Die private Krankenversicherung (PKV) schrumpft weiterhin bei Vollversicherten. Für eine Marktwende müssten sich die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen ändern. Das ist das wesentliche Fazit einer Marktanalyse durch die Rating-Agentur Assekurata.
"Immer weniger Angestellte und Selbstständige trauen sich in die private Krankenversicherung", sagte Assekurata-Krankenversicherungsexperte Gerhard Reichl. Viele Kunden hätten Angst, dass sie sich die Beiträge im Alter nicht mehr leisten könnten. Diese Angst werde vor allem durch die Zinskrise beflügelt. Zudem würde die seit Jahren steigende Versicherungspflichtgrenze den Zugang zur PKV für Berufsanfänger fast unmöglich machen. "Wenn die potenziellen Kunden dann so weit sind, haben sie meist schon Familie und erste Vorerkrankungen", so Reichl. Damit werde für die meisten der Wechsel in die PKV noch unattraktiver. Auch wenn durch die Corona-Pandemie das Gesundheitsbewusstsein gestiegen sei, dominiere bei den Kunden die Verunsicherung.
Mehr Zulauf durch frühe Eintrittschance
Einen Zulauf könnte es aber geben, wenn die Zusatzbeiträge für die gesetzliche Krankenversicherung stark steigen. Das würde eine aktuelle Studie einer Krankenkasse prognostizieren. Reichl: "Einen höheren Zulauf könnte die PKV auch bekommen, wenn die Jahresarbeitsentgeltgrenze abgesenkt wird." Dann würde auch das Risiko, im Alter stark steigende Beiträge zahlen zu müssen, verringert.
"Je eher ein Kunde in die PKV eintritt, desto früher kann er Alterungsrückstellungen aufbauen", erläuterte der Experte. Mehr Kunden könnten die PKV-Unternehmen gewinnen, wenn sie sich noch stärker als Begleiter der Patienten aufstellen würden. "Bisher gibt es einen solchen umfassenden Service erst bei rund einem Drittel der PKV-Unternehmen", sagte Assekurata-Chef Reiner Will. Zudem forderte er, dass die Unternehmen ihre Kosten weiter senken.
PKV-Beiträge steigen weiter
Denn auch künftig müssen Privatpatienten mit steigenden Beiträgen rechnen. Die anhaltende Niedrigzinsphase mache weitere Rechnungszinssenkungen erforderlich. Hinzu kämen steigende Pflegekosten und Leistungsausgaben bei einer Reform der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Laut Assekurata liegt der durchschnittliche Rechnungszins im Markt zwischen 1,25 und 2,94. Unternehmen mit einem noch hohen Rechnungszins werden tendenziell die Beiträge besonders stark nach oben anpassen müssen, wie die Analysten bestätigten.
Laut dem Marktausblick "Private Krankenversicherung 2021/2022" gibt es nur im Beihilfesegment - also beim privaten Gesundheitsschutz für Beamte - ein Nettowachstum der Versicherten. Es dürfte 2020 bei rund 1,1 Prozent liegen. In den Nicht-Beihilfe-Tarifen schrumpfte der Markt netto um 1,4 Prozent. Daher würden eine Reihe von PKV-Unternehmen versuchen, stärker in den Beihilfemarkt einzudringen. Gerade Versicherer mit freien Vermittlern wären hier gegenüber den Platzhirschen Debeka und Huk-Coburg erfolgreich.
Kaum Geschäft bei Pflegezusatz
Die Pflegezusatzversicherung wird im Geschäftsjahr 2020 netto nach Verträgen aller Voraussicht nach stagnieren. Ursächlich hierfür sei ein Neugeschäftsrückgang von rund 30 Prozent und ein Stornoanstieg von 70 Prozent. „Diese Entwicklung ist - neben der Absenkung des Rechnungszinses - ganz wesentlich auch auf die Verteuerung der Beiträge durch das zweite Pflegestärkungsgesetz, PSG II, zurückzuführen“, erläutert Reichl.
Ein echter Verkaufsschlager ist demgegenüber weiterhin die Zahnzusatzversicherung. Sie dürfte 2020 um rund 0,5 Millionen Verträge um drei Prozent gewachsen sein. Auch stationäre Zusatzversicherungen entwickelten sich mit 1,6 Prozent positiv. Beim ambulanten Zusatzschutz lag das Wachstum immerhin noch bei 1,2 Prozent.
bKV: Budget-Tarife könnten sich durchsetzen
Eine Erfolgsstory ist derzeit zudem die betriebliche Krankenversicherung (bKV). 2020 konnte der Bestand in der bKV um 15,8 Prozent um knapp 140.000 Personen auf 1,02 Millionen Versicherte ausgebaut werden. Dafür ist vor allem der Siegeszug der Budget-Tarife verantwortlich, den die Hallesche 2018 ins Leben gerufen hat. Mittlerweile gibt es mit Gothaer, Continentale, Allianz und Barmenia schon vier weitere Anbieter. Zudem startet im Juli die SDK in der bKV mit Budgettarifen.
"Das breite Leistungsspektrum dieser Angebote entspricht deutlich stärker den Bedürfnissen der Arbeitgeber als die bisherigen Bausteintarife", sagte Experte Will. Zudem kämen zusätzliche Serviceleistungen, wie Videosprechstunde und Facharztvermittlung positiv an. Assekurata rechnet damit, dass weitere Unternehmen solche Angebote auf den Markt bringen werden.
Wenig Inhouse-Wechsler
Ein sehr überraschendes Ergebnis zeigt eine Umfrage der Analysten zum Thema Tarifwechsel für Vollversicherte. So wechseln nur sehr wenige Vollversicherte innerhalb des Unternehmens ihren Tarif oder ändern ihren Selbstbehalt. 2020 gab es lediglich 24 Prozent Wechsel. Damit hat sich der Umstieg seit 2016 - damals waren es 23 Prozent - kaum geändert. 62 Prozent der Wechsler wurden von ihrem persönlichen Ansprechpartner bei der Krankenversicherung beraten, 21 Prozent direkt vom Versicherer. Elf Prozent haben den Wechsel eigenständig durchgeführt und nur sechs Prozent wurden von einem Versicherungsmakler gegen Honorar oder einem Honorarberater betreut.
Ermittelt hat Assekurata in der Umfrage auch die Zufriedenheit der Kunden mit dem Wechsel. Sie ist generell sehr hoch. Die höchste Gesamtzufriedenheit erreicht mit 73 Prozent die Beratung durch einen Vermittler der Krankenversicherung. Demgegenüber liegt sie bei der Beratung gegen Honorar nur bei 63,7 Prozent. Welche Ursachen das Kundenurteil hat, bleibt aber in der Umfrage im Dunklen. "Wir haben die Qualität der Beratung nicht ermittelt", so Will. Daher ist es nicht ausgeschlossen, dass die umfassende Beratung durch einen Versicherungsmakler - der verschiedene Alternativtarife aufzeigt - allein aufgrund des Aufwandes und des Honorars als weniger befriedigend empfunden wird. Während ein Vermittler, der lediglich den Beitrag durch eine Veränderung der Selbstbeteiligung senkt, beim Kunden mit schneller und kostenfreier Abwicklung ein "gutes Gefühl" hinterlässt.
Autor(en): Uwe Schmidt-Kasparek