"Riester ist in der bisherigen Form gescheitert"

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Ende September wird ein eine neue Regierung gewählt. Ginge es nach den Versicherungsmaklern, bekäme Deutschland eine Regierung mit einer klaren marktwirtschaftlichen Orientierung. Die Wahl wird aber natürlich nicht allein mit den Stimmen der Versicherungsmakler entschieden. Welche Regierungskonstellationen wahrscheinlich sind und damit, was auf die Assekuranz zukommen könnte, zeigen aktuelle Gesamtumfragen.

Für die Regierungsbildung bräuchten CDU/CSU allerdings neben der FDP mit zehn Prozent einen weiteren Partner, entweder Bündnis 90/Die Grünen mit 20 Prozent oder die SPD mit 15 Prozent. Für GrünRot-Rot fehlt laut den Umfragen die Mehrheit.

Heute im Interview von versicherungsmagazin.de mit Stefan Schmidt, Finanzausschuss des Bundestags, Bündnis 90/Die Grünen.

Die Gesetzliche Rentenversicherung hat ein Finanzierungsproblem, das sich auch noch massiv ausweiten wird. Dies ist bereits seit längerem bekannt. Wie sehen Ihre Pläne für die gesetzliche Rente aus?
Wir wollen eine verlässliche Alterssicherung, die allen Menschen ein gutes und selbstbestimmtes Leben im Alter gewährleistet. Das ist für uns Grüne eine Frage der Gerechtigkeit und der Würde. Darum wollen wir die gesetzliche Rentenversicherung stärken und schrittweise zu einer Bürgerversicherung ausbauen. Um die gesetzliche Rente auf eine breitere Finanzierungsbasis zu stellen, wollen wir die Frauenerwerbstätigkeit unter anderem durch ein Rückkehrrecht in Vollzeit erhöhen, ein echtes Einwanderungsgesetz schaffen und die Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmer*innen verbessern. Grundsätzlich halten wir an der Rente mit 67 fest. Wir wollen es Menschen aber leichter machen, selbst darüber zu entscheiden, wann sie in Rente gehen wollen, auch über die Regeleintrittsgrenze hinaus.

Um die Belastungen der Versicherten und der Arbeitgeber*innen zu begrenzen, sollen bei Bedarf die Steuerzuschüsse erhöht werden. Die Rente muss den Lebensstandard sichern. Deswegen wollen wir das gesetzliche Rentenniveau dauerhaft mindestens auf dem heutigen Stand stabilisieren, also bei mindestens 48 Prozent. Damit die Rente vor Armut schützt, werden wir die komplizierte Grundrente, auf die nur Wenige einen Anspruch haben, zu einer Garantierente weiterentwickeln. Für Menschen, die lange genug eingezahlt haben, erhöhen wir die Rentenansprüche damit automatisch auf ein Niveau, das über der Grundsicherung liegt.

Die Riester-Rente muss reformiert werden. Was planen Sie für diese Vorsorgeform?
Riester ist in der bisherigen Form gescheitert, denn die angestrebten Ziele konnten nicht erreicht werden. Die Produkte sind teuer, undurchschaubar und haben einen geringeren Ertrag als ursprünglich erwartet. Insbesondere Geringverdienende können sich die Riester-Rente oft nicht leisten. Im Ergebnis „Riestern“ viel zu wenige Menschen. Wir brauchen daher einen Neustart bei der privaten Altersvorsorge.

Für uns ist wichtig, dass es eine möglichst flächendeckende, kapitalgedeckte Alterssicherung für die ergänzende Lebensstandardsicherung gibt, die auch ausreichend hohe Renditen erzielt. Dafür wollen wir einen öffentlich verwalteten Bürgerfonds errichten, der ein kostengünstiges Standardprodukt anbietet und von einer unabhängigen Institution verwaltet wird. Das Geld wird an Hand von ESG-Nachhaltigkeitskriterien angelegt. Ein langfristiger Anlagehorizont und ein breit diversifiziertes Portfolio geben Sicherheit, sodass der Bürgerfonds auf teure Garantien verzichten kann. Schweden hat bereits seit vielen Jahren ein ähnliches Modell, das uns als Vorbild für den Bürgerfonds dienen kann.

Auch bei der betrieblichen Altersversorgung (bAV) muss nachgebessert werden, weil das Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) die gewünschten Effekte nicht vollständig erbracht hat. Außerdem wird der Höchstrechnungszins zum Jahreswechsel auf 0,25 Prozent gesenkt, was dann Produkte mit einer 100-prozentigen Beitragsgarantie unmöglich macht. Wie sehen Ihre Vorstellungen für die Betriebsrente aus?
Die Bundesregierung hat vor mehr als eineinhalb Jahren den Versuch unternommen, die Betriebsrente über Tarifverträge besser zu verbreiten. Da aber rund die Hälfte aller Beschäftigten nicht in tarifgebundenen Unternehmen tätig ist, kann dieser Ansatz bestenfalls sehr begrenzt wirken. Millionen Arbeitnehmer*innen, besonders in kleineren Betrieben und in Ostdeutschland, werden durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz nicht erreicht. Eine Betriebsrente für alle ist nur über eine Angebotspflicht der Arbeitgeber zu erreichen.

Um die Verbreitung der Betriebsrente besonders in kleinen und mittleren Unternehmen zu fördern, sehen wir Grüne vor, dass Arbeitgeber künftig gesetzlich dazu verpflichtet werden, ihren Beschäftigten eine Betriebsrente anzubieten und diese mitzufinanzieren. Dies kann auch im Rahmen des Bürgerfonds erfolgen, welcher insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen eine gute und einfache Alternative ist. Auf diesem Weg können all diejenigen von betrieblicher Altersvorsorge profitieren, die bisher faktisch ausgeschlossen sind.

Befürworten Sie eine Bürgerversicherung und warum (nicht)?
Um die Rentenversicherung auf ein breiteres Fundament zu stellen, wollen wir sie zu einer Bürgerversicherung ausbauen, in die am Ende alle Bürger*innen einzahlen sollen. In einem ersten Schritt zu einer Bürgerversicherung sorgen wir dafür, dass Selbständige ohne obligatorische Absicherung, zum Beispiel in berufsständischen Versorgungswerken und Abgeordnete, verpflichtend in die gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen werden. Dabei wollen wir bereits bestehende private Altersvorsorgeformen sowie Altersgrenzen berücksichtigen.

Perspektivisch sollen alle einbezogen werden und so alle gut abgesichert sein. Die schrittweise Einführung der Bürgerversicherung sorgt für eine bessere Finanzierungsbasis der gesetzlichen Rente insbesondere für die kommenden Jahre und in der mittleren Frist. Das Solidaritätsprinzip der Sozialversicherungen wird durch die Bürgerversicherung weiter gestärkt.

Sind Sie für die Einführung eines Provisionsdeckels beziehungsweise Provisionsverbots im Versicherungsvertrieb und warum (nicht)?
Leider kommt es im Versicherungsvertrieb immer noch viel zu häufig vor, dass Kund*innen unpassende Produkte verkauft werden – mit gravierenden Folgen: Die Kund*innen zahlen zu viel, sind im Ernstfall nicht abgesichert oder die Ersparnis für die Rente fällt zu mager aus. Das teilen uns Bürger*innen immer wieder im direkten Austausch mit und auch die Verbraucherzentralen bestätigen das leider.

Ein großer Teil der Finanz- und Versicherungsberater*innen macht einen guten Job und berät im Interesse der Kund*innen. Bei einer Vermittlung auf Provisionsbasis bleibt aber der Fehlanreiz, dass nicht das beste Produkt für die Kund*innen, sondern Produkte mit lukrativen Provisionen bevorzugt vertrieben werden. Der jährliche Schaden für die Verbraucher*innen wird im zweistelligen Milliardenbereich angenommen. Deshalb setzen wir uns dafür ein, mittel- bis langfristig von der provisionsbasierten Beratung auf die Honorarberatung umzusteigen – in Abstimmung mit der Branche. Dafür brauchen wir einen klaren Zeitplan, so dass für alle ein planbarer und angemessener Übergangszeitraum besteht.

Wie schätzen Sie die Stimmen von Kritikern an der Bürgerversicherung und am Provisionsdeckel beziehungsweise Provisionsverbot ein, dass dadurch Arbeitsplätze in der Versicherungsbranche verloren gehen und weniger Kunden eine Beratung zum Thema Versicherung in Anspruch nehmen, wie das Beispiel Großbritannien gezeigt hat?
Schon heute gehen Arbeitsplätze bei den privaten Agenturen verloren, weil Versicherer sich gezwungen sehen, ihre Vertriebskosten zu senken. Gleichzeitig ist der Zeit- und Leistungsdruck auf die Beschäftigten in der Branche besonders hoch. Dazu tragen auch die derzeit gängigen Vergütungsmodelle bei. Wir wollen ein eigenständiges und wettbewerbsfähiges Berufsbild der unabhängigen Honorarberatung mitsamt eigener Honorarordnung, die Finanzberater*innen stärkt und unabhängiger macht. Außerdem wollen wir zusammen mit den Verbraucherzentralen und der Branche Honorarmodelle entwickeln (Ratenzahlungen, Flatrates), die zur Lebenssituation und den Präferenzen der Menschen passen.

Das Interview führte Jan F. Wagner, freier Finanzjournalist aus Frankfurt.

Hinweis: Zum Zeitpunkt der Drucklegung der September-Ausgabe des Versicherungsmagazins, für die dieses Interview geführt wurde, lagen CDU/CSU noch in den Umfragen vorn. Das hat sich mittlerweile geändert, nun führt die SPD vor der Union.

 

Autor(en): Jan F. Wagner

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