Ein Ausschließlichkeitsvertreter wollte Provisionen nicht zurückzahlen, die er für Krankenversicherungen für Botschaftsangehörige erhalten hatte. Die Sache landete in zwei Instanzen vor Gericht.
Mit seinem Urteil vom 4. Juni 2021 (Az. U 5/18, r+s 5/2022, 296-300) hat das Kammergericht Berlin das vorausgehende Landgerichtsurteil im Wesentlichen bestätigt und dadurch den Versuch eines Vertreters vereitelt, der Stornohaftung zu entgehen.
Zur Rückzahlung von Abschlussprovisionen aufgefordert
Eine Vertriebsgruppe hatte einen ehemaligen Ausschließlichkeitsvertreter auf Rückzahlung von Abschlussprovisionen für die Vermittlung von Versicherungen an einen Krankenversicherer in Anspruch genommen hatte. Es ging dabei um knapp 139.000 Euro zuzüglich Zinsen.
Die Abschlussprovisionen waren an den Ausschließlichkeitsvertreter für die Vermittlung von Krankenvollversicherungen an die Angehörigen einer ausländischen Botschaft gezahlt worden. Aus der Urteilsbegründung erschließt sich, dass es sich um arabischsprachiges Personal gehandelt haben muss.
Diese Krankenversicherungen wurden allerdings vor Ablauf der gesetzlichen Stornohaftungszeit von fünf Jahren im September 2014 gekündigt. Der Versuch, die Kündigungen abzuweisen und auf einer fortgesetzten Zahlung der Prämien zu bestehen, galt wohl als aussichtslos. Das Kammergericht verweist auf die erheblichen, internationalen Verwicklungen, die ein Versuch einer Vollstreckung mit sich gebracht hätte.
Bei Abschluss des Vertretervertrags noch keine gesetzliche Frist
Der Vertreter versuchte dennoch der Stornohaftung dadurch zu entgehen, dass er sich auf seinen Vertretervertrag berief. Denn der war 2000/2001 vereinbart worden und sah eine Stornohaftung von lediglich einem einzigen Jahr vor, eine wohl auch damals marktunüblich geringe Stornohaftung, jedenfalls für Ausschließlichkeitsvertreter. Am 1. April 2012 allerdings wurde das Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) infolge auch des MEG-Skandals geändert und eine fünfjährige Stornohaftung verbindlich vorgeschrieben, ursprünglich im § 80 Abs. 5 VAG, heute ist das der § 49 VAG. Im Zuge dieser gesetzlichen Vorgabe hatte der Vertreter neue Provisionsbestimmungen erhalten.
Diesen neuen Provisionsbestimmungen widersprach der betroffene Vertreter mit einem Schreiben vom 26. April 2012 an den Vorstand der Versicherungsgesellschaft. Dieser Widerspruch wurde vom Versicherer mit einem Schreiben vom 9.5.2012 zurückgewiesen. Der Vertreter vermittelte dennoch nach dem Zugang dieses Schreibens die umstrittenen Krankenversicherungen für Botschaftsangehörige. Auch eine weitere, inhaltlich anders gelagerte Vertragsveränderung akzeptierte der Vertreter wenige Monate später. Das alles wertete das Gericht als Zustimmung zu den Bedingungen, zu denen der Versicherer nur noch bereit war, Krankenvollversicherungen anzunehmen.
Selbst ohne Änderung Vertretervertrag wirksam
Abgesehen davon hätte der Versicherer gar nicht anders handeln können. Denn die verlängerte Stornohaftung stand gar nicht zur Disposition, das VAG verpflichtet alle Krankenversicherer verbindlich zur Einhaltung und zur Veränderung bestehender Vertreterverträge. Diese Wirkung war genau so vom Gesetzgeber gewollt, wie auch mit Bezug auf die Gesetzesbegründung ausgeführt wird. Es hätte nicht einmal einer ausdrücklichen Änderung des Vertretervertrags bedurft, die neuen, verlängerten Stornohaftzeiten wären trotzdem wirksam geworden.
Auch der Versuch scheiterte, sich auf eine Altvertragsregelung zu berufen, wonach die Anwendung von fünfjähriger Stornohaftung dann nicht notwendig sei, wenn der Vertretervertrag selbst schon älter als fünf Jahre sei. Denn sonst würde entgegen dem Artikel 20 Abs. 3 Grundgesetz eine echte Rückwirkung des Gesetzes erreicht.
Das Gericht differenzierte zwischen Vertreter- und Versicherungsvertrag. Die Stornohaftung bezieht sich auf die Vermittlung von Versicherungsverträgen, und hier komme es lediglich darauf an, wann diese vermittelt wurden. Wären die Krankenversicherungen mindestens fünf Jahre vor Inkrafttreten der Neuregelung des VAG vermittelt worden, hätte es keine Rückwirkung gegeben, innerhalb der fünf Jahre aber sehr wohl – das sei eine zulässige, unechte Rückwirkung. Aber selbst das spielte hier gar keine Rolle, denn die streitgegenständlichen Krankenversicherungen wurden nach Änderung des VAG vermittelt.
Keine Umdeckungen in der Ausschließlichkeit?
Weiter setzte sich das Gericht mit dem Argument auseinander, die verlängerte Stornohaftung verfolge lediglich die Absicht, Umdeckungen von einer zur anderen Versicherungsgesellschaft zu verfolgen, was bei einem Ausschließlichkeitsvertreter vertraglich gar nicht zulässig sei. Allerdings differenziert das VAG nicht nach der vertraglichen Bindung der betroffenen Vermittler, die fünfjährige Stornohaftung soll offensichtlich ohne Einschränkung auch für Ausschließlichkeitsvertreter gelten.
Und selbst in der Ausschließlichkeit seien „belästigende Umdeckungen innerhalb des Angebots eines Versicherers denkbar“, so das Kammergericht. Und abgesehen davon spielt es nach gegenwärtiger Gesetzeslage keine Rolle, aus welchen Gründen ein Krankenversicherungsvertrag vorzeitig beendet wurde, es muss also nicht zwingend eine Umdeckung vorgelegen haben.
Tücken der Einmalprovision
Insgesamt zeigt das Urteil einmal mehr, dass das traditionelle Vergütungssystem in der Krankenversicherung zu erheblichen Problemen für die Betroffenen führen kann. Die einseitige Fixierung auf die bei Vertragsbeginn fälligen Abschlussprovisionen kann sowohl die Versichertengemeinschaft im Fall einer frühzeitigen Stornierung mit erheblichen Verlustrisiken belasten als auch den betroffenen Vermittler in den Ruin treiben.
Mit einer Verteilung mindestens von Teilen der Abschlussvergütung auf einen mehrjährigen Zeitraum, beispielsweise analog der Stornohaftungszeit, wären diese Risiken zu begrenzen.
Autor(en): Matthias Beenken