"Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren." Mit diesen Worten hat FDP-Chef Christian Lindner die scheinbar ewig andauernden Jamaika-Verhandlungen beendet. Aus Sicht der FDP, die als jahrelanger Steigbügelhalter und Koalitionspartner der CDU/CSU derart an politischem Profil und Wählerstimmen verloren hatte, dass sie den Einzug in die Parlamente nicht mehr schaffte, mag das stimmen.
Aber es gibt noch eine Metaperspektive, die Lindner offenbar ausgeblendet hat. Und die betrifft die gesamtpolitische Situation in Deutschland. Die bereits am Wahlabend im September beschworenen Weimarer Verhältnisse sind nun wirklich da. Niemand kann das noch ignorieren. Die politische Landschaft zersplittert, extreme populistische Positionen gewinnen immer mehr Anhänger, der Wutbürger regiert, die Regierungsbildung scheint unmöglich geworden, das Parlament verliert letztendlich an Einfluss und Bedeutung.
Neuwahlen sind für den Steuerzahler teuer
Auch wenn aktuell nicht klar ist, wie es weiter geht – Neuwahlen oder Minderheitsregierung – das Scheitern der Jamaika-Verhandlungen kann die politische Zersplitterung Deutschlands weiter vorantreiben. Davon einmal abgesehen würden Neuwahlen den Steuerzahlen stolze 92 Millionen Euro kosten, hatte Johannes Dimroth, Sprecher des Bundesinnenministeriums, unlängst dem Mitteldeutschen Rundfunk mitgeteilt.
Wirtschaftliche versus politische Konsequenzen nach Jamaika-Ende
Wirtschaftlich zeigen sich die Konsequenzen unmittelbar. Der DAX reagierte zunächst empfindlich auf die aktuelle politische Situation und startet im Minus. Auch der Euro befindet sich, wie zu erwarten, auf einer Talfahrt. So reagieren die Märkte bei Krisen immer. Diese temporären Reaktionen auf politische Ereignisse verwundern niemanden mehr, auch die Wirtschaftsverbände nicht, die sich inzwischen zum Thema geäußert haben.
Von großer Enttäuschung ist da die Rede. "Eine Chance wurde leider vorerst vertan", erklärt Bankenpräsident Hans-Walter Peters. "Die Unsicherheit ist Gift für die Wirtschaft", kritisiert etwa Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer. Im selben Tenor äußert sich Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer. Offenbar seien parteitaktische Erwägungen stärker gewesen als die gesamtstaatliche Verantwortung, resümiert er.
Und genau das ist das Problem. Keine Frage: Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands hängt auch an der Einhaltung der Klimaziele, an der Integration der Langzeitarbeitslosen und der Geflüchteten, an der Digitalisierung und an der Bildungsoffensive, kurz an einem stabilen Deutschland. Aber das Scheitern der Jamaika-Verhandlungen, eine Minderheitsregierung oder Neuwahlen werden die deutsche Wirtschaft nicht gleich aus den Angeln heben. Über das politische System und die politische Kultur in Deutschland lässt sich das leider mit dieser Gewissheit nicht sagen. Wie die Bürger darauf reagieren, dass die Politik ihren Regierungsauftrag nicht umsetzen kann, bleibt abzuwarten. Insofern ist das Jamaika-Ende wirtschaftlich enttäuschend – politisch ist es aber unter Umständen fatal.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Springer Professional.
Autor(en): Andrea Amerland