Solvency II wird nach Ansicht von Helmut Gründl, Professor und Versicherungswissenschaftler der Humboldt-Universität zu Berlin, nicht nur das Aufsichtswesen, sondern die Branche als Ganzes grundlegend verändern. Die Auswirkungen werden alle Bereiche der Unternehmen betreffen – vom Risikomanagement über die Produktgestaltung bis zum Vertrieb -, zeigte sich der Experte anlässlich eines Fachgesprächs in Berlin sicher.
Bei der Veranstaltung, organisiert vom Versicherungswissenschaftlichen Netzwerk Berlin, diskutierten neben Gründl auch Thomas Schubert, Leiter der Abteilung Risikomanagement beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), und Martina Backes, Vorstandsmitglied der in Berlin ansässigen Skandia Lebensversicherung, und nahmen zu diesem Problem Stellung.
Risiko-Kultur ist erforderlich
Außer der Tatsache, dass unter Solvency II die Eigenmittelanforderungen steigen werden bzw. sich die Bilanz unter Markwertbetrachtung komplett ändern wird, spielen für Schubert vor allem die qualitativen Anforderungen aus der Säule II sowie das neue Berichtswesen (Säule III) eine entscheidende Rolle. Es gehe darum, eine Risiko-Kultur zu entwickeln sowie zu einer Aufsicht nach Augenmaß – also einer differenzierten Betrachtung der Unternehmen nach Risikolage – zu kommen. Die Kapitalausstattung sei zwar wichtig für die Sicherheit von Unternehmen, die Qualität des Managements aber, und das sei eine Lehre aus der Krise, mindestens ebenso.
In Deutschland habe man die komfortable Situation, dass durch die Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) bereits im Vorgriff auf Solvency II viele Standards schrittweise umgesetzt würden und somit ein gleitender Übergang möglich sei. Dennoch sei Solvency II ein Thema, dass die Unternehmen noch über Jahre beschäftigen werde, so Schubert. Im Zentrum stehe die sichere Identifikation und Prüfung von Risiken.
Dazu sei es notwendig, die entsprechenden Prozesse im Gesamtunternehmen zu installieren, verantwortliche Gremien zu bestimmen und das Berichtswesen zu verändern. Künftig werde von den Unternehmen eine viel differenziertere und weiter gehende Berichterstattung gegenüber der Aufsicht und der Öffentlichkeit gefordert. Dies sei ein Mittel, um Unternehmen im Zweifel zu diszipliniertem Wirtschaften zu zwingen. Die Betrachtung der Ruin-Wahrscheinlichkeit und des Unternehmens als Gesamtheit durch Solvency II sei im Übrigen ein Vorbild für Basel II, das adäquat im Bankenbereich angewendet wird.
2012 wird Solvency II verbindlich
Was den Stand der Umsetzung von Solvency II betrifft, sei gerade das Konsultationsverfahren der 27 europäischen Aufsichtsbehörden mit Berichten an die Europäische Kommission zu Ende gegangen. Hierbei sei, so Schubert, kritisch zu beobachten, dass manche der Aufseher offenbar nur HGB-Werte statt der geforderten Marktbewertung berücksichtigen und etwa Schwankungsrückstellungen außen vor lassen wollen. Zudem müssten etwaige Aufschläge auf das geforderte Risikokapital für den Fall, dass das Risikomanagement nicht den Anforderungen entspricht (Säule II), rechtssicher gestaltet werden.
Außerdem müsse verhindert werden, dass sich das Risiko-Berichtswesen vom Umfang her zu einem zweiten Geschäftsbericht auswächst. Hier müsse noch nachgedacht werden. Ende 2012, so der Zeitplan, werde Solvency II verbindlich für Unternehmen sein. Eine Alternative dazu gäbe es nicht, es sei denn, man wolle weiterhin einen zersplitterten europäischen Markt. Für Kunden bedeute Solvency II ein höheres Maß an Sicherheit, dass etwa ihr in eine Lebensversicherung eingezahltes Geld auch nach 30 oder 50 Jahren noch sicher ist.
Management steht an vorderster Front
Für ihr Unternehmen berichtete Martina Backes darüber, wie die Anforderungen an das Risikomanagement umgesetzt werden können. An vorderster Front (First Line of Defence) stünde das Management. Heißt: Jeder Verantwortliche in seinem Bereich müsse die Risiken kennen und beurteilen. Dahinter würden unabhängige Instanzen wie Compliance Officer (Second Line) und die Innenrevision sowie Wirtschaftsprüfer (Third Line) ins Spiel kommen.
Wichtig sei, dass das Management an beide Instanzen unabhängig berichte und die Zusammenarbeit aller Beteiligten effizient organisiert sei. Üblich in der zur Old Mutual-Gruppe gehörenden Skandia seien bereits seit Jahren eine jährliche Risiko-Inventur mit Quartals-Updates, ein internes Risiko-Reporting, Sofortberichterstattungen der zentralen und dezentralen Risiko-Officers, das Eskalationsprinzip bei wesentlichen Risiken und vieles mehr. Jetzt gehe es darum, die Dokumentationsphase zu verbessern und sich hier auf Standards zu einigen, etwa die Frage zu klären, was ein „wesentlicher Prozess“ ist, so Backes.
Beispielsweise sei die Provisionsabrechnung ein Prozess, an dem mehrere Abteilungen beteiligt seien. Hier müsse das Vorgehen zusammengeführt und einheitliche gehandhabt werden. Aber auch die Produktentwicklung als wichtigster Prozess im Versicherungsgeschäft müsse strengen Kontrollen unterliegen. Unter Solvency II, ist die überzeugt, müsse bereits während des Produktentwicklungsprozesses der Risikomanager eingeschaltet werden, um die Risiken, die ein neues Produkt in sich birgt, beurteilen zu können.
Zu denken sei hier etwa an Verwaltungskosten, Kosten der Umstellung, unklare Bedingungsformulierungen oder auch Risiken, die sich aus dem Vertrieb ergeben. Diese könnten entstehen, wenn etwa von einem bestimmten Produkt zu viele Verträge abgeschlossen würden und daraus versicherungstechnische Risiken – etwa beim Thema Langlebigkeit – entstünden. „Entsprechend muss der Gesamtprozess vorher durchdacht werden und alle daran beteiligten Disziplinen zusammen wirken“, ist Backes überzeugt.
Bei der Veranstaltung, organisiert vom Versicherungswissenschaftlichen Netzwerk Berlin, diskutierten neben Gründl auch Thomas Schubert, Leiter der Abteilung Risikomanagement beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), und Martina Backes, Vorstandsmitglied der in Berlin ansässigen Skandia Lebensversicherung, und nahmen zu diesem Problem Stellung.
Risiko-Kultur ist erforderlich
Außer der Tatsache, dass unter Solvency II die Eigenmittelanforderungen steigen werden bzw. sich die Bilanz unter Markwertbetrachtung komplett ändern wird, spielen für Schubert vor allem die qualitativen Anforderungen aus der Säule II sowie das neue Berichtswesen (Säule III) eine entscheidende Rolle. Es gehe darum, eine Risiko-Kultur zu entwickeln sowie zu einer Aufsicht nach Augenmaß – also einer differenzierten Betrachtung der Unternehmen nach Risikolage – zu kommen. Die Kapitalausstattung sei zwar wichtig für die Sicherheit von Unternehmen, die Qualität des Managements aber, und das sei eine Lehre aus der Krise, mindestens ebenso.
In Deutschland habe man die komfortable Situation, dass durch die Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) bereits im Vorgriff auf Solvency II viele Standards schrittweise umgesetzt würden und somit ein gleitender Übergang möglich sei. Dennoch sei Solvency II ein Thema, dass die Unternehmen noch über Jahre beschäftigen werde, so Schubert. Im Zentrum stehe die sichere Identifikation und Prüfung von Risiken.
Dazu sei es notwendig, die entsprechenden Prozesse im Gesamtunternehmen zu installieren, verantwortliche Gremien zu bestimmen und das Berichtswesen zu verändern. Künftig werde von den Unternehmen eine viel differenziertere und weiter gehende Berichterstattung gegenüber der Aufsicht und der Öffentlichkeit gefordert. Dies sei ein Mittel, um Unternehmen im Zweifel zu diszipliniertem Wirtschaften zu zwingen. Die Betrachtung der Ruin-Wahrscheinlichkeit und des Unternehmens als Gesamtheit durch Solvency II sei im Übrigen ein Vorbild für Basel II, das adäquat im Bankenbereich angewendet wird.
2012 wird Solvency II verbindlich
Was den Stand der Umsetzung von Solvency II betrifft, sei gerade das Konsultationsverfahren der 27 europäischen Aufsichtsbehörden mit Berichten an die Europäische Kommission zu Ende gegangen. Hierbei sei, so Schubert, kritisch zu beobachten, dass manche der Aufseher offenbar nur HGB-Werte statt der geforderten Marktbewertung berücksichtigen und etwa Schwankungsrückstellungen außen vor lassen wollen. Zudem müssten etwaige Aufschläge auf das geforderte Risikokapital für den Fall, dass das Risikomanagement nicht den Anforderungen entspricht (Säule II), rechtssicher gestaltet werden.
Außerdem müsse verhindert werden, dass sich das Risiko-Berichtswesen vom Umfang her zu einem zweiten Geschäftsbericht auswächst. Hier müsse noch nachgedacht werden. Ende 2012, so der Zeitplan, werde Solvency II verbindlich für Unternehmen sein. Eine Alternative dazu gäbe es nicht, es sei denn, man wolle weiterhin einen zersplitterten europäischen Markt. Für Kunden bedeute Solvency II ein höheres Maß an Sicherheit, dass etwa ihr in eine Lebensversicherung eingezahltes Geld auch nach 30 oder 50 Jahren noch sicher ist.
Management steht an vorderster Front
Für ihr Unternehmen berichtete Martina Backes darüber, wie die Anforderungen an das Risikomanagement umgesetzt werden können. An vorderster Front (First Line of Defence) stünde das Management. Heißt: Jeder Verantwortliche in seinem Bereich müsse die Risiken kennen und beurteilen. Dahinter würden unabhängige Instanzen wie Compliance Officer (Second Line) und die Innenrevision sowie Wirtschaftsprüfer (Third Line) ins Spiel kommen.
Wichtig sei, dass das Management an beide Instanzen unabhängig berichte und die Zusammenarbeit aller Beteiligten effizient organisiert sei. Üblich in der zur Old Mutual-Gruppe gehörenden Skandia seien bereits seit Jahren eine jährliche Risiko-Inventur mit Quartals-Updates, ein internes Risiko-Reporting, Sofortberichterstattungen der zentralen und dezentralen Risiko-Officers, das Eskalationsprinzip bei wesentlichen Risiken und vieles mehr. Jetzt gehe es darum, die Dokumentationsphase zu verbessern und sich hier auf Standards zu einigen, etwa die Frage zu klären, was ein „wesentlicher Prozess“ ist, so Backes.
Beispielsweise sei die Provisionsabrechnung ein Prozess, an dem mehrere Abteilungen beteiligt seien. Hier müsse das Vorgehen zusammengeführt und einheitliche gehandhabt werden. Aber auch die Produktentwicklung als wichtigster Prozess im Versicherungsgeschäft müsse strengen Kontrollen unterliegen. Unter Solvency II, ist die überzeugt, müsse bereits während des Produktentwicklungsprozesses der Risikomanager eingeschaltet werden, um die Risiken, die ein neues Produkt in sich birgt, beurteilen zu können.
Zu denken sei hier etwa an Verwaltungskosten, Kosten der Umstellung, unklare Bedingungsformulierungen oder auch Risiken, die sich aus dem Vertrieb ergeben. Diese könnten entstehen, wenn etwa von einem bestimmten Produkt zu viele Verträge abgeschlossen würden und daraus versicherungstechnische Risiken – etwa beim Thema Langlebigkeit – entstünden. „Entsprechend muss der Gesamtprozess vorher durchdacht werden und alle daran beteiligten Disziplinen zusammen wirken“, ist Backes überzeugt.
Autor(en): Elke Pohl