Eiopa-Chef Bernardino (im Bild links) wehrte sich bei der Jahrestagung des Deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft in Berlin gegen Vorwürfe, die Aufsicht überdehne ihren Auftrag und belaste die Versicherungswirtschaft mit zu viel Regeln. Manche Beispiele der Diskussionsteilnehmer zeigen, dass ein gefährliches Maß an Regelwerken erreicht ist.
"Eiopa im System der Finanzmarktregulierung" war eine Podiumsdiskussion betitelt. Eiopa-Vorsitzender Gabriel Bernardino gab einen Überblick über sechs Jahre Arbeit seiner neu geschaffenen Behörde, die zu einem System von europäischen Aufsichtsbehörden für Finanzdienstleistungen gehört.
Noch ist der Binnenmarkt eine Illusion
Als wichtigstes strategisches Ziel benannte er, einen einheitlichen Rechtsrahmen in allen Mitgliedsländern zu schaffen, denn derzeit sei der "Binnenmarkt eine Illusion". So gebe es immer noch große Unterschiede zwischen den Ländern. Beispielsweise könnten sich Mitglieder von Leitungsgremien, wie Vorstände und Aufsichtsräte eines Versicherers, keinesfalls sicher sein, dass sie in allen 28 Ländern als "fit und proper" gelten, nur weil dies eines der Länder so festgestellt hat. Auch sonst gebe es erhebliche Unterschiede in der Beaufsichtigung, wie er auch mit Blick auf die deutsche Bafin und deren Festhalten an einem stark regelbasierten statt prinzipienbasierten Aufsichtsregime einräumte. Das sei einerseits historischen Entwicklungen und entsprechenden Erwartungen des beaufsichtigten Marktes geschuldet und bis zu einem gewissen Grad akzeptabel, könne aber die Idee des gemeinsamen Marktes erschweren.
Weitere strategische Ziele der Europäischen Versicherungsaufsichtsbehörde sind die gleichen Wettbewerbsbedingungen sowie der grenzüberschreitende Verbraucherschutz. Dabei wehrte Bernardino sich gegen die Vermutung, Eiopa handele eigenmächtig. Er könne nur zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden moderieren und entsprechende Empfehlungen abgeben. Auch halte Eiopa sich an die ihr erteilten Aufträge der EU-Kommission und der Richtlinien, die demokratisch beschlossen wurden.
Selbstbeschaffung von Aufträgen?
Manfred Zöllmer, Mitglied des Deutschen Bundestags und stellvertretender Vorsitzender des Finanzausschusses, kritisierte dagegen eine Neigung neu geschaffener Institutionen, ihre Bedeutung zu dokumentieren und sich selbst Aufgaben zu suchen. Für ein nationales Parlament schaffe das Probleme: "Wir kriegen die Klagen der Unternehmen" über die bürokratischen Belastungen, ohne daran etwas ändern zu können.
Nationale Besonderheiten sollten stärker beachtet werden. Man müsse nicht "mit dem Rasenmäher" dafür sorgen, "jeden etwas längeren Grashalm abzuschneiden". Interessanterweise plädierte Zöllmer, immerhin Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion, für weniger Verbraucherschutz und mehr Freiheit der Konsumenten, sich in eigener Verantwortung für oder gegen Finanzprodukte zu entscheiden.
Sechs Ebenen der Rechtsetzung für Versicherer
Harsche Kritik hatte auch Dr. Peter Hemeling von der Allianz SE im Gepäck. Dem folgend gebe es allein in Europa drei Levels der Rechtsetzung. Level 1 sind die Richtlinien und damit Gesetze, Level 2 delegierte Rechtsakte der EU-Kommission und Level 3 Standards und Leitlinien, wie sie unter anderem die Eiopa entwickelt. Dasselbe gebe es national, sodass ein Versicherer sich mit sechs Ebenen der Rechtsetzung auseinandersetzen müsse. Das sei „korrekturbedürftig“, die Level 2 und 3 sollten zusammengelegt werden.
Was das praktisch heißt, machte Hemeling an Beispielen deutlich. Der aus dem Reigen der Berichtswesenpflichten nach Solvency II umfasse bei der Allianz 640 Seiten. Diese für einen systemrelevanten Versicherer vielleicht noch zu leistende Anforderung könne man nicht auf kleinere Versicherer übertragen. Auch würden interne Modelle zur Berechnung des Risikokapitals nicht in allen Mitgliedsländern akzeptiert. In Deutschland verlange die Versicherungsaufsicht Beschwerdemanagement-Berichte auch über grenzüberschreitendes Versicherungsgeschäft, obwohl in den entsprechend betroffenen Ländern bereits an die dortige Versicherungsaufsicht zu berichten sei. "Es ist zu viel", so Hemelings Fazit.
Unüberschaubarer Umfang an Texten
Dem fügte Professor Dr. Meinrad Dreher von der Universität Mainz noch eine Zahl von 34.000 Seiten Regulierungstexten hinzu, die nach einer Erhebung der Grünen allein von den Europäischen Aufsichtsbehörden über Finanzdienstleistungen bisher produziert worden seien. Auch kritisierte er Eiopa dafür, dass sie teilweise voreilig gehandelt habe. Als Beispiel nannte er die Konsultation zum Produktgenehmigungsprozess, die bereits vor Inkrafttreten der Versicherungsvertriebsrichtlinie durchgeführt wurde.
Die Aufsicht forderte Dreher auf, sich selbst zu beschränken und auf die erstaunlichen Unterschiede zu fokussieren, die es immer noch in den nationalen Aufsichtsregimen gibt. Allianz-Vertreter Hemeling warnte in diesem Zusammenhang vor wachsender Europamüdigkeit, zu der eine übertriebene Regulierung beitrage. "Wir gewöhnen uns daran, dass wir immer mehr Regeln aufstellen, die wir nicht befolgen."
Was man sich wünscht, muss nicht das sein, was man will
Bernardino reagierte auf die geballte Kritik durchaus kämpferisch. Er warnte die Branche davor, was sie sich von den Aufsichtsbehörden wünschen würden. Denn mancher Wunsch führe vielleicht zum Gegenteil dessen, was beabsichtigt sei, wie er es am Wunsch nach "Proportionalität" bei den Solvenzanforderungen deutlich machte. Das könne im Ergebnis dazu führen, dass viele Versicherer mehr statt weniger Eigenkapitalanforderungen unterliegen. Außerdem sei es den Kunden gleichgültig, ob sie bei einem großen oder kleinen Versicherer Kunde sind - der Verbraucherschutz sollte derselbe sein.
Und dass es in manchen europäischen Ländern nicht einmal Auffanglösungen für scheiternde Versicherer und damit eine Sicherung der Kundenansprüche gebe, müsse geändert werden. Bernardino betonte mehrfach, dass die von seiner Behörde herausgegebenen Leitlinien kein "hard law" seien, sondern Empfehlungen, mit denen sich die Unternehmen ebenso wie die nationalen Aufseher sachgerecht auseinandersetzen sollten. Abschließend forderte Bernardino die Versicherer auf, einfachere Produkte zu schaffen. Dann würden sich manche Probleme mit überbordenden Aufsichtsvorgaben von selbst erledigen.
Das Bild zeigt von links nach rechts: Gabriel Bernardino, Prof. Dr. Wolfgang Weiler (Vorsitzender DVfVw), Manfred Zöllmer MdB, Prof. Dr. Meinrad Dreher, Dr. Peter Hemeling sowie Prof. Dr. Manfred Wandt (stv. Vorsitzender DVfVw)
"Eiopa im System der Finanzmarktregulierung" war eine Podiumsdiskussion betitelt. Eiopa-Vorsitzender Gabriel Bernardino gab einen Überblick über sechs Jahre Arbeit seiner neu geschaffenen Behörde, die zu einem System von europäischen Aufsichtsbehörden für Finanzdienstleistungen gehört.
Noch ist der Binnenmarkt eine Illusion
Als wichtigstes strategisches Ziel benannte er, einen einheitlichen Rechtsrahmen in allen Mitgliedsländern zu schaffen, denn derzeit sei der "Binnenmarkt eine Illusion". So gebe es immer noch große Unterschiede zwischen den Ländern. Beispielsweise könnten sich Mitglieder von Leitungsgremien, wie Vorstände und Aufsichtsräte eines Versicherers, keinesfalls sicher sein, dass sie in allen 28 Ländern als "fit und proper" gelten, nur weil dies eines der Länder so festgestellt hat. Auch sonst gebe es erhebliche Unterschiede in der Beaufsichtigung, wie er auch mit Blick auf die deutsche Bafin und deren Festhalten an einem stark regelbasierten statt prinzipienbasierten Aufsichtsregime einräumte. Das sei einerseits historischen Entwicklungen und entsprechenden Erwartungen des beaufsichtigten Marktes geschuldet und bis zu einem gewissen Grad akzeptabel, könne aber die Idee des gemeinsamen Marktes erschweren.
Weitere strategische Ziele der Europäischen Versicherungsaufsichtsbehörde sind die gleichen Wettbewerbsbedingungen sowie der grenzüberschreitende Verbraucherschutz. Dabei wehrte Bernardino sich gegen die Vermutung, Eiopa handele eigenmächtig. Er könne nur zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden moderieren und entsprechende Empfehlungen abgeben. Auch halte Eiopa sich an die ihr erteilten Aufträge der EU-Kommission und der Richtlinien, die demokratisch beschlossen wurden.
Selbstbeschaffung von Aufträgen?
Manfred Zöllmer, Mitglied des Deutschen Bundestags und stellvertretender Vorsitzender des Finanzausschusses, kritisierte dagegen eine Neigung neu geschaffener Institutionen, ihre Bedeutung zu dokumentieren und sich selbst Aufgaben zu suchen. Für ein nationales Parlament schaffe das Probleme: "Wir kriegen die Klagen der Unternehmen" über die bürokratischen Belastungen, ohne daran etwas ändern zu können.
Nationale Besonderheiten sollten stärker beachtet werden. Man müsse nicht "mit dem Rasenmäher" dafür sorgen, "jeden etwas längeren Grashalm abzuschneiden". Interessanterweise plädierte Zöllmer, immerhin Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion, für weniger Verbraucherschutz und mehr Freiheit der Konsumenten, sich in eigener Verantwortung für oder gegen Finanzprodukte zu entscheiden.
Sechs Ebenen der Rechtsetzung für Versicherer
Harsche Kritik hatte auch Dr. Peter Hemeling von der Allianz SE im Gepäck. Dem folgend gebe es allein in Europa drei Levels der Rechtsetzung. Level 1 sind die Richtlinien und damit Gesetze, Level 2 delegierte Rechtsakte der EU-Kommission und Level 3 Standards und Leitlinien, wie sie unter anderem die Eiopa entwickelt. Dasselbe gebe es national, sodass ein Versicherer sich mit sechs Ebenen der Rechtsetzung auseinandersetzen müsse. Das sei „korrekturbedürftig“, die Level 2 und 3 sollten zusammengelegt werden.
Was das praktisch heißt, machte Hemeling an Beispielen deutlich. Der aus dem Reigen der Berichtswesenpflichten nach Solvency II umfasse bei der Allianz 640 Seiten. Diese für einen systemrelevanten Versicherer vielleicht noch zu leistende Anforderung könne man nicht auf kleinere Versicherer übertragen. Auch würden interne Modelle zur Berechnung des Risikokapitals nicht in allen Mitgliedsländern akzeptiert. In Deutschland verlange die Versicherungsaufsicht Beschwerdemanagement-Berichte auch über grenzüberschreitendes Versicherungsgeschäft, obwohl in den entsprechend betroffenen Ländern bereits an die dortige Versicherungsaufsicht zu berichten sei. "Es ist zu viel", so Hemelings Fazit.
Unüberschaubarer Umfang an Texten
Dem fügte Professor Dr. Meinrad Dreher von der Universität Mainz noch eine Zahl von 34.000 Seiten Regulierungstexten hinzu, die nach einer Erhebung der Grünen allein von den Europäischen Aufsichtsbehörden über Finanzdienstleistungen bisher produziert worden seien. Auch kritisierte er Eiopa dafür, dass sie teilweise voreilig gehandelt habe. Als Beispiel nannte er die Konsultation zum Produktgenehmigungsprozess, die bereits vor Inkrafttreten der Versicherungsvertriebsrichtlinie durchgeführt wurde.
Die Aufsicht forderte Dreher auf, sich selbst zu beschränken und auf die erstaunlichen Unterschiede zu fokussieren, die es immer noch in den nationalen Aufsichtsregimen gibt. Allianz-Vertreter Hemeling warnte in diesem Zusammenhang vor wachsender Europamüdigkeit, zu der eine übertriebene Regulierung beitrage. "Wir gewöhnen uns daran, dass wir immer mehr Regeln aufstellen, die wir nicht befolgen."
Was man sich wünscht, muss nicht das sein, was man will
Bernardino reagierte auf die geballte Kritik durchaus kämpferisch. Er warnte die Branche davor, was sie sich von den Aufsichtsbehörden wünschen würden. Denn mancher Wunsch führe vielleicht zum Gegenteil dessen, was beabsichtigt sei, wie er es am Wunsch nach "Proportionalität" bei den Solvenzanforderungen deutlich machte. Das könne im Ergebnis dazu führen, dass viele Versicherer mehr statt weniger Eigenkapitalanforderungen unterliegen. Außerdem sei es den Kunden gleichgültig, ob sie bei einem großen oder kleinen Versicherer Kunde sind - der Verbraucherschutz sollte derselbe sein.
Und dass es in manchen europäischen Ländern nicht einmal Auffanglösungen für scheiternde Versicherer und damit eine Sicherung der Kundenansprüche gebe, müsse geändert werden. Bernardino betonte mehrfach, dass die von seiner Behörde herausgegebenen Leitlinien kein "hard law" seien, sondern Empfehlungen, mit denen sich die Unternehmen ebenso wie die nationalen Aufseher sachgerecht auseinandersetzen sollten. Abschließend forderte Bernardino die Versicherer auf, einfachere Produkte zu schaffen. Dann würden sich manche Probleme mit überbordenden Aufsichtsvorgaben von selbst erledigen.
Das Bild zeigt von links nach rechts: Gabriel Bernardino, Prof. Dr. Wolfgang Weiler (Vorsitzender DVfVw), Manfred Zöllmer MdB, Prof. Dr. Meinrad Dreher, Dr. Peter Hemeling sowie Prof. Dr. Manfred Wandt (stv. Vorsitzender DVfVw)
Autor(en): Matthias Beenken