Die EU-Kommission will, dass Versicherungsunternehmen riskante Anlagen künftig mit mehr Eigenkapital unterlegen. Das betrifft in erster Linie Lebensversicherungen mit meist langlaufenden Garantien. Die Kommission hat folglich eine Überarbeitung des Kapital- und Aufsichtsregelwerks "Solvency II" vorgeschlagen. Manche Branchenkenner befürchten, dass diese Veränderung aber dramatische Folgen für die Lebensversicherer und ihre Produkte haben kann.
Ein Kernpunkt des 102-seitigen EU-Papiers: Versicherungsunternehmen müssen riskante Anlagen künftig mit mehr Eigenkapital unterfüttern. Vor allem langlaufende Lebensversicherungen würde diese Maßnahme betreffen. Die Kommission schlägt vor, dass die neuen Maßnahmen bis 2032 schrittweise eingeführt werden sollen. So soll eine "Erschütterung des Marktes“ vermieden werden", so der Tenor des Richtlinienentwurfs.
Im Detail geht es um die so genannte Extrapolation der Zinsstrukturkurve. Übersetzt heißt dies, dass die Versicherer bei der Kalkulationen ihrer Policen länger davon ausgehen sollen, dass die Zinsen so extrem niedrig bleiben wie aktuell.
Müssen für ihre bestehenden Policen höhere Rückstellungen bilden
Und nicht nur das. Die Versicherungsunternehmen müssen für ihre bestehenden Policen höhere Rückstellungen bilden. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) ist über diese Entwicklung not amused. Schon als die EU-Versicherungsaufsicht EIPOA vor geraumer Zeit diese Änderung vorschlug, warnte der Verband davor. Doch diese Warnung wurde wohl nicht gehört, denn sie hat nun Eingang in dem jetzigen Gesetzentwurf gefunden.
Die derzeitigen Eigenkapitalvorschriften gelten noch nicht so lange, erst seit 2016. Trotzdem hat die EU-Kommission nun eine Überarbeitung des Kapital- und Aufsichtsregelwerks "Solvency II" vorgeschlagen. Denn seitdem die Notenbanken in den USA und der Eurozone ihre Leitzinsen auf null gesenkt haben, leiden besonders Lebensversicherer unter dieser Entscheidung. Sie mussten die garantierte Verzinsung für ihre Kunden immer weiter kürzen. In Folge dieser Konstellation ist nach Ansicht der Kommission eine Überarbeitung des Regelwerkes fällig.
Aber der Gesetzesvorschlag der Kommission liefert auch positive Nachrichten, denn es soll wohl auch Erleichterungen geben. So soll eine neue Kategorie von Versicherungsunternehmen eingeführt werden. Dies sollen Anbieter mit wenig riskanten Geschäftsmodellen sein, die darum auch weniger hart reguliert werden. Außerdem könnten Aufseher Versicherer in Zukunft großzügiger behandeln, wenn die Konzerne ihr Geld in ökologische oder soziale Investments stecken.
Die EIOPA in Frankfurt soll bis 2023 eine Untersuchung präsentieren, ob für grüne und soziale Anlagen derartige Vorteile gerechtfertigt wären.
Sehen langfristige Investitionen der Versicherer beeinträchtigt
Schon im März dieses Jahres zeigt sich der GDV wenig erfreut über die Idee der EIOPA, den Langfristzins in Solvency II mit einer neuen Methode berechnen zu lassen. Sie befürchtete damals, dass „dies langfristige Investitionen der Versicherer beeinträchtigen könnte – und damit deren Rolle als Kapitalgeber für wichtige EU-Projekte wie den Green Deal“.
Weiterhin warnte der Verband davor, dass die Auswirkungen möglicher Änderungen weitreichend seien. Im Ergebnis laufe der EIOPA-Vorschlag zur mathematischen Extrapolation der Zinskurve auf eine signifikante Verschärfung der Lage hinaus. Für die Unternehmen hätte dies zur Folge, dass sie länger mit niedrigeren Zinsen rechnen und erheblich mehr Eigenmittel als bislang vorhalten müssten – obwohl für so lange Zeiträume keine belastbaren Daten zur Verfügung stünden. Zudem würde die Zinskurve mit geringerer Datenbasis volatiler und prozyklischer – die stabilisierende Wirkung der Versicherungswirtschaft als langfristiger Investor wäre folglich beeinträchtigt. Die Absage des Gesamtverbandes an den EIOPA-Vorstoß gipfelte dann in der Überschrift: „EIOPA-Vorschlag behindert europäische Investitionspläne“.
Und auch jetzt meldete sich der GDV wieder zu Wort und kritisierte den Kommissionsvorschlag als nicht durchdacht, insbesondere die genaue Berechnung der künftigen Zinskurve und die daraus resultierenden Kapitalanforderungen seien unklar. Doch „die genaue Ausgestaltung dieser Kapitalanforderungen ist entscheidend für langlaufende Produkte wie Lebensversicherungen", monierte GDV-Chef Jörg Asmussen die EU-Initiative. Gut hingegen findet Asmussen die Erleichterungen, die es für kleine Versicherer geben soll. Eine angedachte Vorzugsbehandlung für grüne Investments lehnte er jedoch ab, da auch diese nicht immer risikofrei seien.
Fortschreitende Kapitalmarktunion wichtig für grüne und digitale Zukunft
Die für Finanzdienstleistungen, Finanzstabilität und die Kapitalmarktunion zuständige Kommissarin Mairead McGuinness sieht die Entscheidung dagegen positiv: „Der Vorschlag wird die Versicherungsbranche in die Lage versetzen, ihr Potenzial zur Unterstützung der EU-Wirtschaft auszuschöpfen. Außerdem fördern wir die Teilnahme der Versicherungsunternehmen an den Kapitalmärkten der EU, sodass langfristige Investitionen bereitgestellt werden, die für eine nachhaltige Zukunft von großer Bedeutung sind. Die fortschreitende Kapitalmarktunion ist sehr wichtig für unsere grüne und digitale Zukunft. Dabei tragen wir auch der Verbraucherperspektive gebührend Rechnung. Somit können die Versicherungsnehmer sicher sein, dass sie in Zukunft besser geschützt sind, wenn ihr Versicherer in Schwierigkeiten gerät.“
Quellen: BaFin, GDV, Handelsblatt, Süddeutsche Zeitung, Tagesschau
Autor(en): Meris Neininger