Der 26. „Zukunftsmarkt Altersvorsorge“, veranstaltet vom Management Center of Competence (MCC), verband die bestehenden Probleme in Deutschland mit Erwartungen an die zukünftige Regierung, einen Austausch mit Politikern sowie Eindrücke aus anderen Ländern. Die zweitägige Veranstaltung in Berlin bot viele informative Vorträge und Diskussionen rund um die drei Säulen der Altersvorsorge.
Durch das Programm des ersten Tages führte Martin Werding, Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum. Mit seinem Vortrag über die bevorstehenden Aufgaben in der Rentenpolitik für die kommende Legislaturperiode führte Werding auch direkt ins Thema ein. Er machte dabei die teilweise erheblichen Schwierigkeiten deutlich, die der Altersvorsorge (AV) in Deutschland in den kommenden Jahrzehnten noch bevorstehen.
Langfristige Probleme, die die kommende Regierung angehen muss
Zuvorderst das allseits bekannte Demografie-Problem: Die Bevölkerung der Bundesrepublik werde stark und dauerhaft altern, die Entwicklung sei bis 2035 oder sogar 2040 auch wenig variabel, so Werding. Dazu käme noch die mittel- und langfristig unsichere Lage am Arbeitsmarkt sowie momentan schwache Aussichten beim Lohn- und Wirtschaftswachstum. Ebenso herrschten auf dem Kapitalmarkt – mit Blick auf fondsgestützte AV-Modelle – häufige Unsicherheiten.
All diese Rahmenbedingungen belasten die Säulen des Systems aus betrieblicher Altersversorgung (bAV), Gesetzlicher Rentenversicherung (GRV) und Privater Altersvorsorge (pAV). „Längerfristig gibt es keine günstigen Szenarien für das Rentensystem“, resümierte Werding, das Rentenniveau sinkt und der GRV-Beitragssatz muss als Reaktion darauf eigentlich kontinuierlich steigen.
Damit stünden der neuen Regierung, die voraussichtlich aus CDU/CSU und SPD bestehen wird, einige Aufgaben ins Haus. Als wichtig sah der Experte dabei vor allem an, die Probleme und den Reformbedarf offen anzusprechen und anzugehen.
Reform der GRV beinahe unausweichlich
Diese Probleme hob Gundula Roßbach, die Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung, noch einmal hervor. Wenn nichts am System geändert würde, könnte der GRV-Beitragssatz bis 2040 auf 21,4 Prozent steigen, bei einem gleichzeitig auf 45 Prozent absinkenden Rentenniveau. Aktuell liegenn diese Werte bei 18,6 beziehungsweise 48 Prozent.
Obwohl die Nachhaltigkeitsrücklage bei über 44 Milliarden Euro momentan recht gut bestückt sei, so werde sie jetzt sukzessive abgebaut, um die Rentenbeiträge mitzufinanzieren. Danach werde sie auf dem Mindestmaß verbleiben.
Um verlässliche Rahmenbedingungen der Liquiditätssicherung und Finanzierung zu schaffen, helfe laut Roßbach nur, die Mindestrücklage anzuheben. Wie Werding nahm auch sie die zukünftige Regierung in die Pflicht. Es sei Aufgabe der Politik, offen darüber zu sprechen, dass auch unpopuläre Maßnahmen getroffen werden müssten. Langfristig werde zusätzliche Altersvorsorge – ob privat oder anderweitig – immer wichtiger, sogar eine verpflichtende Lösung könnte ins Gespräch kommen. Auch Roßbach sagte, die wichtigste zu beantwortende Frage sei: „Wie passen wir das System an demografische Herausforderung an?“
Bei der Mütterrente sind sich Arbeitgeber und Gewerkschafter einig
Dass wesentliche Reformen der GRV nötig sind, unterstrich auch Alexander Gunkel, Mitglied der Hauptgeschäftsführung bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Er formulierte stellvertretend mehrere Forderungen der Arbeitgeber: Eine Anpassung der Regelaltersgrenze, ein Förderungs-Stopp für die Frührente und mehr Reformelan für die AV. Gerade die pAV müsse „endlich gelungen“ reformiert werden, und das am besten zeitnah.
Die Mütterrente, eine Initiative der Union, erfreute sich weder bei Gunkel – der sie als zu teuer empfand – noch bei Markus Hofmann vom Deutschen Gewerkschaftsbund großer Beliebtheit. „Es ist schwierig, öffentlich gegen die Mütterrente zu agitieren, weil es ja sehr gut klingt“ eröffnete Hofmann, „aber der Bund stiehlt sich da oft aus der Verantwortung und wälzt die Kosten auf Beitragszahler ab. So kann das System nicht gut funktionieren“. Stattdessen müsse mehr getan werden, um den Gender-Pay-Gap und davon ausgehend auch den Gender-Pension-Gap endlich zu beseitigen.
Anlagefonds als Allheilmittel…
Um privat vorzusorgen, legen inzwischen immer mehr Deutsche in ETFs an, die als sicherste langfristige Kapitalanlageform gelten. Denn, wie es Hermann-Josef Tenhagen, Chefredakteur und Geschäftsführer des Geld-Ratgebers Finanztip, ausdrückte: „Die gesetzliche Rente allein sichert den Lebensstandard nicht mehr, so ehrlich muss man das sagen.“
Tenhagen führte aus, dass um die 2000er Jahre herum noch Versicherungspolicen die populärste Lösung waren. Laut Berechnungen seines Geld-Ratgebers käme bei Rentenversicherungen aber letztlich kein großes Plus für Versicherte heraus. Im Gegenteil könne bei weniger als fünf Prozent Kapitalmarktrendite bei einigen Policen sogar ein Negativ-Geschäft entstehen. Die günstige Geldanlage in Fonds, vor allem in ETFs, sei deshalb in den meisten Fällen vorzuziehen.
Die folgende Sprecherin zeigte allerdings auf, dass noch zu selten die Rendite im Vordergrund steht. „Die Deutschen legen ihr Geld immer noch oft so an, dass es wenig bringt“, sagte Cvetelina Todorova, Leiterin für Altersvorsorgepolitik beim Fondsverband BVI. Noch immer bunkerten zu viele Menschen hierzulande Bargeld, unterhielten Sparbücher oder sehen die gesetzliche Rente als ausreichend für das Alter an. Die PAV bleibe so eine Baustelle.
… oder doch als wirtschaftliche Sackgasse?
Moritz Schumann, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), wollte Tenhagens Aussagen zu privaten Rentenversicherungsprodukten nicht auf sich sitzen lassen. Die Branche übernehme hier schließlich „viel Verantwortung, auch für langfristige Verträge über 50 und sogar 60 Jahre“. Auch gab er zu bedenken, dass vielen Anlegerinnen und Anlegern bei Fonds egal sei, wo investiert wird. „Es muss nur die Rendite stimmen.“
So ist der „MSCI-World“ der beliebteste Anlagefonds, aber er sei zu 75 Prozent gefüllt mit amerikanischen Tech-Unternehmen. Angesichts der aktuellen politischen Lage sei dies vielleicht nicht sehr verantwortungsvoll. „Wir sollten uns in Deutschland fragen, in welche Hände legen wir hier unsere Altersvorsorge?“ sagte Schumann weiter, und schloss mit der Aussage „blindes ETF-Sparen ist der falsche Weg“.
Stattdessen schwenkte er auf eine Kernforderung des GDV, den Ausbau der betrieblichen Altersversorgung. Bei Durchschnittsverdienern habe immer noch jeder Dritte keine bAV, „das ist zu viel“.
In der anschließenden Diskussion mit Tenhagen, Todorova und Schumann sagte ersterer, der Staat müsse dafür sorgen, dass die Bürger mit kostengünstigen AV-Produkten versorgt sind. „Bisher sind ETFs für private Vorsorger die beste Lösung“. Die Teilnehmer einigten sich darauf, dass hohe Kosten für Altersvorsorge in Deutschland ein schwieriges Thema bleiben.
Erneute BVK-Forderung nach weniger Regulatorik
Gegen Ende des Tages hatte noch Michael Heinz, Präsident des Bundesverbands Deutscher Versicherungskaufleute (BVK), seinen Auftritt und legte die Interessen der Vermittler vor. Die Menge an Regulatorik, die von der EU-Ebene vorgegeben werde, sei für viele inzwischen nicht mehr vertretbar: „Wir haben bisher alles mitgetragen. Und es reicht immer noch nicht.“ Berufspolitisch sei es inzwischen inakzeptabel und erschwere letztlich auch den Vertrieb von AV-Produkten. Die Forderungen, die der Verband schon direkt nach der Bundestagswahl an die Politik gestellt hatte, bleiben laut Heinz weiterhin bestehen. Zu diesen gehören auch eine stärkere Förderung der kapitalgedeckten Altersvorsorge und eine Reform der Riester-Rente.
Autor(en): Frederik Schmidt