Die EIOPA hat analysiert, warum und bei wem sich Kunden besonders oft beschweren. Vermittler wird sehr interessieren, wie sie dabei wegkommen. Die deutschen Zahlen werfen Fragen auf.
Die Europäische Versicherungsaufsichtsbehörde EIOPA hat dieser Tage ihren aktuellen „Consumer Trends Report“ für das Jahr 2021 veröffentlicht. Darin identifiziert sie sechs Themenschwerpunkte, bei den die in der EIOPA organisierten Aufsichtsbehörden, unter anderem die deutsche Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), einen erhöhten Aufsichts- und Handlungsbedarf erkennen. Wie im Risikomanagement üblich, wurden diese sechs Trends in einer „Risk Heat-Map“ verdichtet dargestellt.
Greenwashing als neues Risiko – Ursache und Wirkung?
Am kritischsten bewertet die EIOPA das Thema fondsgebundene Versicherungen. Beklagt werden deren Komplexität und ein Mangel an Transparenz über das Verhältnis von Kosten und Nutzen. Ergänzt wird das um das Fokusthema Nachhaltigkeitsrisiken, wo EIOPA die Gefahr von Greenwashing wiederum bei fondsgebundenen Versicherungen sieht.
Das ist insofern bemerkenswert, als die Europäischen Institutionen an dem hohen Druck und dem dabei entstehenden Risiko, Produkte fälschlich als „grün“ oder sonst nachhaltig darzustellen, nicht unschuldig sind. Denn sie verpflichten die Versicherer und Anlagegesellschaften, sich an Regeln zu halten, bevor sie selbst die dafür notwendigen Technischen Regulierungsstandards vorlegen können. So warnt die Europäische Versicherungsaufsicht wohl vor einem selbstgeschaffenen Risiko.
Schadenprozesse werden besser
Die Corona-Pandemie beschleunigt die Digitalisierung, vor allem Entwicklung und Einsatz von digitalen Verkaufsprozessen und Künstlicher Intelligenz. Das sieht die EIOPA als zweischneidiges Schwert: Einerseits nützen standardisierte Prozesse den Kunden und können Kosten senken, andererseits können ethische Fragen bei der Nutzung von Technologie zulasten der Kunden ausgehen.
Eine gute Nachricht hat EIOPA in Sachen Schadenregulierung: Die Prozesse werden langsam besser. Auch hier soll die Digitalisierung einen erkennbaren Beitrag leisten, dass Schadenabwicklungen schneller und nutzerfreundlicher ablaufen.
Der Treue ist schon mal der Dumme
Offenbar aus dem britischen Markt übernommen wird die Warnung vor einem Trend jedenfalls in einigen Mitgliedsländern, über teils digitale Techniken Preisoptimierungen durchzuführen, die zulasten von treuen Bestandskunden gehen. In Großbritannien ist die Versicherungsaufsicht inzwischen dagegen eingeschritten und hat die Möglichkeiten stark beschränkt, Neukunden Vorzugskonditionen zu geben, die letztlich von den langjährigen Kunden quersubventioniert werden müssen.
Schließlich sieht die Europäische Aufsichtsbehörde besondere, neue Risiken in den Bereichen Pandemien und Klimawandel, die teilweise nicht mehr versicherbar sind. Das betreffe zwar nur einige Versicherungssparten, dort aber umso gravierender.
Im ausführlichen Bericht der EIOPA werden die Beobachtungen der 27 nationalen Aufsichtsbehörden näher begründet. Er liefert zudem eine Reihe interessanter Basisdaten.
Deutschland liefert lückenhafte Zahlen zu Beschwerden
Dazu zählt auch das Beschwerdeaufkommen über Versicherungen. Dieses ging geringfügig von 1,15 Millionen 2019 auf 1,14 Millionen Beschwerden 2020 zurück. Die Masse der Beschwerden, allein 1,08 Millionen, wurden direkt gegenüber Versicherungsunternehmen geäußert und registriert. Knapp 58.000 Beschwerden dagegen landeten bei den nationalen Aufsichtsbehörden oder den Ombudsleuten als Streitschlichtungsstellen.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Deutschland ähnlich wie schon bei den administrativen Sanktionen Meldeprobleme zu haben scheint. Die Beschwerden werden danach aufgeschlüsselt, welche Versicherungssparten beziehungsweise Produkte davon betroffen waren. Diese Aufschlüsselung kann die EIOPA allerdings nur für die gegenüber Behörden und Ombudsleuten geäußerten Beschwerden in Deutschland zeigen. Klare Beschwerdeschwerpunkte sind hierzulande die Kfz- und die Hausrat- und Wohngebäudeversicherung, was im internationalen Vergleich nicht untypisch ist.
Dagegen gibt es keine Verteilung bei den von deutschen Versicherungsunternehmen empfangenen Beschwerden. Hier scheint die BaFin keine Daten geliefert zu haben – oder gar nicht zu besitzen. In Deutschland beschränkt sich die öffentliche Wahrnehmung von Beschwerden wohl auf die gegenüber neutralen Institutionen wie BaFin selbst oder Ombudsleuten adressierten Eingaben. Was diesen vorangegangen ist, scheint in keiner veröffentlichungsfähigen Statistik zu landen. Das schaffen dagegen immerhin 14 der 27 EU-Nachbarländer.
Vermittlung relativ selten Beschwerdeverursacher
Weiter liefert die EIOPA eine Aufschlüsselung der Beschwerden nach Beschwerdeursache. Mit 54 Prozent an der Spitze stehen gegenüber beiden Kategorien der Beschwerdeadressaten Unmutsäußerungen der Kunden in Zusammenhang mit der Schadenregulierung. Mit weitem Abstand dahinter folgen Policierung und Vertragsverwaltung als Verursacher (11 Prozent). Gleichauf mit jeweils sechs Prozent Anteil liegen Deckungsumfang beziehungsweise Ausschlüsse sowie der oft gescholtene Verkauf (Sales). Rechnet man bei letzterem noch Provisionen und Gebühren als Beschwerdegrund hinzu, dann steht die Versicherungsvermittlung für gerade einmal acht Prozent aller Beschwerden.
Dagegen machen alle gemäß der Europäischen Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD definierten Aktivitäten des Vertriebs zusammengerechnet rund 81 Prozent der Beschwerdeursachen aus. Man könnte es so ausdrücken: Nur jede zehnte Beschwerde wegen Vertriebsaktivitäten ist unmittelbar im Vermittlungsprozess verursacht, neun von zehn Vertriebsbeschwerden dagegen durch die in den Versicherungsunternehmen verantworteten Kernprozesse.
Aufteilung der Beschwerdeursachen sollte zu denken geben
Es mag zwar sein, dass auch die ein oder andere Beschwerde zum Beispiel über den Deckungsumfang oder über die Schadenregulierung aus Missverständnissen resultiert, die schon in der Kundenberatung angelegt worden sind. Dennoch sollte die dargestellte Aufteilung der Beschwerdeursachen zu denken geben, ob die Richtung der Regulierungsaktivitäten zielführend ausfällt, wenn dabei Provisionen und ähnliche Vermittlungsthemen zum Fokus erklärt werden.
Autor(en): Matthias Beenken