Im Corona-Jahr 2020 erreichten die Schlichtungsstelle 13.235 zulässige Beschwerden. Gegenüber 2019 ist dies nur ein leichter Anstieg von 1,8 Prozent. Die Corona-Pandemie hatte natürlich auch Auswirkungen auf die Verbraucherstreitbeilegung. Betroffen waren vor allem die Reiseversicherung, aber auch die Restschuldversicherung.
In der Reiseversicherung stieg die Anzahl der Beschwerden um fast 80 Prozent. Dabei forderten die Versicherungsnehmer in erster Linie eine Teil- oder Kompletterstattung der Beiträge zur Reiseversicherung, da diese hinfällig geworden war, weil der Veranstalter die Reise storniert hatte. Häufig forderten die Kunden, dass der Versicherer die Stornokosten einer Reise übernehmen sollte, weil sie wegen der pandemiebedingten Reisebeschränkungen oder der Sorge, an Corona zu erkranken, ihre Reise nicht antraten. In der Regel war hier kein versichertes Ereignis eingetreten, weil weder die betroffenen Kunden noch nahe Angehörige erkrankt waren. Die Schlichtungsstelle hatte hier die Aufgabe übernommen, den Menschen zu erklären, dass die Reiserücktrittsversicherung keine Allgefahrendeckung beinhaltet.
Konnte überwiegend Teilabhilfen durchsetzen
Wenn Versicherer Beitragsrückerstattungen der Kläger ablehnten, konnte der Ombudsmann für Versicherungen für die Kunden überwiegend Teilabhilfen durchsetzen. Die Beitragsanteile für eine Reiseabbruchversicherung und eine Reisekrankenversicherung wurden von den Versicherungsunternehmen in der Regel zurückerstattet.
Die Pandemie wirkte sich in der Reiseversicherung aber auch mittelbar aus. Denn einige Kunden, die Schlichtungsstelle spricht hier von „Beschwerdeführern“, mussten kurzfristig wegen einer „nicht pandemiebedingten“ unerwarteten schweren Erkrankung von ihrer Reise zurückgetreten. Viele Versicherer zweifelten an der Richtigkeit dieser Aussage, die Versicherten hatten aber oft Probleme, einen Nachweis ihrer Erkrankung zu erbringen. Dies war während der ersten Infektionswelle im Frühjahr und Frühsommer 2020 vor allem dadurch der Fall, dass aufgrund des Lockdowns Arztbesuche nicht mehr oder nur eingeschränkt möglich waren. Nur ein telefonischer Kontakt mit dem Arzt war den Versicherer oft zu wenig, sie vermissten eine ärztliche Untersuchung. Der Ombudsmann für Versicherungen, Wilhelm Schluckebier, sieht hier durch die Restriktionen aber eine plausible Gründe gegeben.
Ombudsmann konnte in der Regel Abhilfen erreichen
Kurioses Detail: Bei den Beschwerden gab es einen ungewöhnlichen Anstieg von attestierten Magen-Darm-Erkrankungen. Insoweit konnte die Schlichtungsstelle die kritische Haltung der Versicherer nachvollziehen, auch wenn sich die konkreten Verhältnisse in den einzelnen Verfahren meistens nicht aufklären ließen. Der Ombudsmann konnte hier in der Regel Abhilfen erreichen, denn die Klagenden hätten in der gegebenen Situation keine andere Möglichkeit gehabt, einen Nachweis zu liefern.
Konstruktives Verhalten der Beschwerdeparteien gelobt
Schluckebier betonte abschließend, dass durch das konstruktive Verhalten der Beschwerdeparteien, die Schlichtungsbemühungen überwiegend erfolgreich gewesen seien. Die Versicherer hätten sich in den meisten Fällen bereit und offen gezeigt, Anregungen des Ombudsmanns zu prüfen und im Zweifel eine Einigung im Verbraucherschlichtungsverfahren einer gerichtlichen Überprüfung vorzuziehen.
Die Betriebsunterbrechungs- und Betriebsschließungsversicherung war im vergangenen Jahr ein oft hitzig diskutiertes Thema. Auch zu dieser Sparte erreichten den Ombudsmann einzelne Beschwerden. Diese konnten laut Schluckebier jedoch überwiegend nicht angenommen werden, denn die klagenden Kunden seien als Gewerbetreibende nicht als Verbraucher einzustufen und befänden sich regelmäßig auch nicht in einer verbraucherähnlichen Lage.
In der Restschuldversicherung gingen 2020 beim Ombudsmann vermehrt Beschwerden ein, bei denen Leistungen aus der Arbeitslosigkeitszusatzversicherung geltend gemacht wurden. In einzelnen Fällen war bei den Restschuldversicherungen auch Kurzarbeit versichert. Da durch die Corona-Pandemie Arbeitsverhältnisse unter Druck gerieten, hing die Steigerung des Beschwerdeaufkommens in diesem Bereich vielfach damit zusammen. Beim Ombudsmann kommen dabei naturgemäß nur die Fälle vor, in denen der Versicherer die Leistung abgelehnt oder „die Beschwerdeführer“ mit der Reaktion des Versicherers nicht zufrieden waren.
Vielfach konnten sich die Versicherer auf die vertraglichen Vereinbarungen stützen, wenn sie eine Leistung ablehnten. Viele Menschen glaubten aber wohl durch die Restschuldversicherung gut abgesichert zu sein und zwar für den Fall, in dem ihr Arbeitseinkommen „aufgrund eines unvorhersehbaren, unverschuldeten Ereignisses wegbricht“. Dass die Covid-19-Pandemie für den Einzelnen ein unvorhersehbares, unverschuldetes Ereignis darstellt, steht nach Ansicht des Ombudsmanns außer Frage. Dennoch böten die Restschuldversicherungen üblicherweise keinen allumfassenden Schutz.
„Auch in anderen Sparten kam es zu interessanten Entwicklungen“, so der Tenor des 164 Seiten starken Berichts des Ombudsmanns: In der Hausratversicherung gab es 2020 trotz der durch den „Lockdown“ bedingten höheren Präsenz der Menschen in ihrer Wohnung nicht weniger, sondern sogar mehr Beschwerden im Zusammenhang mit Einbruchdiebstählen. Der an sich zu erwartende Rückgang in diesem Bereich sei bisher ausgeblieben.
Und in der Kfz-Haftpflichtversicherung konnte der Ombudsmann feststellen, dass sich die Mobilitätsbeschränkungen (Homeoffice) nicht besonders auswirkten. Allerdings hätte es einen anderen Effekt gegeben: Da einige Berufstätige auf das Auto umgestiegen seien, um öffentliche Verkehrsmittel zu meiden, hätte oftmals die vertraglich vereinbarte Jahresfahrleistung nicht eingehalten werden können, sondern wurde stark überschritten. Ein Versicherer hätte dies sogar zum Anlass genommen, nicht nur eine rückwirkende Anpassung der Fahrleistung vorzunehmen und so einen Mehrbeitrag zu erheben, sondern noch eine Vertragsstrafe zu fordern. Der Versicherungsombudsmann hat ihr interveniert.
Statistik, Entwicklung des Vereins und personelle Veränderung
Horst Hiort, Geschäftsführer des Versicherungsombudsmann, informierte bei der Online-Veranstaltung über die Statistik und die Entwicklung des Vereins. Laut Hiort haben sich die zulässigen Eingaben in den Sparten im Berichtsjahr sehr unterschiedlich entwickelt. Beschwerden zur Lebensversicherung gingen um rund zehn Prozent zurück, ähnlich sieht es auch in der Hausratversicherung aus. In der Allgemeine Haftpflichtversicherung lag der Rückgang bei circa acht Prozent.
Seit fünf Jahren mit den meisten Beschwerden
Anders verhält es sich in der Kfz-Kasko (+16 %) und -Haftpflichtversicherung (+10 %). Auch Beschwerden zur Rechtsschutzversicherung (+8 %) nahmen wieder zu. Diese Sparte fällt seit fünf Jahren mit den meisten Beschwerden (3.463) auf. Die vielen kleineren Sparten, die unter „Sonstige Beschwerden“ fallen, erhöhten sich ebenfalls deutlich (+15%), wobei die dazu zählende Reiseversicherung - wie oben bereits erwähnt - allein um fast 80 Prozent zulegte.
Die durchschnittliche Verfahrensdauer hat sich um zehn Prozent weiter verkürzt und dies trotz der Pandemie. Laut Hiort vergingen von der Einlegung einer Beschwerde bis zum Verfahrensabschluss bei zulässigen Eingaben durchschnittlich nur 70 Tage.
In der Schlichtungsstelle wurde zu Beginn des Jahres 2020 eine elektronische Vorgangsbearbeitung eingeführt. Die durchschnittliche Bearbeitungsdauer pro zulässiger Beschwerde konnte so im vergangenen Jahr auf nun 2,3 Monate gesenkt werden.
Hiort hört Ende des Jahres auf
Der Ombudsmann für Versicherungen, Wilhelm Schluckebier, ehemaliger Richter des Bundesverfassungsgerichts und am Bundesgerichtshof, stellte den Jahresbericht 2020 vor. Die Verbraucherschlichtungsstelle behandelt seit fast 20 Jahren Beschwerden aus allen Versicherungssparten, ausgenommen der Privaten Krankenversicherung.
Horst Hiort wird im Januar 2022 im Alter von 63 Jahren nach über 18 Jahren seine Tätigkeit als Geschäftsführer des Versicherungsombudsmanns beenden. Ein Nachfolger oder Nachfolgerin steht zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht fest.
Autor(en): Meris Neininger