Wachsende Kundenerwartungen, neue digitale Möglichkeiten und ein erhöhter Effizienzdruck machen der Schadensparte schwer zu schaffen. Über den Erfolg entscheiden längst nicht mehr allein die richtigen Strategien. Es hängt immer mehr von der Umsetzung innerhalb der Belegschaft ab, wie gut und schnell verabschiedete Optimierungsmaßnahmen und Veränderungsprozesse etabliert werden.
Selbst für erfahrene Managerinnen und Manager ist die Dynamik, mit der sich Märkte verändern, eine Herausforderung. Damit Schritt zu halten und möglichst noch Trends zu antizipieren, zählt zur Königsdisziplin im Management. Da sollte es eigentlich nicht verwundern, wenn das Veränderungsprogramm, welches das Management über Monate ausgearbeitet hat, für „normale“ Mitarbeitende mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt. Und selbst wenn es der Führungsriege gelingt, den Nutzen für das Unternehmen verständlich zu machen, bleibt die Frage, was das Ganze für das Individuum in genau seinem Aufgabenbereich bedeutet und warum es mit Leidenschaft mitwirken soll, wenn es auf den ersten Blick nur Nachteile mit sich bringt.
Change Management hat die Aufgabe, als Vermittler zu fungieren – zwischen sachlichen Zielen auf der einen Seite und betroffenen Menschen auf der anderen Seite. Anders formuliert, ist es eine der Aufgaben von Change Management sicher zu stellen, dass Mitarbeitende alles bekommen, was sie brauchen, um mit der Veränderungssituation klarzukommen, sie zu verstehen und dem Neuen positiv begegnen zu können.
Konkrete Ziele des Change Management im Schaden
Richtgrößen für wirksames Change Management in der Schadenpraxis bilden eine klare Change-Zielvorstellung sowie Maßnahmen, die sich kompromisslos auf zielgruppenspezifische Wirksamkeit in der Praxis konzentrieren:
- Mitarbeitende und Führung im Schaden können nachvollziehen, was unter „Attraktivität des Schadens extern und intern“ verstanden wird zum Beispiel innovative Arbeitszeitmodelle, Smart-Analytics-unterstütze Schadenbearbeitung. Dazu zählt auch Klarheit und Transparenz überpersönliche Beitragserwartungen und reale -beiträge, damit diese als annehmbar und leistbar erlebt werden. Mentoren-Funktionen, Multiplikatoren-Rollen, Teilnahme an Entwicklungs-Task-Forces oder inhaltliche Reflektionszirkel sind nur einige Instrumente, die hier maßgeschneidert zum Einsatz kommen
- Führungskräfte innerhalb der Schadenorganisation orientieren sich konsequent an einem gemeinsam definierten Zielbild, Grundsätzen, Aufgaben und Werkzeugen. Sie leben diese erkenn- und messbar im Tagesgeschäft vor und sind mutig genug eigene Überzeugungen und Verhaltensweisen zur Diskussion zu stellen.
- In der Schadenorganisation sind das orts- und zeitunabhängige Lernen sowie der themenorientierte Austausch über digitale Plattformen generationenübergreifend möglich und werden gefördert, zum Beispiel via Claims Academy, Virtual-Classroom, Videos oder den Aufbau von kollektiven Communities. Mitarbeitende entwickeln eine Haltung an „Offenheit & Mitgestaltungswillen“ für eine aktive, cross-funktionale und digitale Projekteinbindung.
- Mitarbeitende sehen Veränderungen im Schaden, vor allem im Bereich Automatisierung beziehungsweise Digitalisierung, zunehmend als beherrschbare Chance an. Transparenz über das Einbringen von Ideen aus der Belegschaft, Verbesserungsvorschläge und Best-Practices werden geschaffen, geteilt und aktiv genutzt. Die Motivation der Belegschaft ist erhöht und wirkt sich positiv auf die Kundenzufriedenheit aus.
Die drei agil-angelegten Phasen des Change Managements
Change Management besteht klassischerweise aus drei agil-angelegten Phasen, von denen keine ausgelassen oder übersprungen werden kann – die aber durchaus verschieden starke Hebel haben und entsprechend priorisiert werden können, je nachdem auch, wie gut die Organisation in einzelnen Aspekten bereits aufgestellt ist.
Mobilisieren:
Ziel dieser Phase ist es, Einsicht und Motivation für die Veränderungsnotwendigkeit im Schaden zu erwirken und in den Köpfen von Betroffenen das Bedürfnis zu erzeugen, sich einzubringen und mitzugestalten . Ob dies erreicht ist, spiegelt sich in Aussagen Betroffener wider, wie: „Ich verstehe den Bedarf nach Veränderung, bin offen für neue Wege und will mich einbringen.“
Im Fokus steht die Bereitstellung von Fakten in Form von Beispielen, Best Practices, Zukunftsbildern oder Konkurrenzvergleichen. Mögliche Instrumente sind dabei gemeinsam erarbeitete Change Stories, Change Architekturen und Kommunikationspläne. Wenngleich der Fokus auf Konzeption liegt, wird ein direkter Mehrwert für Betroffene durch das Wie der inhaltlichen Erarbeitung erreicht: Beispielsweise werden die häufig zu Beginn priorisierten klassischen Stakeholder-Analysen durch Stakeholder-Dialoge ersetzt, die sich konkret auf die Diskussion von Vorgehensvorschlägen und einer zielgruppenadäquaten Feinjustierung beziehen. Verunsicherte Personen sollen frühzeitig in den Veränderungsprozess eingebunden und eine Aufbruchsstimmung etabliert werden.
Befähigen:
Durch gezielten Kompetenzaufbau konzentriert sich diese Rubrik am Ausprobieren neuer Denk- und Verhaltensweisen. Der Fokus von Lern- und Entwicklungsangeboten liegt auf dem direkten Erleben und Verarbeiten herausfordernder Situationen. Die so genannte E3-Logik nach Horváth sichert Praxisrelevanz, indem maximal 20 minütige Wissenssprints stattfinden (20 Prozent „enabling“) und der Schwerpunkt auf dem Erleben (50 Prozent „experience“) und Reflektieren im Betroffenenkreis (30 Prozent „exchange“) liegt. Tun und Teilen werden priorisiert. Ein praxisbewährtes Tool ist dabei die gemeinsame Erarbeitung künftiger Rollen vom Schadenmitarbeitenden bis zur Schadenleitung. Durch die interaktive „Co-Creation“ entsteht ein gutes Bewusstsein über den Grad der Veränderung und eine erste Berührung mit dem vermeintlichen Neuem.
Die Horváth E3-Logik sichert die Praxisrelevanz beim Wissensaufbau
Leben:
Königsdisziplin im Management von Veränderungen ist die nachhaltige Verankerung und Anwendung von Neuem im Praxisalltag. Zentrales Messelement dabei die Wirksamkeit im Verständnis gelebter Routinen. Zentraler Erfolgsbaustein ist hierbei das Aufbauen auf spezifischen Stärken der einzelnen Mitarbeitenden, wie ihr Einsatz im First-Level Support mit hohem Anteil an telefonsicher Kundeninteraktion versus ihren individuellen Einsatz in der Schadenbearbeitung beziehungsweise -prüfung. Kontinuierlich und systematisch wird über unterschiedliche Formate Feedback eingeholt (Roundtable, Mystery Shopping, Balkon-Talks oder Frag-mich-was Dial-in Calls), um jene Maßnahmen auf den Prüfstand zu stellen, die zu Zeitpunkt x als erfolgsversprechend eingestuft wurden.
Ergänzend ist der Nutzen nachzuhalten, indem validiert wird, ob definierte Ziele durch die Veränderungen auch erreicht wurden – idealerweise durch vordefinierte KPIs und Ambitionsniveaus. Wichtig ist, dass sich die Change-KPIs dabei auf die Veränderung in der Praxis bezieht und nicht alleine auf den Erfolg abgeleiteter Change-Instrumente. Zusätzlich gilt es in dieser Phase, die interne Kultur weiterhin für Veränderungen auszurichten, sodass zum einen Impulse durch die Mitarbeitenden identifiziert und adressiert werden, zugleich aber perspektivische Veränderungen umgesetzt werden können.
Fazit und Ausblick
Der menschliche Faktor ist in Veränderungsvorhaben weder bereits automatisiert in fachlichen Schadenzielen und Maßnahmen integriert, noch lässt er sich allein durch Newsletter-Updates oder Rundschreiben bewältigen. Gefragt ist eine durchdachte, zielgruppenadäquate und lebendige Form des Miteinbezugs von Wissensträgern und Zielgruppenrepräsentanten. Stimmen des Widerstandes sollten dabei genauso aufgegriffen werden wie Erfahrungswerte bisher er- und durchlebter Veränderungen im Schaden.
Veränderung erfordert Mut und Resilienz, sich mit kritischen Fragen und Ängsten der Mitarbeitenden auseinander zu setzen. Zentrale Erfolgsfaktoren sind neben der Auswahl praxisnaher und schnell wirksamer Change-Maßnahmen vor allem die Führungskräfte. Diese sollten bisherige Erfolgsrezepte und Handlungsmaximen auf den Prüfstand stellen und offen sein, neue Wege zu gehen.
Über die Autoren
Philipp Jan Steinbrück ist Versicherungsexperte und Head of Claims Excellence bei der Managementberatung Horváth. Zu seinen Beratungsschwerpunkten gehören Optimierungsprogramme im Schaden-/Leistungsbereich, Automatisierungs- und Digitalisierungsprojekte sowie konzernstrategische Fragestellungen.
Sandra Vögel ist Expertin für Change, Culture, Leadership & Teams bei der Managementberatung Horváth. In der Consultingbranche ist sie seit 2004 international auf Konzern- und KMU-Ebene industrieübergreifend tätig. Ihre Promotion im Bereich Management, Organization & Culture absolvierte Vögel an der Universität St. Gallen.
Pirmin Mussak ist Versicherungsexperte bei der Managementberatung Horváth. Vor seiner Consultingkarriere war Mussak als Projekt Manager in der Versicherungsbranche tätig. Seine Promotion zu CRM im Versicherungsvertrieb absolvierte Mussak an der Universität St. Gallen.
Autor(en): Phillip Steinbrück, Sandra Vögel, Pirmin Mussak