Preisdiskriminierung bei Versicherungen

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Die Briten sind Vorreiter in Sachen Regulierung des Versicherungsmarktes. Schon einmal hat die deutsche Versicherungsbranche die Zeichen der Zeit verschlafen, als auf der Insel der PPI-Skandal aufkam. Beim nächsten Thema kann sie es besser machen.

Über 30 Milliarden Britische Pfund Schadenersatzleistungen mussten die Finanzdienstleister in Großbritannien nach einer Übersicht der britischen Finanzaufsicht an Verbraucher zahlen, die nicht bedarfsgerechte Restschuldversicherungen (PPI - Payment Protection Insurance) in Zusammenhang mit Krediten von Banken verkauft bekommen hatten (https://news.sky.com/story/ppi-scandal-payouts-top-30bn-city-watchdog-11337959). Knapp 1,6 Millionen Beschwerden von britischen Verbrauchern lagen bis April 2018 vor – ein solches Beschwerdeaufkommen würde vergleichbar einen deutschen Versicherungsombudsmann und die deutsche Versichereraufsicht Bafin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) wohl erheblich überfordern.

PPI-Skandal blieb in Deutschland lange unbeachtet

Deutsche Versicherer zeigten sich von dem Geschehen, dessen vorläufiger Höhepunkt ein bahnbrechendes Urteil bereits im Jahr 2011 war, unbeeindruckt und arbeiteten auch mit Banken und Sparkassen beim Vertrieb von Restschuldversicherungen eng zusammen. Die Überraschung war groß, als die Bafin im vergangenen Jahr kurz vor Abschluss des IDD-Umsetzungsgesetzes eine Untersuchung vorlegte, nach der es auch bei der in Deutschland massenhaft verkauften Restschuldversicherung zumindest zweifelhaft sein dürfte, ob sie stets „im bestmöglichen Interesse“ der Kunden ist. So seien die verkauften Produkte "für den Verbraucher nur schwer nachvollziehbar, unter anderem weil der Kreditnehmer meist nicht als Versicherungsnehmer, sondern nur als versicherte Person in einem Rahmenvertrag behandelt wird und wichtige Rechte eines Versicherungsnehmers vor den seit 23. Februar 2018 eingetretenen Änderungen am VVG vorenthalten werden konnten.

Insbesondere wurde aber festgestellt, dass Hauptnutznießer der Prämienzahlungen die vermittelnden Banken mit Provisionsanteilen von oft um die 50 Prozent der Prämie, in Einzelfällen noch erheblich mehr sind.

Marktuntersuchung der britischen Finanzaufsicht

Die britische Finanzaufsicht FCA bereitet gerade die nächste Marktuntersuchung und anschließend wohl Aktionspläne gegen ein verbraucherfeindliches Verhalten vor, das neben Banken auch Versicherer betrifft. Deutsche Versicherer sollten sich diese Vorgänge sehr genau ansehen und prüfen, ob auch sie die kritisierten Praktiken anwenden, ehe sie sich wieder von Dritten überraschen lassen.

Unter dem Titel "Fair Pricing in Financial Service" hat die FCA ein Konsultationsverfahren gestartet. Ziel ist, unfaire Praktiken bei der Preisgestaltung von unter anderem Versicherungen zu identifizieren und zu unterbinden.

Bei der Preisdiskriminierung erhalten Kunden für ein und denselben Versicherungsschutz unterschiedliche Preise, abhängig von der Preissensibilität des Kunden. Als Beispiel wird die Home Insurance genannt, die in Großbritannien übliche Kombination aus Gebäude- und Hausratversicherung, bei der langjährige Bestandskunden höhere Prämien als Neukunden zahlen.

Preisdifferenzierung oder -diskriminierung kommt in vielen Alltagsbereichen vor und muss nicht unfair und schädlich sein. So nennt die FCA als Beispiel Studentenrabatte, durch die eine finanzschwache Nachfragergruppe befähigt wird, Angebote wahrzunehmen, was gemeinhin als fair wahrgenommen wird.

Geringverdiener und Rentner besonders verletzlich

Aber unfair wird die Preisdiskriminierung neben den bekannten, auch in Deutschland längst gesetzlich regulierten Diskriminierungen nach persönlichen Merkmalen, wie sie im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz genannt werden, auch in anderer Weise. Dazu stellt die FCA ein Raster mit sechs Fragen auf, die das Risiko einer unfairen Preisdiskriminierung ausleuchten.

Unter anderem wird eine besondere Verletzlichkeit von Kunden mit geringen Einkommen oder mit hohem Alter angenommen. Es muss sich um signifikant große Gruppen und um für den Kunden wichtige Versicherungen handeln.

Loyalitäts-Fallen gibt es auch bei deutschen Versicherungen

Die Merkmale, nach denen die Preisdifferenzierung erfolgt, müssen intransparent sein, beispielsweise weil sie an den Kunden weniger bewussten Motiven anknüpfen wie beispielsweise der Trägheit oder der Unsicherheit, sich regelmäßig über die Preiswürdigkeit ihrer Versicherung zu informieren und Anbieterwechsel vorzunehmen. Manchmal werden Kunden regelrecht in die Irre geführt, weil es ihnen intuitiv als richtig erscheint, dass ihre langandauernde Treue in der Geschäftsbeziehung Vorteile hat. Dies wird auch als Trägheits-Pricing oder Loyalitäts-Falle beschrieben.

Solche Loyalitäts-Fallen dürfte es bei deutschen Versicherungen auch einige geben. Immer wieder thematisiert und vom Gesetzgeber angegangen wurden sie in der privaten Krankenversicherung (PKV). Ältere Kunden können durch Beitragsanpassungen vor allem in Alttarifen gegenüber Neukunden schlechter gestellt werden, könnten dem aber durch einen Tarifwechsel entgehen - wenn sie denn die nötige Unterstützung dazu bekämen. Das in der PKV immer noch vorherrschende, fast nur auf Abschlussprovisionen basierende Vergütungssystem, bietet jedenfalls Vermittlern keinen geeigneten Anreiz zu einer solchen Hilfe. Immerhin haben sich einige Versicherer öffentlich dazu bekannt, auf Nachfrage ihrer Kunden zeitnah Wechselmöglichkeiten anzubieten. Außerdem gibt es nach § 6 Absatz 2 VVG-InfoV (https://www.gesetze-im-internet.de/vvg-infov/__6.html) entsprechende Informationspflichten bei Beitragsanpassungen.

Der treue Kunde ist manchmal der dumme Kunde

Aber auch in der Kompositversicherung kann sich der treue Kunde manchmal als der dumme Kunde vorkommen. Wer beispielsweise die Versicherungssummen und Preise älterer mit aktuell am Markt an Neukunden verkauften Haftpflichtversicherungen vergleicht, wird sich nicht selten wundern. In der Kfz-Versicherung zeigen Studien von Vergleichsportalen und Versicherern immer wieder erstaunliche Preisunterschiede auf, denen ein Kunde eigentlich nur durch einen regelmäßigen Versichererwechsel entgehen kann.

Die FCA nennt ein ganzes Arsenal an Maßnahmen, die sowohl auf Nachfrager- als auch auf Anbieterseite ergriffen werden könnten, um unfaire Preisdiskriminierung zu bekämpfen. Beispielsweise werden ein Verbot der automatischen Vertragsverlängerung, die Entbündelung komplexer Versicherungskonstrukte, Förderung einfacher verständlicher Tarife oder sogar bestimmte Preisobergrenzen als denkbar genannt.

Autor(en): Matthias Beenken

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