Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Rentenanpassung 2022 sowie zur Verbesserung von Leistungen für Erwerbsminderungsrentner löst bei Sachverständigen unterschiedliche Reaktionen aus. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales deutlich.
Unterschiedliche Auffassungen gab es zur geplanten Wiedereinführung des Nachholfaktors in der gesetzlichen Rentenversicherung. Weitgehend begrüßt wurden die vorgesehenen Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente, wenngleich der Zeitpunkt 1. Juli 2024, ab dem die Regelung erst greifen soll, auf Kritik stieß.
Rentenanpassungen mit veränderten Beitragssätzen vornehmen
Jürgen Ritter von der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) nannte die Umsetzung bis zum 1. Juli 2024 „ambitioniert“, aber machbar. Für die Umsetzung seien erhebliche Ressourcen in der IT der DRV erforderlich. Gleichzeitig gelte es aber auch, schon beschlossene Gesetze umzusetzen sowie Rentenanpassungen mit veränderten Beitragssätzen in der Krankenversicherung vorzunehmen. Eine frühere Umsetzung der Änderungen bei den Erwerbsminderungsrenten sei daher technisch nicht umsetzbar, sagte der DRV-Vertreter.
Aus Sicht von Samuel Beuttler-Bohn vom Sozialverband VdK Deutschland zeigt der gewählte Termin für die Einführung der Regelung bei den Erwerbsminderungsrenten, dass die Politik eine frühere Einführung aus finanziellen Gründen offenbar nicht wolle. Positiv bewertete Beuttler-Bohn die geplante allgemeine Rentenanpassung zum 1. Juli diesen Jahres. Diese sei dringend nötig, befand er. Falsch sei es aber, den sogenannten Nachholfaktor wiedereinzuführen. Damit würde die Rentenanpassung reduziert, während gleichzeitig über Rettungspakete auch für Rentner diskutiert werde.
Löhne sind pandemiebedingt deutlich gesunken
Der Wirtschaftswissenschaftler Axel Börsch-Supan indes begrüßte die Wiedereinführung des Nachholfaktors, der ein Bestandteil der Rentengarantie sei und mit ihr zusammen eingeführt worden sei. Die Rentengarantie hatte im vergangenen Jahr dazu geführt, dass die Renten nicht gesunken sind, obwohl die Löhne pandemiebedingt deutlich gesunken waren. Im Sinne der Generationengerechtigkeit sei es wichtig dafür zu sorgen, dass nicht jeder Wirtschaftseinbruch die ältere Generation besserstelle, auf Kosten einer permanenten Beitragserhöhung zu Lasten der jüngeren Generation, sagte Börsch-Supan.
Alexander Gunkel von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) bewertete die Reaktivierung des Nachholfaktors ebenfalls positiv. Nachholfaktor und Rentengarantie gehörten zusammen, sagte er. Die geplante Streichung der gesetzlich zugesagten Sonderzahlungen des Bundes an die Rentenversicherung kritisierte er hingegen. Zu einer verlässlichen Rentenpolitik gehöre es, dass finanzielle Zusagen eingehalten werden und nicht nach Kassenlage oder für andere politische Vorhaben wieder gestrichen werden, sagte Gunkel mit Blick auf die noch im Referentenentwurf vorgesehene Umwidmung der Zuschüsse zugunsten des Bürgergeldes.
Rentenniveau wieder auf mindestens 50 Prozent anheben
Ingo Schäfer vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) teilte die Kritik an der Streichung der Bundeszuschüsse. Unlauter und kurzsichtig sei dies, urteilte er. Anders als die BDA lehnt der DGB laut Schäfer die Reaktivierung des Nachholfaktors ab. Dies mindere die Rentenanpassung 2022 um 1,17 Prozent, so dass die Renten langsamer stiegen als die maßgeblichen Löhne und das Rentenniveau in 2022 von 48,3 auf 48,1 Prozent sinke. Es gelte aber, das Rentenniveau nicht nur dauerhaft zu stabilisieren, sondern auch wieder auf mindestens 50 Prozent anzuheben. Renten müssten ebenso wie die Löhne steigen, sagte Schäfer.
Der Rechtswissenschaftler Heinz-Dietrich Steinmeyer forderte, das Rentensystem im Interesse der Beitragszahler und Leistungsbezieher weiter zu entwickeln. Dabei müsse ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Beitrags- und Steuerlast auf der einen Seite und einem angemessenen Leistungsniveau auf der anderen Seite hergestellt werden. Nur damit, so Steinmeyer, werde auch der Generationengerechtigkeit Rechnung getragen.
Quelle: Deutscher Bundestag
Autor(en): versicherungsmagazin.de