Die aktuell historisch niedrigen Zinsen haben den Druck auf Lebensversicherer erhöht. Sie müssen angesichts dieser schwierigen Umstände an den Kapitalmärkten Garantieversprechen bedienen und gleichzeitig umfangreiche Zinszusatzreserven (ZZR) stellen.
Ging die Ratingagentur Assekurata noch zu Jahresbeginn davon aus, dass die Lebensversicherer der ZZR in diesem Jahr zwischen neun und elf Milliarden Euro zuführen müssen, gehen die Analysten angesichts des neuerlichen Zinsverfalls seit Ausbruch der Corona-Pandemie nun vom obere Ende dieser Spanne aus. Im „Ertragskraft-Garantie-Check (EKG-Check) 2020 in der Lebensversicherung“ von Assekurata verweisen die Analysten auf den diesjährigen Referenzzins von 1,73 Prozent (Vorjahr: 1,92 Prozent), an dem sich die Lebensversicherer bei der Nachreservierung orientieren müssen. Dies habe zur Folge, dass die Unternehmen aus ihren Kapitalanlagen einen Nettozins von gut einem Prozent erwirtschaften müssten, um zusätzlich zu den Erträgen zur Bedienung der eigentlichen Garantieverpflichtungen diese 11 Milliarden Euro an ZZR-Zuführungen zu finanzieren. Für den EKG-Check hatte die Rating-Agentur zahlreiche Kennzahlen zu Ertrag, Sicherheit und Beständen von 70 Lebensversicherern untersucht.
EKG-Quoten halten Extremzinsen stand
Hinsichtlich eines langfristigen Aufbaus der ZZR zog die Studie verschiedene Szenarien in Betracht. Ausgehend von anhaltenden Nullzinsen würde der Reservetopf bis 2030 auf ein Gesamtvolumen von knapp 170 Milliarden Euro anwachsen. Dies wären 15 Milliarden Euro mehr als bei den letzten Hochrechnungen zum Zinsniveau am Jahresanfang. „Mit dem Ende 2020 aufgebauten ZZR-Bestand von rund 85 Milliarden Euro hätten die Lebensversicherer also in diesem Szenario gerade einmal die Hälfte der Strecke geschafft“, legt Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse und Bewertung bei Assekurata, dar. Der Weg zur Ausfinanzierung sei damit weiter als gedacht.
Wie aber sollen die Versicherer in der Lage sein, die Garantien und ZZR-Zuführungen finanzieren? Mit sorgfältigem Ertragsmanagement, sagen die Analysten. Hatte die 2018 eingeführte Korridormethode, mit der die Aufbaugeschwindigkeit der ZZR gedrosselt werden sollte, noch einen positiven Effekt, wird dieser vom negativen Zinstrend inzwischen nivelliert. Wie die aktuelle Studie ausweist, war die EKG-Quote 2019 im Marktdurchschnitt mit 512,49 Prozent um fast 100 Prozentpunkte zum Vorjahr gestiegen: das Ertragsvolumen der Branche reichte im Extremfall aus, um die Rechnungszinsanforderungen im Geschäftsjahr 2019 mehr als fünf Mal zu finanzieren. Sinkende Zinsen und der daraus resultierende Anstieg der Bewertungsreserven in den HGB-Bilanzen waren bereits in den vergangenen Jahren die wesentliche Finanzierungsquelle der Lebensversicherer für die notwendigen ZZR-Zuführungen und gehen hälftig in die EKG-Quote ein.
Niedrigzinseffekt deutlicher bei Bewertungsreserven
Für den künftigen ZZR-Aufbau verweist die Studie darauf, dass sich der Effekt gesunkener Zinsen schneller in den Bewertungsreserven niederschlage als in der Zinszusatzreserve. Der Grund: Während der Referenzzins methodisch über mehrere Jahre in einem definierten Korridor bestimmt würde, wodurch sich die ZZR-Zuführungen vom aktuellen Marktzins entkoppeln, stiege der Marktwert von festverzinslichen Wertpapieren bei sinkenden Zinsen unmittelbar an, was in hohen bilanziellen Bewertungsreserven resultiere.
Daher könnten Lebensversicherer durch die Auflösung von Bewertungsreserven ihre ZZR-Zuführungspflicht bedienen, indem sie festverzinsliche Anlagen aus ihren Kapitalanlagebeständen zu aktuell höheren Anleihepreisen veräußerten. Blieben die Bezugszinsen am Nullpunkt, erläutert Heermann, bestünde für Lebensversicherer kurzfristig keine Gefahr.
Höchste Zeit für Umbau der Geschäftsmodelle
Stiegen die Zinsen langfristig wieder, säßen sie dann jedoch auf zu wenig Bewertungsreserven zur Deckung der ZZR-Zuführungen vorhanden. Die Lösung sieht Assekurata in garantieärmeren Produkten im Neugeschäft der Lebensversicherer.
Assekurata-Geschäftsführer Reiner Will bewertet grundsätzlich positiv, wenn ein Lebensversicherer über eine breit gestreute Kapitalanlage mit substanziellen Bewertungsreserven und eine stabile wie auch ausgewogene Ertragsstruktur verfüge. Würden Versicherer zur Abwehr drohender Kapitalanalageverluste einen Teil ihrer Risikoergebnisse querverrechnen, könnten die Beitragszahlungen der Kunden steigen, auch wenn der eigentliche Tarif sorgfältig kalkuliert und der Bestand insgesamt profitabel sei. Schon heute zeige sich, dass viele Gesellschaften ein negatives Kapitalanlageergebnis nur durch die Auflösung von Bewertungsreserven vermeiden können.
Autor(en): Swantje Francke