Nachhaltigkeit ist DER Zukunftstrend. Das erkennt auch die Versicherungsbranche zunehmend und baut ihre Unternehmen sowie Produkte dementsprechend um. Doch manche Branchenbeobachter sehen hier kein ernsthaftes Engagement, sondern nur Lippenbekenntnisse. Ein Gespräch mit Désirée Schubert, Senior Consultant bei AMC Finanzmarkt GmbH aus Düsseldorf und Geschäftsführerin der Fährmann Unternehmensberatung GmbH.
Mit einem speziellen Thema zur Nachhaltigkeit beschäftigt sich das AMC-Forum zusammen mit der Fährmann Unternehmensberatung: der Nachhaltigkeitskommunikation. In ihrer Studie „CSR-Kommunikation der Versicherer“ beleuchten die Unternehmen, wie es um die Kommunikation der Versicherungsbranche zum Thema Nachhaltigkeit, Corporate Social Responsibility oder auch CSR bestellt ist.
Die Studie sieht Belege, dass die CSR-Kommunikation vieler Versicherer schwächelt und sogar zwei Drittel der untersuchten Unternehmen keinerlei Aktivitäten entfalten wurden, ihre diesbezügliche Kommunikation zu verändern, zu verbessern. Die Studie zieht am Ende das Fazit, dass das CSR-Engagement vieler Versicherer wenig zeitgemäß ist und nur selten wurden die Möglichkeiten moderner Online-Kommunikationsinstrumente und -formate systematisch genutzt.
VM: Sie gehen mit der Versicherungsbranche hart ins Gericht und kritisieren deren „Ignoranz“ in Bezug auf das Thema „Nachhaltigkeit“. Und warum ist die Branche Ihres Erachtens bei diesem Thema so ignorant?
Schubert: „Ignoranz“ ist ein hartes Wort. Ich würde es gerne ummodeln in „zögerlich“, denn in Ansätzen kümmert sich die Branche ja durchaus um das Thema Nachhaltigkeit. Selbst die Versicherer haben seit einiger Zeit verstanden, dass das Thema nicht mehr weggeht. Was jedoch deutlich ist, ist dass sich andere Branchen intensiver mit der Nachhaltigkeit befassen.
Wir haben im Laufe unserer Studien-Auflagen* von 2011 bis heute beobachten können, dass Versicherer mit einem ausgeprägten Selbstverständnis in Sachen Nachhaltigkeit ausgestattet sind. In vielen Gesprächen wurde die Überzeugung deutlich, dass man als Versicherer per se nachhaltig sei. Die Langfristperspektive, auch in Sachen Vertragsgestaltung, haben die Versicherer im Brustton der Überzeugung mit „nachhaltig“ für sich übersetzt. Viele haben sich damit lange Zeit zufriedengegeben – doch spätestens mit der CSR-Berichtspflicht haben auch die Versicherer ein wenig Fahrt aufgenommen.
VM: Ihren Studienautoren zufolge gäbe es „für aktive Unternehmen eine Vielzahl an Ansatzpunkten, um das Nachhaltige in der Nachhaltigkeitsfindung zu fördern“. Was bedeutet dies im Detail? Können Sie Beispiele nennen?
Schubert: Wer nachhaltig sein möchte, der sollte an seinen Grundfesten rütteln. Das alles hat mit Haltung und Haltgeben zu tun. Unternehmen, die ernsthaft nachhaltig sind, leben das Thema und helfen anderen bei der Orientierung. Solche Unternehmen definieren sich über den Sinn - neudeutsch „purpose“: Wer seinen Purpose kennt, kennt seinen Zweck und seine Bestimmung. Hierin sehen wir einen aktuellen Nachhaltigkeitstrend, in dem es um die Integration von Nachhaltigkeit in Werte und allgemeine Unternehmenskommunikation geht.
Vieles spricht dafür, dass werteorientierte Unternehmen nachhaltig besser aufgestellt sind. Und Nachhaltigkeit ist eng verbunden mit Werten – Werten, die den eigenen Erfolg in Zusammenhang setzen mit Gemeinwohl und Zukunftsorientierung. Ein bekanntes Beispiel ist das Unternehmen Vaude, der nachhaltig innovative Outdoor-Ausrüster. Das Unternehmen hat Nachhaltigkeit in der Unternehmensstrategie verankert.
VM: Auch in Sachen Nachhaltigkeitskommunikation schneiden die Versicherer eher schlecht ab. Warum ist gerade die Kommunikationsperspektive auf das Thema Nachhaltigkeit so wichtig?
Schubert: Vorweg möchte ich betonen, dass die Verbindung von dem, was man gemeinhin unter Nachhaltigkeit versteht, und dem Kerngeschäft der Versicherer weitaus erklärungsbedürftiger und weniger offenkundig ist als in anderen Branchen (z.B. Ernährungs- und Textilindustrie). Entsprechend spielt die verständliche Kommunikation eine wichtige Rolle. Flankierend steigen prinzipielle Anforderungen an eine effiziente Kommunikation. Vor dem Hintergrund der Digitalisierung gewinnen einfache und präzise Informationen zunehmend an Bedeutung. Versicherer müssen bei ihrer Unternehmenskommunikation, in der Nachhaltigkeit idealerweise ein integraler Bestandteil ist, eine klare und verständliche Sprache nutzen.
Unsere Studie aus dem Jahr 2017 hat gezeigt, dass die Versicherer in Sachen Nachhaltigkeitskommunikation noch viel Luft nach oben haben. Dem Thema wird schlichtweg keine angemessene Bühne bereitet, auf der es sich entfalten kann. Aber nur wer die Sprache seiner Zielgruppe spricht, stellt sicher, dass seine Botschaften auch ankommen. Daher müssen Versicherer in Sachen Nachhaltigkeit verstärkt eine Kommunikation finden, die ihre Adressaten adäquat erreicht.
VM: Mit Blick auf die Regulatorik nennt die CSR-Berichtspflicht die Versicherer explizit als Unternehmen des besonderen öffentlichen Interesses. Entsprechend müssen diese über ihre Nachhaltigkeitsbemühungen berichten. Wie gut gelingt ihnen dies?
Schubert: Mit Blick auf die Kommunikation von Nachhaltigkeit spielt das Reporting eine wichtige Rolle. Es bildet den belastbaren Kern der gesamten Kommunikation und stützt die Glaubwürdigkeit der Nachhaltigkeitsbemühungen und -erfolge eines Unternehmens. Soweit so gut. Etablierte Institutionen wie das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW, www.ranking-nachhaltigkeitsberichte.de/) betrachten ja schon lange die qualitative Entwicklung des Nachhaltigkeits-Reporting. Auch wir betonen die Relevanz der Berichterstattung – wir betonen jedoch auch, dass ein Bericht allein noch keine gute Nachhaltigkeitskommunikation im oben beschriebenen Sinne darstellt. Ferner soll „gut“ an dieser Stelle explizit mit „verständlich“ übersetzt werden.
In einer aktuellen Studie haben wir die Verständlichkeit in den Nachhaltigkeitsberichten von 34 Versicherern untersucht. Das Ergebnis: Keiner der analysierten Versicherer kann mit seiner Berichterstattung zum Thema Nachhaltigkeit durch Verständlichkeit überzeugen. Dabei ist Verständlichkeit die Grundlage für Vertrauen, und Vertrauen wiederum eine wichtige Grundlage für Glaubwürdigkeit.
VM: Warum agieren Versicherer wie Barmenia, Ergo und Generali bei diesem Thema im Vergleich zu ihren Mitbewerbern Ihres Erachtens richtig?
Schubert: Ob die genannten Unternehmen „richtig“ agieren im Vergleich zu ihren Mitbewerbern ist kaum mit einer einfachen Antwort zu bewerten. Folgt man unserer Überzeugung, dass Nachhaltigkeit für jedes Unternehmen übersetzt werden muss, dann kann nicht jede Nachhaltigkeit-Performance eins zu eins gegenübergestellt werden. Was diese Unternehmen auf jeden Fall besser machen als andere ist das ernsthafte Engagement, mit dem Sie das Thema angehen.
VM: Glauben Sie, dass die aktuelle Corona-Krise das Thema stärker nach vorne bringt oder gänzlich zur Seite drängt?
Schubert: Auch wir haben den Eindruck, dass Nachhaltigkeit in Zeiten von Corona aus der öffentlichen Diskussion verdrängt wurde. Doch zum Beispiel bei der Google-Suche stoßen Themen wie Klimawandel oder Bienensterben nach wie vor starkes Interesse.
Als Nachhaltigkeitsberater wünschen wir uns natürlich, dass Corona einen Schub für mehr Nachhaltigkeit bedeutet. Nach den Erfahrungen des Lockdowns ist Konsumverzicht für viele Konsumenten denkbar geworden. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass Kaufentscheidungen kritischer betrachtet werden, dass Flugreisen stärker überdacht werden, als vor Corona. Digitale Meeting-Lösungen sind auch so ein Beispiel. Manch einer wird sich fragen, ob ein entferntes Vor-Ort-Meeting wirklich einen Mehrwert zu Zoom, Teams und Co. bietet.
Für viele Unternehmen ist Corona ein strategischer Schock. Diese außergewöhnliche Zeit können Unternehmen entweder nutzen, um sich neu aufzustellen, oder um sich an Altem festzuklammern. Letztere werden nach Staatshilfen schreien und kaum bereit sein, sich auf mögliche daran gekoppelte Nachhaltigkeitsauflagen einzulassen. Für uns der Worst Case, der Nachhaltigkeit ausbremsen würde.
Bewerben Sie sich! Versicherungsmagazin und Morgen & Morgen kürt nachhaltige Versicherer
Gemeinsam haben Versicherungsmagazin, Bankmagazin und das Software- und Analysehaus Morgen & Morgen den "Sustainable Award in Finance" ins Leben gerufen. Hier können sich Unternehmen beweisen, die auf Nachhaltigkeit setzen.
Teilnahmeberechtigt sind Investmentprodukte, Spar- und Finanzierungsprodukte sowie Versicherungen. Die Produkte werden in drei Kategorien bewertet: Environment, Social und Governance.
Die Gewinner werden von einer Jury ausgewählt, die sich aus anerkannten Vertretern von Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit zusammensetzt. Produktgeber können sich online bis zum 14. August 2020 bewerben. Die Preisverleihung findet Ende November statt.
Weitere Informationen und die Teilnehmerunterlagen können Interessenten hier abrufen: www.sustainable-award-in-finance.de
Autor(en): Meris Neininger