Rein betriebswirtschaftlich gesehen können die meisten Gesellschaften die eingegangenen Verpflichtungen nicht erfüllen, so Professor Heinrich Schradin beim 43. AMC-Meeting. Und dass "PIA" kein Mädchenname ist, sondern sich die Versicherer dringend mit dem Kürzel auseinander setzen sollten, mahnte Rolf Wiswesser an.
"Die Lebensversicherungsunternehmen sind keineswegs gut gerüstet für Solvency II", so Professor Dr. Heinrich Schradin, Vorsitzender des Beirats der AMC Finanzmarkt GmbH bei deren 43. AMC-Meeting. Als Grund dafür führte er vor den Marketingleitern der Branche aus, dass die Unternehmen zu wenig Eigenkapital aufweisen.
Knapp über zwei Prozent Eigenkapital
Kapitalanlagen von 817 Milliarden Euro standen 2014 nur 16 Milliarden Euro Eigenkapital gegenüber, zitierte er Zahlen, die an seinem Lehrstuhl an der Universität Köln erhoben und gesammelt werden. Gemessen an der Deckungsrückstellung wiesen die Lebensversicherer im Durchschnitt 2,24 Prozent Eigenkapital auf. Insbesondere kapitalmarktorientierte Versicherer sind zudem bestrebt, diese Kennzahl zu senken und die Eigenkapitalkosten gering zu halten, machte Schradin am Beispiel der Allianz deutlich (0,98 Prozent). Andere Versicherer erreichen mehr als vier Prozent, wie er an ausgewählten Beispielen belegte.
Hinzu kommt, dass die durchschnittliche Verpflichtung gegenüber den Kunden bei 14 Jahren Laufzeit liegt, aber die Kapitalanlagen nur acht Jahre durchschnittliche Laufzeit aufweisen - ein "Duration-Mismatch".
Niedrigzinsen machen Strich durch die klassische Bilanz
Normalerweise ist das alles kein Problem. Doch die anhaltend niedrigen Zinsen führen zu "dramatischen Auswirkungen für die Bilanzen im Jahresabschluss sowie für die Versicherungsaufsicht", so Schradin weiter. Dazu wurden zwei Sicherungsmaßnahmen eingeführt, damit Versicherer nicht etwa nach und nach den Gang zum Insolvenzgericht antreten müssen.
So werden langfristige Verpflichtungen mit einem gleitenden zehnjährigen Durchschnittzinssatz bewertet, die sogenannte Zinszusatzreserve. Außerdem erhalten die Versicherer eine Übergangszeit von 16 Jahren zu den Solvency II-Regeln, in denen sie den Kapitalbedarf zur Finanzierung der Rückstellungen durch ein fiktives Eigenkapital bedecken können.
Nachreservierung 2015 führt im Schnitt zu negativem Eigenkapital
Aber allein die Zinszusatzreserven-Systematik führt durch das rapide Absinken des durchschnittlichen Swapsatzes zu einem erheblichen Nachreservierungsbedarf. Für Ende 2015 kann mit einer Zuführung von weiteren 2,39 Prozent der Deckungsrückstellung gerechnet werden, zeigte er anhand konkreter Zahlen auf. Das macht bei einem durchschnittlichen Lebensversicherer 245 Millionen Euro aus. Derselbe durchschnittliche Lebensversicherer hat allerdings nur 229 Millionen Euro Eigenkapital laut seiner HGB-Bilanz, und der Rohüberschuss macht mit 152 Millionen Euro auch wenig Mut, die Nachreservierung aus Gewinnen stemmen zu können.
Erschwerend kommt hinzu, dass mit der Absenkung des Höchstzillmersatzes nach dem LVRG von 40 auf 25 Promille das bisher schon nur minimal positive Kostenergebnis in die rote Richtung schwenkt. Die Risikogewinne müssen zu mindestens 90 statt bisher 50 Prozent den Kunden zukommen. Und die Zinsergebnisse schrumpfen dahin. Zusammenfassend macht das Lebensversicherungsgeschäft den Versicherern keine Freude mehr.
Anpassung der Kosten gefordert
Schradins Rezept für die Gesellschaften umfasst verschiedene Maßnahmen, zu denen wenig überraschend auch "Zurückhaltung im Vertrieb klassischer Produkte" und die Anpassung von Kosten, unter anderem den Provisionen, gehören. Die Versicherungsvermittler, vor allem die Makler, forderte Schradin auf, sich mit der finanziellen Situation von Lebensversicherern auseinanderzusetzen. Seiner Ansicht nach sollte in die Beratung einfließen, wenn ein Versicherer die Übergangsregeln von Solvency II nutzen und ein fiktives "Transitional Capital" bilden muss.
Privates Institut prüft Förderprodukte
Dr. Rolf Wiswesser, bis Ende September Vertriebsvorstand des Ergo-Konzerns, stellte in seinem Vortrag die Anfang Oktober neu eingerichtete oder kurz PIA vor. Diese wurde am Fraunhofer Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik gegründet und soll geförderte Altersvorsorgeprodukte bewerten und wissenschaftliche Impulse geben. Grundlage ist § 3a des Altersvorsorgezertifizierungs-Gesetzes, mit dem das Bundesfinanzministerium zur Vergabe einer solchen Einrichtung ermächtigt wurde.
"Vergessen Sie Produktratings", so Wiswesser. In der Beratung müssen das Leistungsversprechen und nicht nur die Kosten von Vorsorgeprodukten im Vordergrund stehen. Die reine Kostenorientierung kann leicht zu Fehlentscheidungen führen, wie er exemplarisch an einigen Beispielen zeigte. Und: "Berater müssen die neuen Anlagekonzepte verstehen", forderte er mit Blick auf die Alternativen zur klassischen, deckungsstockgestützten Lebensversicherung.
Verkauf wird nicht einfacher
Dazu werden Chancen-Risiko-Profile gebildet werden, mit deren Hilfe Produktangebote in Risikoklassen eingeordnet werden können. Nach Wiswessers Einschätzung müssen die Versicherer sicherstellen, dass sie in jeder Risikoklasse Angebote vorgehalten werden - und dass der Kunde dementsprechend befragt und beraten wird, welche Risikoklasse und damit welches Produktkonzept zu ihm passt. Einfacher wird der Verkauf von Altersvorsorgeprodukten damit nicht.
Bildquelle: © Jens Büttner/dpa
"Die Lebensversicherungsunternehmen sind keineswegs gut gerüstet für Solvency II", so Professor Dr. Heinrich Schradin, Vorsitzender des Beirats der AMC Finanzmarkt GmbH bei deren 43. AMC-Meeting. Als Grund dafür führte er vor den Marketingleitern der Branche aus, dass die Unternehmen zu wenig Eigenkapital aufweisen.
Knapp über zwei Prozent Eigenkapital
Kapitalanlagen von 817 Milliarden Euro standen 2014 nur 16 Milliarden Euro Eigenkapital gegenüber, zitierte er Zahlen, die an seinem Lehrstuhl an der Universität Köln erhoben und gesammelt werden. Gemessen an der Deckungsrückstellung wiesen die Lebensversicherer im Durchschnitt 2,24 Prozent Eigenkapital auf. Insbesondere kapitalmarktorientierte Versicherer sind zudem bestrebt, diese Kennzahl zu senken und die Eigenkapitalkosten gering zu halten, machte Schradin am Beispiel der Allianz deutlich (0,98 Prozent). Andere Versicherer erreichen mehr als vier Prozent, wie er an ausgewählten Beispielen belegte.
Hinzu kommt, dass die durchschnittliche Verpflichtung gegenüber den Kunden bei 14 Jahren Laufzeit liegt, aber die Kapitalanlagen nur acht Jahre durchschnittliche Laufzeit aufweisen - ein "Duration-Mismatch".
Niedrigzinsen machen Strich durch die klassische Bilanz
Normalerweise ist das alles kein Problem. Doch die anhaltend niedrigen Zinsen führen zu "dramatischen Auswirkungen für die Bilanzen im Jahresabschluss sowie für die Versicherungsaufsicht", so Schradin weiter. Dazu wurden zwei Sicherungsmaßnahmen eingeführt, damit Versicherer nicht etwa nach und nach den Gang zum Insolvenzgericht antreten müssen.
So werden langfristige Verpflichtungen mit einem gleitenden zehnjährigen Durchschnittzinssatz bewertet, die sogenannte Zinszusatzreserve. Außerdem erhalten die Versicherer eine Übergangszeit von 16 Jahren zu den Solvency II-Regeln, in denen sie den Kapitalbedarf zur Finanzierung der Rückstellungen durch ein fiktives Eigenkapital bedecken können.
Nachreservierung 2015 führt im Schnitt zu negativem Eigenkapital
Aber allein die Zinszusatzreserven-Systematik führt durch das rapide Absinken des durchschnittlichen Swapsatzes zu einem erheblichen Nachreservierungsbedarf. Für Ende 2015 kann mit einer Zuführung von weiteren 2,39 Prozent der Deckungsrückstellung gerechnet werden, zeigte er anhand konkreter Zahlen auf. Das macht bei einem durchschnittlichen Lebensversicherer 245 Millionen Euro aus. Derselbe durchschnittliche Lebensversicherer hat allerdings nur 229 Millionen Euro Eigenkapital laut seiner HGB-Bilanz, und der Rohüberschuss macht mit 152 Millionen Euro auch wenig Mut, die Nachreservierung aus Gewinnen stemmen zu können.
Erschwerend kommt hinzu, dass mit der Absenkung des Höchstzillmersatzes nach dem LVRG von 40 auf 25 Promille das bisher schon nur minimal positive Kostenergebnis in die rote Richtung schwenkt. Die Risikogewinne müssen zu mindestens 90 statt bisher 50 Prozent den Kunden zukommen. Und die Zinsergebnisse schrumpfen dahin. Zusammenfassend macht das Lebensversicherungsgeschäft den Versicherern keine Freude mehr.
Anpassung der Kosten gefordert
Schradins Rezept für die Gesellschaften umfasst verschiedene Maßnahmen, zu denen wenig überraschend auch "Zurückhaltung im Vertrieb klassischer Produkte" und die Anpassung von Kosten, unter anderem den Provisionen, gehören. Die Versicherungsvermittler, vor allem die Makler, forderte Schradin auf, sich mit der finanziellen Situation von Lebensversicherern auseinanderzusetzen. Seiner Ansicht nach sollte in die Beratung einfließen, wenn ein Versicherer die Übergangsregeln von Solvency II nutzen und ein fiktives "Transitional Capital" bilden muss.
Privates Institut prüft Förderprodukte
Dr. Rolf Wiswesser, bis Ende September Vertriebsvorstand des Ergo-Konzerns, stellte in seinem Vortrag die Anfang Oktober neu eingerichtete oder kurz PIA vor. Diese wurde am Fraunhofer Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik gegründet und soll geförderte Altersvorsorgeprodukte bewerten und wissenschaftliche Impulse geben. Grundlage ist § 3a des Altersvorsorgezertifizierungs-Gesetzes, mit dem das Bundesfinanzministerium zur Vergabe einer solchen Einrichtung ermächtigt wurde.
"Vergessen Sie Produktratings", so Wiswesser. In der Beratung müssen das Leistungsversprechen und nicht nur die Kosten von Vorsorgeprodukten im Vordergrund stehen. Die reine Kostenorientierung kann leicht zu Fehlentscheidungen führen, wie er exemplarisch an einigen Beispielen zeigte. Und: "Berater müssen die neuen Anlagekonzepte verstehen", forderte er mit Blick auf die Alternativen zur klassischen, deckungsstockgestützten Lebensversicherung.
Verkauf wird nicht einfacher
Dazu werden Chancen-Risiko-Profile gebildet werden, mit deren Hilfe Produktangebote in Risikoklassen eingeordnet werden können. Nach Wiswessers Einschätzung müssen die Versicherer sicherstellen, dass sie in jeder Risikoklasse Angebote vorgehalten werden - und dass der Kunde dementsprechend befragt und beraten wird, welche Risikoklasse und damit welches Produktkonzept zu ihm passt. Einfacher wird der Verkauf von Altersvorsorgeprodukten damit nicht.
Bildquelle: © Jens Büttner/dpa
Autor(en): Matthias Beenken