Studie: Durch die Versicherungsbranche muss ein Ruck gehen

Die deutsche Versicherungsbranche steht nach den negativen Entwicklungen der letzten Jahre unter Druck: Sie muss neue Wachstumsfelder identifizieren, Stückkosten senken und vor allem Vertriebskosten optimieren. So die Studie „Standortbestimmung Versicherungsmarkt Deutschland 2013“ der Managementberatung Oliver Wyman.

Angesichts rückläufiger Kapitalanlageergebnisse und zusätzlicher Reserveanforderungen sei sie darüber hinaus gefordert, ihren Kunden mit neuen Leben-Produkten und Transparenz zu begegnen. Zudem müssen die Versicherer Wege finden, die Branche wieder attraktiv für junge Talente zu machen, um die Überalterung der Belegschaften aufzuhalten.

Oliver Wyman hat in einer Branchenstudie die Entwicklung des Versicherungssektors in Deutschland von 2005, also vor Ausbruch der Finanzkrise, bis 2011 analysiert. Während sich einzelne Unternehmen sehr erfolgreich am Markt behaupten konnten, würden die Analysen eine Reihe von Problemfeldern der Branche aufdecken:

  • Neue Wachstumsfelder identifizieren: Kein Sektor kann auf Dauer ohne Wachstum prosperieren. Aber in der Sachversicherung in Deutschland sind seit 2005 die Prämieneinnahmen inflationsbereinigt um neun Prozent geschrumpft, ebenso sind die Stückzahlen um circa drei Prozent zurückgegangen. 2012 entwickelte sich die Schaden- und Sachversicherung besser, es bleibt allerdings offen, ob dieses Wachstum bereits eine nachhaltige Trendwende bedeutet.
    In der Lebensversicherung wuchsen die Prämieneinnahmen seit 2005 inflationsbereinigt nur um drei Prozent, getrieben von volatilen Einmalprämien mit oft kurzer Laufzeit. Dieses Wachstum ist angesichts der niedrigen Penetration relativ zum Bruttoinlandsprodukt gering, insbesondere angesichts des Potenzials von betrieblicher Altersvorsorge und Risikoschutz.
  • Kosteneinsparungen in Stückkostenverbesserungen übersetzen: Versicherer haben mit entschiedenen Effizienzprogrammen auf die Stagnation reagiert. Seit 2003 fielen rund 29.000 Stellen im Sektor weg, circa 12 Prozent der Mitarbeiter. Die Verwaltungskostenquoten sind seit 2005 in der Lebensversicherung deutlich um 24 Prozent gesunken. In der Sachversicherung ist die Quote stabil geblieben. Jedoch bedeutet dies in vielen Sparten immer noch steigende Stückkosten. Von allen Unternehmen konnten seit 2005 67% der Lebensversicherer und immerhin 44 Prozent der Sachversicherer die Verwaltungskostenquote verbessern – dies gelang jedoch zu allererst jenen Unternehmen, die in stagnierendem Marktumfeld dennoch weiterhin Wachstum erzielten.
  • Vertriebskosten senken: Problematisch ist, dass zwar die Verwaltungskosten verbessert wurden, die Provisionen aber weiter gestiegen sind: seit 2005 in der Sachversicherung um ca. zehn Prozent, in der Lebensversicherung um circa 13 Prozent. Insgesamt macht der Anteil der Provisionen in der Sachversicherung knapp 50 Prozent, in der Lebensversicherung knapp 60 Prozent der gesamten Betriebskosten aus. Bedingt durch die Niedrigzinsentwicklung gibt es vor allem in der Lebensversicherung weniger Volumen, um das hohe Provisionsniveau zu finanzieren. Dieser Trend gefährdet die Attraktivität der Produkte für Kunden.
    Die aktuellsten Entwicklungen zeigen, dass die Versicherer diese Schwierigkeit erkannt haben, denn im Bereich Leben bahnt sich eine Kehrtwende an. Die Versicherer diskutieren eine gesetzliche Höchstgrenze für Provisionszahlungen, um die Vertriebskosten zu senken und gleichzeitig ein Totalverbot von Vermittlerprovisionen wie in anderen Ländern zu umgehen.
  • Attraktivität der Lebensversicherung erhöhen: Lebensversicherungs-produkte sind in ihrer derzeitigen Ausgestaltung häufig zweifach unerfreulich: für den Kunden mangels attraktiver Renditechancen und für den Versicherer aufgrund der hohen Kapitalbelastung. Diese Kombination verspricht weitere Probleme in der Lebensversicherung, in einem Umfeld, das private Vorsorge immer wichtiger werden und deswegen attraktive Marktchancen erwarten lässt.
    Dieser Widerspruch muss aufgelöst werden, um der Lebensversicherung neue Absatzchancen zu sichern. Dies braucht gesellschaftliche und gesetzliche Veränderungen ebenso wie grundsätzliche unternehmensinterne Weichenstellungen hin zu Einfachheit, Transparenz und neuen Garantielösungen (die aber weiterhin echte Garantien vom Versicherer an den Kunden sein können).
  • Kapitalanlageergebnisse stabilisieren: Die Kapitalanlageergebnisse sinken im aktuellen Zinsumfeld und bei der dominierenden Veranlagung in risikoarmen, festverzinslichen Wertpapieren unvermeidlich. Damit fehlt ein wichtiger Ergebnisbeitrag und eine Kompensation der hohen Combined Ratio durch die Kapitalanlage ist nicht mehr möglich. In der Lebensversicherung bestehen zudem die Herausforderungen aus dem de facto nicht mehr bestehenden Renditeabstand zwischen langfristiger Rendite auf Staatsanleihen und Garantieverzinsung. Dies wird insbesondere Versicherer mit geringen Puffern bei Fortschreibung des aktuellen Umfelds in Bedrängnis bringen.
  • Attraktivität am Arbeitsmarkt erhöhen und neue Talente gewinnen: 2011 waren circa 25 Prozent aller Innendienstmitarbeiter älter als 50 Jahre, im Außendienst lag der Anteil sogar bei 27 Prozent. Diese Anteile sind deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung. Der Bedarf an qualifizierten Fachkräften läuft jedoch Gefahr, nicht gedeckt werden zu können, denn am Arbeitsmarkt sind Versicherungen nicht sehr attraktiv. Zum Beispiel findet sich unter den 100 beliebtesten Arbeitgebern für Wirtschaftswissenschaftler erst auf Rang 33 eine Versicherung.

Für den Sektor insgesamt schlägt die Studie fünf zentrale Aktivitäten vor, um die diese mögliche Negativspirale zu durchbrechen und die Chancen im deutschen Versicherungsmarkt auszuschöpfen:

1. Nachfrage nach Risikoabsicherung gezielt dort bedienen, wo sie emotional entsteht und somit Wachstumsimpulse auslösen;

2. Neue Vertriebsformen und Vergütungsmodelle einführen, um Vertriebskosten in den Griff zu bekommen, Compliance-Anforderungen zu gewährleisten und Wachstumsvoraussetzungen zu schaffen;

3. Die Wertschöpfungskette grundsätzlich hinterfragen, um in alternative Kostenstrukturen zu gelangen;

4. Am Kapitalmarkt Alternativen zu niedrig verzinsten Staatsanleihen suchen, wie die verstärkte Investition in Sachwerte oder Anlagen, die mit Sachwerten besichert sind, um bei vertretbarem Risiko die Rendite zu steigern;

5. Forciert um Talente werben und ältere Mitarbeiter aktiv halten, um der Demographie-Falle zu entkommen.

Hintergrundinformationen
Die Studie fasst die Daten von 2005 bis Ende 2011 zusammen. In der Zwischenzeit hat in der Sachversicherung eine Trendwende in den quantitativen Ergebnissen der deutschen Versicherungswirtschaft stattgefunden. Auch im Bereich Leben kommt durch die Diskussion um eine Provisionsdeckelung Bewegung in das Thema der Vertriebskosten und erhöht den Handlungsdruck auf die Versicherer.



Quelle: Oliver Wyman; Bild: © Stephanie Hofschläger /

Autor(en): versicherungsmagazin.de

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