Die staatliche Versorgung von Erwerbsgeminderten wird immer dürftiger. Aber auch die private Vorsorge kommt nicht so richtig in die Gänge. Zahlen und Ergebnisse einer Diskussion zum Thema.
Nach den Zahlen der Deutschen Rentenversicherung gibt sie inzwischen nur noch 6,92 Prozent ihrer immerhin 263 Milliarden Euro (2018) für Erwerbsminderungsrenten aus. Der Anteil lag im Jahr 1960 noch bei 17,9 Prozent. Zuletzt 1997 waren es noch knapp über zehn Prozent.
Gleichzeitig sind auch die Anteile der Witwen-/Witwer- und Waisenrenten von ehemals knapp 33 Prozent Gewicht auf nur noch knapp 15 Prozent zurückgegangen. Profitiert hat davon die normale Altersrente, für die inzwischen gut 78 Prozent der Aufwendungen insgesamt anfallen.
Nur jeder zweite Antrag kommt durch
Das bedeutet aber auch, dass die Erwerbsminderungsrente keine einkommenssichernde Funktion mehr einnimmt. Das zeigen auch weitere Zahlen der Deutschen Rentenversicherung: Der Neuzugang an Erwerbsminderungsrenten ist von einem Niveau nicht weit unter 300.000 in den 1990er Jahren auf aktuell (2018) unter 170.000 zurückgegangen. Darin mag sich zwar auch ein verbesserter Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz abbilden.
Aber eine andere wichtige Größe ist der Anteil der bewilligten Anträge, und der betrug 2018 nur knapp unter 51 Prozent. Im Jahr 1996 waren es noch 53 Prozent. Bis Ende 2000 gab es zudem die wesentlich günstigere Zweiteilung in Berufsunfähigkeits- und Erwerbsunfähigkeitsrente.
Von 735 Euro leben?
Wenn es eine Erwerbsminderungsrente gibt, dann meist die volle, die bei einer Arbeitsfähigkeit von weniger als drei Stunden am Tag gewährt wird. 87,7 Prozent der Bestände an Erwerbsminderungsrenten 2018 waren der vollen und elf Prozent teilweisen Erwerbsminderung geschuldet. Die Differenz betrifft Erwerbsminderungsrenten für Bergleute.
Im Durchschnitt wurden 2018 795 Euro Erwerbsminderungsrente brutto geleistet. Bei voller Erwerbsminderung waren es 812 Euro, bei teilweiser 528 Euro. Im Vergleich dazu betrug die durchschnittliche Altersrente 906 Euro.
Die tatsächlichen Rentenzahlbeträge sind noch etwas niedriger. Nach Abzug des Beitrags zur Krankenversicherung und vor Steuern flossen bei Neurentnern im Mittel 735 Euro. Anders als bei den Altersrenten gibt es hier auch keine wesentlichen Unterschiede zwischen Männern und Frauen - im Westen bekommen die Männer etwas mehr, im Osten die Frauen etwas mehr Erwerbsminderungsrente.
Bezugsdauer und Versorgungslücke steigen
Im Schnitt sind die Erwerbsgeminderten beim Zugang 52,2 Jahre alt. Im Vergleich dazu sind die Neurentner bei der normalen Altersrente im Jahr 2018 64,1 Jahre gewesen. Im Vergleich seit den 1990er Jahren wird deutlich, dass das Rentenzugangsalter bei der Altersrente infolge der Anhebungen des Rentenalters steigt, bislang um rund 1,5 Jahre.
Dagegen schwankt das Zugangsalter bei der Erwerbsminderungsrente um 51-52 Jahre, eine wesentliche Veränderung ist nicht erkennbar. Das bedeutet aber auch, dass das Einkommenssicherungsziel mit der Erwerbsminderungsrente allmählich weiter ausgehöhlt wird. Die Versorgungslücke steigt damit schon allein nach der Dauer des Bezugs.
Das Beste oder nichts?
In der 15. Internationalen Konferenz für Finanzdienstleistungen am 18. Juni - pandemiebedingt als Webkonferenz -diskutierten Branchenvertreter und Verbraucherschützer zum Thema "Bedarfsgerechte Berufsunfähigkeitsversicherungen? Lösungen zur Absicherung im Vergleich". Dabei zeigten sich zwei Lager: Eines vertrat die Ansicht, dass Betroffene in jedem Fall und nur eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen sollten. Das andere Lager vertrat die Ansicht, dass gerade bei Kunden mit Vorerkrankungen, risikoreicheren Berufen oder höherem Alter die Berufsunfähigkeitsv-Versicherung oft keine akzeptable Lösung darstellt, dafür aber vor allem die private Erwerbsunfähigkeits-Versicherung als Alternative unterschätzt wird.
So schrumpfe das Angebot an Erwerbsunfähigkeits-Versicherungen, weil die Nachfrage zu gering ausfällt. Makler verträten oft die Ansicht, aus vermeintlichen Haftungsgründen nach dem Prinzip "das Beste oder nichts" zu beraten. Teilweise sehen das auch Verbraucherschützer so und verunsichern damit Kunden und Berater. Dabei wurde deutlich, dass das Verbraucherschutzlager keineswegs einhelliger Meinung ist, sondern durchaus gegensätzliche Meinungen vertreten.
Gesetzgeber zum Handeln aufgefordert
In einer Hinsicht war sich das Diskussionspanel einig: Die gegenwärtige Einkommenssicherungs-Situation mit viel zu seltenen und zu geringen Erwerbsminderungsrenten sowie einem Versorgungsgrad mit privaten Berufs-/Erwerbsunfähigkeitsrenten von nur jedem vierten Haushalt ist eigentlich nicht akzeptabel und der Gesetzgeber gefordert, für Verbesserungen zu sorgen. Ob ein Verbot der Berufsgruppen-Differenzierung in der Berufsunfähigkeits-Versicherung dabei hilft, wie es sogar aus der Riege der Branchenvertreter in die Diskussion eingebracht wurde, wird wohl von weiteren Rahmenbedingungen wie beispielsweise einem allgemeinen Zwang zur ergänzenden Berufsunfähigkeitsversicherung abhängen, um Antiselektionen zu vermeiden. Oder wenigstens könnte eine Opt out-Lösung helfen, wie sie auch in der Altersvorsorge diskutiert wird.
Auch steuerliche Förderungen könnten helfen. Bislang gibt es nur die sehr kontrovers diskutierte Möglichkeit der Kombination mit der Basisrente, die von Verbraucherschützern aber einhellig abgelehnt wurde. Man solle, wenn, dann Sparen und Versichern voneinander trennen.
Dafür wiederum fehle aber eine sinnvolle Lösung, denn der Gesetzgeber hat sich 2005 nur dazu entschließen können, eine Selbstständige Berufsunfähigkeits-Versicherung (SBU) für förderfähig zu erklären, die eine lebenslängliche Rente erbringt. Dieses kalkulatorische Wagnis ist wohl bis heute kein Versicherer eingegangen. Eine Förderung der SBU mit klassischer Begrenzung der Leistung auf das Renteneintrittsalter fehlt dagegen.
Autor(en): Matthias Beenken