Die Rechtsschutzversicherer greifen das Anwaltsmonopol verstärkt an. Sie möchten selbst Rechtsberatung anbieten. Gestützt wird die Forderung durch Verbraucherumfragen.
Knapp 80 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher möchten eine direkte rechtliche Beratung und eine außergerichtliche Vertretung durch die Mitarbeitenden ihres Rechtsschutzversicherers. Das geht aus einer repräsentativen Yougov-Studie von über 2.000 online Befragten hervor, die im Auftrag des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) erstellt wurde. Bereits im Mai 2022 hatte der Düsseldorfer Arag-Konzern erneut verlangt, das Anwaltsmonopol einzuschränken.
„Wir fordern mit Nachdruck die Politik auf, die außergerichtliche Rechtsberatung zu modernisieren“, so Vorstandssprecher Renko Dirksen. Nach damaligen Erhebungen sollten rund 70 Prozent der Kunden den Wunsch geäußert haben, direkt von der Assekuranz in Rechtsangelegenheiten beraten zu werden. Damit hat sich die Forderung anscheinend in der Bevölkerung verfestigt. Denn nach der Yougov-Umfrage, die Mitte Oktober 2022 durchgeführt wurde, ist der Anteil um satte zehn Prozentpunkte gestiegen.
Versicherer sehen keinen Interessenkonflikt
Einen Interessenkonflikt, wenn der Zahler gleichzeitig die Rechtsdienstleistung erbringt, sehen die Rechtsschutzversicherer nicht. So verweist die Arag darauf, dass im Ausland die Direktberatung regelmäßig überprüft wird. „Eine direkte Rechtsberatung durch Versicherer ist in Deutschland bislang verboten. Im Interesse unserer Kunden fordern wir eine entsprechende Anpassung des Rechtsdienstleistungsgesetzes. Der Blick ins benachbarte Ausland, etwa in die Niederlande oder die Schweiz, zeigt, dass dies den Zugang zum Recht erleichtern kann,“ wird GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen in einer Pressemitteilung zitiert.
In der Praxis sind sich Anwälte und Rechtsschutzversicherer aber heute nicht immer einig, wie groß die Erfolgsaussichten sind, falls der Streit vor Gericht ausgetragen werden könnte. Sieht der Rechtsschutzversicherer keine Chancen, kann er die Deckung verweigern. Deutsche Anwälte können dies bisher für ihre Kunden mit einem sogenannten Stichentscheid kontern.
Einfacher Zugang zum Recht stärkt Demokratie
Laut der aktuellen Umfrage liegt der Anteil der Verbraucher, die sich von ihrem Rechtsschutzversicherer die Empfehlung von spezialisierten Anwältinnen oder Anwälten vor Ort erhoffen bei 82 Prozent. In einem aktuellen Pressestatement unterstrich Arag-Chef Dirksen, dass der einfache Zugang zum Recht langfristig demokratische Strukturen stärkt. „Die Menschen suchen nach Möglichkeiten, ihren hart erarbeiteten Lebensstandard zu sichern. Es geht dabei um die Grundbedürfnisse Arbeit, Wohnen und Gesundheit. Hier treffen wir unverändert den Nerv der Verbraucherinnen und Verbraucher. Rechtsschutz ist daher aus der Sicht schutzsuchender Menschen kein Nischenprodukt mehr“, betonte der Arag-Manager.
Aktuell habe sich der Marktanteil der Arag-Rechtsschutz von 10,5 Prozent auf elf Prozent verbessert. Das Unternehmen erwartet im deutschen Rechtsschutzgeschäft für 2022 ein Plus von 5,7 Prozent. Demgegenüber sei der Gesamtmarkt nur um drei Prozent gewachsen. Forderungen nach direkter rechtlicher Beratung könnten dem Geschäft somit sogar Auftrieb gegeben haben.
Ohne Rechtsschutzpolice oft Angst vor hohen Streitkosten
Rund 70 Prozent der Befragten ohne Rechtsschutzversicherung befürchten, dass sie mehr Geld investieren müssen, als wirtschaftlich sinnvoll ist und rund 64 Prozent, dass sie keine Klage finanzieren können. Rund 60 Prozent haben Angst, dass sie sich keinen Anwalt leisten können und sie während des Rechtsstreits aufgeben müssen. Bei Jüngeren ist die Angst vor den Kosten noch größer als bei Älteren. Die Kosten eines Rechtsstreits sind laut GDV für viele Haushalte eine große und allzu oft unüberwindbare Hürde.
Erste Anlaufstelle bei einem rechtlichen Streit ist bei über drei Viertel der Befragten entweder der Konfliktgegner selbst oder sie recherchieren erst einmal im Internet nach einer Lösung ihres Problems. Freunde oder Bekannte, aber auch Anwälte sind somit nicht die erste Wahl. 82 Prozent der Kunden, die eine Rechtsschutzversicherung haben, wenden sich mit ihrem Problem gleich an diese. Zudem wollen immer mehr Verbraucher über digitale Wege ihre rechtlichen Probleme kommunizieren. Auch hier sehen sich die Rechtsschutzversicherer besser aufgestellt als viele Anwälte.
Autor(en): Uwe Schmidt-Kasparek