach Meinung der Forscher künftig über jeden digitalen Kanal „gleich gut und reibungslos mit dem Versicherungsunternehmen kommunizieren“.
Unklar bleibt, warum ausgerechnet Versicherer nach Meinung der Auguren im Bereich Gesundheit, Energieversorgung und Konsumgüterherstellung Initiatoren von neuen Ökosystemen sein sollen. Daher ist auch das Fazit zum Vertrieb etwas verwunderlich. So heißt es: „Der Vertrieb der Zukunft bleibt persönlich, er findet an allen Stellen der Customer Journey über alle Kanäle statt, und er nutzt die Kraft der Kooperation im digitalen Ökosystem.“ Eigentlich beschreibt die Studie aber eher das Gegenteil: Der Vertrieb wird weitgehend automatisiert und selbst komplexe Sparten können über KI selbst abgeschlossen werden.
Position der Aggregatoren ist unklar
Wenig aussagekräftig ist dann auch die Aussage, dass sich die Bedeutung von Aggregatoren, also von Check 24 & Co., im Jahr 2030 „auf einem gewissen Niveau stabilisiert“ hat. Geht man davon aus, dass, wie die Forscher schreiben, es künftig „selbstverständlich ist, dass sich Kunden über Preisportale vorab informieren und die Informationen in die Kaufentscheidung mit einbeziehen“, dann dürfte der Anteil der Aggregatoren am Versicherungsvertrieb gewaltig steigen. Insgesamt bleibt die Vision für den Versicherungsvertrieb des Jahre 2030 damit sehr pessimistisch.
Die Studie „Vision Versicherungen 2030 - Die Versicherungswelt in Deutschland“ hat 58 Seiten und befasst sich mit vielen weiteren Themen, wie neuen Geschäftsmodellen oder Schaden und Leistung. Besonders sinnvoll sind rund 50 Hashtags, die als Sprungstellen eine differenzierte Suche von A bis Z ermöglichen.
Autor(en): Uwe Schmidt-Kasparek