Selbst in Medien, die angeblich für "kluge Köpfe" gedacht sind, liest man derzeit allenthalben den Rat, keine Lebens- und Rentenversicherungen mehr abzuschließen, weil "die Rendite" schlecht sei. Ältere Verträge dagegen solle man auf keinen Fall kündigen. Warum dies ein irreführender Rat ist.
"Man muss es einmal deutlich sagen, und ehrliche Finanzberater sowie Verbraucherschützer tun es längst: Der Abschluss einer Kapitallebens- oder Rentenversicherung als Sparprodukt lohnt heutzutage nicht mehr", so beispielsweise die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" in ihrer Jahresendausgabe, die sicher von vielen Leserinnen und Lesern, angeblich ja alle "kluge Köpfe", aufgrund der Feiertage besonders aufmerksam gelesen werden konnte. Auch in Medien für weniger elitäre Zielgruppen liest man diesen Rat immer wieder, verbunden mit dem Hinweis, ältere Lebens- und Rentenversicherung wegen deren "hoher Zinsen" nicht zu kündigen.
Entweder verlieren oder gewinnen alle
Nun ist schon allein der Rat fatal, keinerlei neuen Verträge mehr einzugehen. Den betreffenden Wirtschafsjournalisten scheint noch nie der Gedanke gekommen zu sein, wer die hohen Zinsen der Altverträge bezahlen soll, wenn niemand neue abschließt. Lebens- und Rentenversicherungen sind nun einmal Generationenverträge. Junge Kunden steigen ein und erhalten sofort eine Zinsgutschrift, die derzeit keine vergleichbare sichere Anlage liefern könnte. Dafür aber verzichten sie indirekt per Zinszusatzreserve auf einen Teil ihrer theoretisch möglichen Zinsen zugunsten derjenigen Altkunden mit hohen Zinsgarantien, die ihnen diesen angenehmen Einstieg überhaupt erst ermöglicht haben.
Zugespitzt würde es bedeuten, dass bei einem sofortigen, umfassenden Abschluss-Streik die jungen, aber sicherheitsorientierten Kunden ihr Geld zinslos auf Sparbüchern und Tagesgeldkonten parken, statt wenigstens den von Rentenversicherungen gebotenen Zins mitzunehmen. Gleichzeitig müsste ein Versicherer, der seine Altkunden nicht mehr mit Garantiezinsen bedienen kann, im äußersten Notfall mit aufsichtsamtlicher Genehmigung diese Garantien beschneiden. Damit gäbe es nur Verlierer. Stattdessen sollten weiter junge Kunden ins System einsteigen und einen höheren Zins als anderswo erhältlich mitnehmen, während gleichzeitig die Altkunden ihre Garantiezinsen weiter erhalten. So gewinnen alle.
Auch werden immer wieder Kapitallebens- und Rentenversicherungen in einen Topf geworfen, obwohl es sich um völlig unterschiedliche Produkte handelt, und obwohl die Kapitallebensversicherung längst keine nennenswerte Rolle mehr beim Absatz kapitalbildender Tarife spielt. Das ignorieren große Teile der Wirtschaftspresse beharrlich.
Je weniger Zinsen im Markt, desto besser ist die Rente
Von der Rentenversicherung abzuraten ist aber ein umso schlechterer Rat, je niedriger im Markt die Zinsen sind. Denn die Alternative zur Rentenversicherung heißt für einen Altersvorsorgesparer immer, dass er mit anderen Anlagen ein Vermögen aufbauen muss, das für ihn persönlich lebenslänglich ausreicht. Lebenslänglich bedeutet, im Alter von den Zinsen des Vermögens zu leben. Dagegen kann ein Rentenkollektiv das gemeinsam aufgebaute Vermögen verzehren, und zwar bis zum statistisch durchschnittlichen Alter der Versicherten.
Beispiel: Eine 35-jährige Person will mit 67 Jahren in den Ruhestand eintreten und dann das Alterseinkommen um rund 500 Euro Zusatzrente aufbessern, beziehungsweise 6.000 Euro im Jahr. Die eine Alternative heißt, eine Rentenversicherung abzuschließen, bei der ein Versicherer davon ausgeht, dass die Versicherten im Durchschnitt 90 Jahre alt werden. Die andere Alternative wäre, sich auf anderem Weg, beispielsweise mit Hilfe von Immobilien, Aktien oder Fonds ein Vermögen aufzubauen, das die genannten 6.000 Euro im Jahr an Zinsen abwirft.
Angenommen, der effektive Zins – also auch unter Berücksichtigung der Kosten – läge bei 5,0 Prozent im Jahr, wie es in der Hochzinsphase einmal möglich war. Dann müsste der Altersvorsorgesparer beim individuellen Sparen über die 32 Jahre hin jeweils 1.594 Euro ansparen, um später 6.000 Euro entnehmen zu können (alle Werte vorschüssig gerechnet, also zum Jahresbeginn fällig). Der Rentenversicherte hingegen kommt mit 1.075 Euro im Jahr davon.
Je niedriger der Zins, desto höher fällt dieser Unterschied aus: Bei 3,0 Prozent Zins muss der Individualsparer 3.809 Euro aufbringen, der Kollektivsparer dagegen nur 1.879 Euro. Bei 1,0 Prozent Zins vergrößert sich der Unterschied auf geradezu utopische 16.003 Euro zu 3.273 Euro. Anders ausgedrückt: Je niedriger die Marktzinsen, je pessimistischer der Ausblick in die Zinszukunft, desto eher muss der Rat lauten, eine Rentenversicherung abzuschließen! Die Wirtschaftspresse rät das Gegenteil.
Muss man ohne Kapitalverzehr planen?
Gegen die vorgenannten Ansätze kann man zwei Argumente einbringen, allerdings auch schnell wieder entkräften. Erstens kann man einwenden, dass auch der Individualsparer nicht ausschließlich von den Zinsen seines Immobilien-, Aktien-, Fonds- etc. Vermögens leben muss, sondern es verzehren kann. Allerdings muss er dabei berücksichtigen, dass er in der Regel das Datum seines Ablebens nicht kennt, also auch für ein unerwartet langes Leben vorsorgen muss.
Beispiel: Der Sparer geht davon aus, auf keinen Fall älter als 110 Jahre alt zu werden. Dann würde sich im oben genannten Beispiel die Jahressparrate bei nur 1,0 Prozent Zins von 16.003 Euro auf 5.570 Euro reduzieren. Das wären aber immer noch 2.297 Euro oder 70 Prozent mehr als für die Rentenversicherung. Selbst in dem besonders günstigen Szenario der 5,0 Prozent Zinsen muss der Individualsparer 323 Euro oder 30 Prozent mehr aufbringen als der Rentenversicherte.
Gleichen höherer Renditen den Rentenvorteil aus?
Zweitens könnte man einwenden, dass man mit Immobilien, Aktien, Fonds etc. deutlich höhere Renditen erzielen kann als mit Rentenversicherungen. Wissenschaftliche Studien zeigen zwar, dass dies risikobereinigt gar nicht immer der Fall ist. Und den erheblichen Aufwand ständiger Portfoliooptimierungen sollte man auch nicht vergessen. Aber selbst, wenn man dies alles unbeachtet lässt, bleibt die Frage interessant, wie viel mehr Rendite eine individuelle Anlage abwerfen müsste, um die Rentenversicherung zu schlagen.
Auch das kann man im obigen Beispiel beziffern: Bei der optimistischen Annahme der 5,0 Prozent Zins einer Rentenversicherung müsste der Individualsparer durchgängig knapp 1,1 Prozent mehr Rendite mit seiner selbst geplanten und gemanagten Anlage erzielen, um völlig unabhängig vom Alter vergleichbar versorgt zu sein. Das mag vielleicht noch machbar klingen.
Schon bei nur noch 3,0 Prozent Zins der Rentenversicherung steigt der notwendige Überzins auf knapp 1,6 Prozent. Bei 1,0 Prozent Zins sind es dann knapp 2,3 Prozent, die die individuelle Anlage lebenslänglich zusätzlich abwerfen muss.
Damit kann letztlich nur ein Rat bleiben für jeden, der nicht das Glück einer reichen Erbschaft hat und während des Erwerbslebens eine Vorsorge aufbauen muss: Die Basisvorsorge ist am günstigsten in Form einer Rentenversicherung darstellbar. Und das umso mehr, je niedriger die Zinsen im Markt sind.
Autor(en): Matthias Beenken