„Das Versicherungsprinzip funktioniert bei Pandemien nicht, bei diesen ist es außer Kraft gesetzt.“ Ein knappes folgenreiches Statement, geäußert von Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Und welche Konsequenzen hat dies nun für von der Pandemie betroffene Unternehmen?
Die Versicherungsbranche ist in den vergangenen Monaten heftig dafür kritisiert worden, dass sie diese Haltung einnimmt. Vor allem ihr Umgang mit der Betriebsschließungsversicherung (BSV) in der Corona-Krise und der strikten Weigerung vieler Versicherer, Kunden mit BSV-Police und Umsatzeinbußen zu entschädigen, sorgte bei vielen Verbrauchern und Unternehmenslenkern für Unmut.
Nun versucht die Versicherungswirtschaft ein wenig die Wogen zu glätten, so auch der GDV und hat im vergangenen Sommer eine Expertenrunde ins Leben gerufen, die ergründen soll, wie Markt – eben auch Versicherer – und Staat in einer pandemieschen Lage "zu gemeinsamen, nachhaltigen Lösungen kommen können.“
Privatwirtschaftlicher Versicherungsschutz stößt an seine Grenzen
Zu den wichtigsten Aufgaben der Versicherungswirtschaft gehört es, „neue Risiken frühzeitig zu erkennen, über Gefahren aufzuklären, Schäden zu verhüten und privaten Versicherungsschutz anzubieten.“ So ihre eigene Definition. „Das gelingt uns in aller Regel – aber es gelingt nicht immer. Im Fall der Corona-Pandemie stößt privatwirtschaftlicher Versicherungsschutz an seine Grenzen“, grenzt der GDV-Hauptgeschäftsführer die Wirkung von Versicherungsschutz ein.
Die neu ins Leben gerufene Expertengruppe hat Vorschläge erarbeitet, wie von Pandemien betroffene Wirtschaftszweige künftig durch ein so genanntes Public Private Partnership (PPP) zwischen Versicherungswirtschaft und Staat unterstützt werden könnten. Gleichzeitig haben die Versicherer die Betriebsschließungsversicherung zum Fall der Pandemie abgegrenzt. Damit wollen sie „für künftige Fälle die Basis für Klarheit und Transparenz schaffen.“
Experte plädiert für Obligatorien – auf diversen Ebenen
Dass die Versicherungswirtschaft bereit ist, sich kontroversen Positionen zu stellen, sollen auch kurze Diskussionsrunden mit Experten beweisen, die eine andere Haltung als viele Versicherungsunternehmen einnehmen. Im jüngsten „GDV-live“-Dialog tauschten sich Jörg Asmusen und Gert Wagner, Mitglied des Sachverständigenrates für Verbraucherfragen (SVRV) aus.
Wagner plädierte in diesem dafür, dass die deutschen Versicherer dies wie in der Schweiz handhaben und ein Obligatorium für eine Pandemieabsicherung einführen sollten. Was seiner Ansicht nach auch für die Elementarversicherung umgesetzt werden sollte, doch die deutschen Versicherer „lehnten dies bislang kategorisch ab“, für Wagner unverständlich.
Prävention muss zentraler Teil wirtschaftlichen Realität werden
Wagner fordert, dass Privatpersonen sich künftig weitaus stärker über das Thema Prävention Gedanken machen sollten als dies bislang der Fall sei. So müsse Prävention ein zentraler Teil der wirtschaftlichen Realität werden. O-Ton Wagner: „Eine Pandemieversicherung sollte spürbar was kosten.“ Denn nur wer für eine derartige Vorsorge kontinuierlich zur Kasse gebeten werde, mache sich mehr Gedanken über das Thema Prävention, um so am Ende auch Geld einzusparen.
Ein Prinzip der Forderung und Belohnung, das an Telematik-Tarife in der Kfz-Versicherung erinnert.
Doch die Bürger sollten auf diesem Gebiet nicht nur dazu angehalten werden aktiver zu werden, ihr diesbezügliches Engagement sollte aber auch belohnt werden und zwar dadurch, dass sie weniger Versicherungsprämie zahlten müssten. Über dieses Angebot an die Verbraucher sollten die Versicherer auf jeden Fall mal nachdenken. Asmussen zeigte sich hier offen, diesen Punkt hätte die PPP-Expertenrunde bisher „noch offengelassen, aber in erster Linie aus Zeitgründen.“
Kapitalstock bilden, um KMU finanziell zu stützen
Der Plan für eine Pandemiebekämpfung der Zukunft: Baldmöglichst sollte eine rechtlich unabhängige Einheit mit einem Kapitalstock aufgebaut werden. Dessen Höhe sollte in einer deutlich zweistelligen Milliardenhöhe liegen. Ähnliche Ideen würden auch in Frankreich und der Schweiz verfolgt. Diese Einheit solle in erster Linie kleine und mittlere (KMU) im Blick haben, die durch eine generalpräventive Schließungsmaßnahme betroffen seien und folglich ihren Geschäften nicht mehr nachkommen könnten. Dieser Kapitalstock sollte in vier Stufen finanziert werden und zwar durch die Beiträge der Versicherten, eine klassische Rückversicherung, so genannte Katastrophenbonds und am Ende vom Staat.
Diese Katastrophenbonds gibt es laut Asmussen in westlichen, entwickelten Volkswirtschaften noch nicht, bislang werden sie beispielsweise nur in einigen afrikanischen und unterentwickelten Ländern eingesetzt. Doch Asmussen sieht in diesen Finanzierungsspritzen auch für westliche Länder und für die Zukunft „eine interessante Finanzierungsidee“. Diese Bonds sollen ausgelöst werden, wenn eine Pandemie wie die aktuelle bei manchen Firmen und Branchen zu finanziellen Engpässen führt. Mit dieser Idee will der GDV in den nächsten Monaten vor allem während des Bundestagswahlkampfes bei den politischen Parteien werben.
Möglichkeit einer Pandemie zu lange außer Acht gelassen
Wagner bemängelte in der Talkrunde auch die grundsätzliche Haltung zu Pandemien in der westlichen Welt. Hier seien in der Vergangenheit Fehler gemacht worden, indem man ein derartiges Problem einfach ausgeblendet habe. Wagner wörtlich: „Man hat das Pandemieproblem in der jüngsten Vergangenheit immer wieder verdrängt. Wenn Ereignisse selten eintreten, werden sie von Menschen immer wieder gern ignoriert.“ Nach dem Motto: Die letzte Pandemie in Europa ist letztmals vor hundert Jahren aufgetreten und betrifft ja meist nur ärmere sowie unterentwickelte Länder. Diese ignorante Haltung werde nun hart bestraft.
Auch Asmussen konnte bestätigen, dass Menschen dazu neigten, Gefahren auszublenden, wenn sie nicht kontinuierlich aufträten. Auch seine Branche habe hier Fehler begangen. Aus diesem Grund habe sich auch die Expertenrunde zum Thema Public Private Partnership dazu durchgerungen, eine verpflichtende Versicherungslösung für Pandemien anzustreben.
„Bei einer Pandemiebekämpfung ist die Prävention ein ganz wichtiger Aspekt“, zeigte sich auch der GDV-Mann überzeugt und sieht seine Branche in der Pflicht, hier künftig stärker aktiv zu werden. „Denn die vergangenen Monate haben uns gezeigt, dass Pandemien in Europa sicherlich ein Teil unserer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Realität sein und bleiben werden.“
Niedrigere Beiträge bei angestelltem Betriebsarzt
Einen interessanten, aber wohl nicht immer praktikablen Einwand hatte Wagner am Ende des kleinen Expertentalks noch: Unternehmen, die einen Betriebsarzt haben, sollten auch mit einer niedrigeren Prämie belohnt werden als Firmen, die hier nicht in die Gesundheitsvorsorge ihrer Mitarbeiter investieren. Diese Idee fand Asmussen besonders überlegenswert, auch für sein Haus. „Da müsste unser Verband auch eine Prämienreduktion erhalten, da wir einen Betriebsarzt angestellt haben“, kommentierte er die Äußerung des Professors schmunzelnd, aber auch nicht ganz ernst gemeint.
Erst national, dann international ausrollen
Und wie sieht nun der Zeitrahmen für die Umsetzung des Public Private Partnership aus? In der ersten Stufe soll das Modell nur national umgesetzt werden, obwohl eine/die Pandemie nie an Staatsgrenzen Halt macht. Das haben die vergangenen Monate immer wieder eindrücklich gezeigt. Und erst in der zweiten Stufe soll das nationale, das deutsche Modell mit weiteren, erst einmal drei bis vier (willigen) Staaten vernetzt werden, bis das Netzwerk am Ende europa- und weltweit wirken könne. Diese Vorgehensweise ist natürlich auch der Tatsache geschuldet, dass die Präventionsmaßnahmen der einzelnen Staaten sehr unterschiedlich und somit nicht ohne Weiteres zu verknüpfen sind.
Autor(en): Meris Neininger