Statistik ersetzt keine Vorsorgeanalyse

Mit "Schlaumeier-Debatte aus dem Elfenbeinturm" betitelte Detlef Pohl am 16. August 2007 im Versicherungsmagazin eine polemische Kritik am GDV. Dieser hatte die Auffassung in der Zeitschrift "Positionen" zurückgewiesen, dass die durchschnittlichen Versicherungssummen im Hinterbliebenen- und Berufsunfähigkeitsschutz ganz wesentlich Ausdruck systematischer Fehlberatung seien. Pohl zitierte dazu Manfred Poweleit, der den Versicherern vorwirft, dass selbst gesetzliche und durchschnittlich versicherte private Leistungen zusammen unzureichend seien, um bei Tod oder Berufsunfähigkeit eines durchschnittlichen Arbeitsnehmers dessen Familie vor Armut zu schützen. Dazu referierte er durchschnittliche Zahlbeträge von 370 Euro Witwenrente und 680 Euro Berufsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rente.

Abgesehen davon, dass die durchschnittlich gezahlte Witwenrente mit 540 Euro Ende 2006 deutlich höher lag als von Poweleit beschrieben, ist die daraus gezogene Schlussfolgerung falsch. Denn grundsätzlich kommt es bei Vorsorgeanalysen nicht auf die Rentenzahlbetragsstatistik sondern auf individuell zu erwartende Leistungen an. So werden statistische Zahlbeträge durch Minianwartschaften etwa von Beamten oder Selbständigen mit wenigen Versicherungsjahren oder durch Einkommensanrechnungen verzerrt, etwa weil ein Hinterbliebener berufstätig oder selbst Rentenbezieher ist.

Noch gravierender ist, dass diese Zahlen überhaupt nichts über die Vorsorgesituation von Familien aussagen: So tritt bei einer jungen Ehefrau bei gleichzeitiger Mutterschaft an die Stelle der kleinen die "große Witwenrente" (etwa 600 Euro bei Durchschnittsverdienern). Dazu kommen Halbwaisenrenten (200 Euro) und Kindergeld (150 Euro). Eine Witwe mit Kind kann also durchschnittlich 950 Euro an staatlichen Leistungen erwarten und nicht nur 370 bzw. 540 Euro. Dazu kommen noch etwaige eigene Erwerbseinkünfte und bei niedrigen Gesamteinkünften Wohngeldansprüche. Zudem haben viele Arbeitnehmer Anwartschaften auf Betriebsrenten, die meist Hinterbliebenenleistungen einschließen, von der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst und der Beamtenversorgung gar nicht zu reden.

Jenseits dieser zu erwartenden Einnahmen sind noch das vorhandene Geld- oder Immobilienvermögen zu berücksichtigen (2003 je Arbeitnehmerhaushalt netto nach Schulden 120.000 Euro), um das Maß individuell erforderlicher zusätzlicher Vorsorge über Lebensversicherungen abzuschätzen. Allerdings springt eine Analyse der durchschnittlichen Vorsorgesituation von Familien auch zu kurz, wenn sie einen durchschnittlichen Lebensversicherungsschutz von nur 25.000 Euro annimmt. Zwar ist dies die durchschnittliche Versicherungssumme aller Kapital- und Risikolebenspolicen. Da es bei 24,5 Millionen Mehrpersonenhaushalten aber 60 Millionen entsprechender Verträge gibt, hat die durchschnittliche Familie mehr als nur eine Police.

Auch bei der Betrachtung der Erwerbsunfähigkeitsversorgung hilft die Statistik allein nicht weiter. Während dort der mittlere Zahlbetrag von 680 Euro ebenfalls durch Minianwartschaften und Einkommensanrechnungen verzerrt wird, beträgt die erwartbare gesetzliche Erwerbsminderungsrente eines Arbeitnehmers mit durchschnittlichem Einkommen über 940 Euro. Dazu kommen in vielen Haushalten Betriebsrentenanwartschaften, Ersparnisse, Wohneigentum, Einkünfte des Partners, Kindergeld und bei geringen Gesamteinkünften Wohngeldansprüche. Während mancher Arbeitnehmer das für sich für ausreichend halten mag - auch angesichts der im konkreten Fall von Beruf und Alter abhängigen Kosten privater BU-Renten, versichern andere - insbesondere Hochqualifizierte - zur Wahrung von Lebensstandard und beruflichem Status hohe Summen. Für andere Kunden machen auch kleinere Berufsunfähigkeitsrenten Sinn, um damit die private Altersvorsorge abzusichern oder gesetzliche Erwerbsminderungsrenten aufzustocken. Zudem helfen sie, falls nur Berufsunfähigkeit gegeben und folglich keine gesetzliche Erwerbsminderungsrente zu erwarten ist, etwaig sinkende Einkünfte nach einer Umschulung auszugleichen.

Im Ergebnis ist für viele Menschen ergänzender privater Todesfall- und Berufsunfähigkeitsschutz zur Lebensstandardsicherung unverzichtbar. Statistische Pauschalurteile helfen jedoch nicht; nötig ist immer eine individuelle Vorsorgeanalyse. Die Empfehlung des Vermittlers ist dann was sie ist: eine Empfehlung. Die Entscheidung der Kunden über das tatsächliche Maß zusätzlicher Vorsorge bleibt angesichts meist limitierter Mittel das Ergebnis einer privatautonomen Abwägung von Kosten und Nutzen mit anderen Konsum- und Vorsorge-Notwendigkeiten.

Autor(en): Peter Schwark, GDV

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