In einem Interview mit dem GDV erklärt Udo Di Fabio, Mitentwickler der Leitlinien für das autonome Fahren, warum er sich von der neuen Technik Vorteile erhofft – und gleichzeitig Bedenken hat.
Karsten Röbisch (KR): Die Autohersteller versprechen, das autonome Fahren werde die Zahl der Verkehrsunfälle um 90 Prozent senken. Halten Sie das für realistisch?
Udo Di Fabio (UD): Das ist eine Zielvorstellung, die zurzeit noch spekulativ ist. Wenn sich aber zeigt, dass die Technik in puncto Sicherheit dem individuellen Fahren überlegen ist, wird der Staat schon aufgrund seiner verfassungsrechtlichen Schutzpflicht diese Technik fördern.
KR: Geht das nicht zulasten der Freiheit?
UD: Der Staat muss auf die Minderung von Schäden achten, gleichzeitig aber auch die Entfaltungsfreiheit der Menschen im Auge behalten. Wir haben heute in Deutschland pro Jahr immer noch etwa 3000 Verkehrstote. Dass man das hinnimmt, ist keinesfalls selbstverständlich. Automatisierte und vernetzte Fahrsysteme versprechen hier einen Sicherheitsgewinn, doch den müssen sie erst einmal unter Beweis stellen.
KR: Was bleibt an Freiheit, wenn ich nicht mal mehr zu schnell fahren kann?
UD: Die Regelübertretung darf im vollautomatisierten Fahrmodus nicht möglich sein, und das ist gut so. Wer schneller fahren will als erlaubt, muss das automatisierte System ausschalten. Wer den Menschen mit seinen Handlungsrisiken ganz vom Lenkrad verdrängen will, um der Sicherheit willen, der schießt übers Ziel hinaus. Vollständige Sicherheit verspricht nur die unfreie Gesellschaft.
KR: Die Konzepte der Autohersteller sehen aber gar kein Lenkrad mehr vor.
UD: Meine Zielvorstellung und die der Kommission ist, dass wir mit der Technik zusätzliche Helfer erhalten, der Fahrer aber buchstäblich die Steuerung im Straßenverkehr behält. Jeder entscheidet selbst, wann er lenkt und wann das System. Ich denke, diese Wahlfreiheit muss technisch angelegt werden. Das schließt nicht aus, dass im unmittelbar drohenden Kollisionsfall dann doch eine Notmaßnahme der Technik eingreift, wie wir das beim Notbremsassistenten kennen.
KR: Ist mehr Sicherheit nicht nur dann zu erreichen, wenn der Mensch eben nicht mehr in den Verkehr eingreift?
UD: Ein Nebeneinander von Mensch und Maschine ist möglich. Heute berechnen Systeme Reaktionszeiten der Menschen, die hinter dem automatisierten Fahrzeug fahren, und kalkulieren dann eben nicht mit dem eigenen Bremsweg. Die Sorge, menschliche Fahrer und automatisierte Systeme passten nicht zusammen, kann man technisch ausräumen.
KR: Der Gesetzgeber könnte doch analoges Fahren eines Tages einfach verbieten.
UD: Meine Sorge ist, dass wir von unseren technischen Artefakten – gerade beim Übergang zur künstlichen Intelligenz – in einer Art und Weise in unserem Alltag übermannt und verführt werden, dass wir uns in nicht allzu ferner Zukunft dieser Komforttechnik einigermaßen kritiklos anvertrauen. Vielleicht verlieren die Menschen dann die Erfahrung des eigenen Scheiterns, aber auch des eigenen Könnens. Eine solche Entwicklung wäre ethisch bedenklich, weil sie der Grundidee, dass der Mensch Subjekt und nicht Objekt ist, den Boden der Alltagserfahrung entzieht.
KR: Darf ein Computer ein Auto in den Graben steuern und das Leben des Fahrers riskieren, um das von Kindern zu retten, die auf die Straße rennen? Dies hält die Kommission für ethisch vertretbar.
UD: Man sollte sich nicht zu sehr auf solche Grenzfälle konzentrieren. Die Technik darf nicht so programmiert werden, dass unser grundlegendes Wertesystem keine Rolle mehr spielt. Doch der Fokus liegt auf der immer umfassenderen Schadensvermeidung, nicht auf der akribischen „Lösung“ von Dilemmata. Wenn die Technik ausgereift ist, kann sie Unfälle mit Personenschäden regelmäßig vermeiden – viel besser als der Mensch.
KR: Für die Akzeptanz der Technik wäre es schon wichtig zu wissen, in welcher Situation der Computer wie entscheidet.
UD: Deshalb war es weitsichtig, die Ethikkommission einzurichten, noch bevor die hohen Automatisierungsstufen marktreif sind. Es erhöht die Akzeptanz, wenn man sieht, dass der Gesetzgeber eine ethische Folie hat, auf der er operiert. Wir müssen die Sorge vieler Menschen, Algorithmen ausgeliefert zu sein, ernst nehmen. Gleichzeitig stehen wir international unter Wettbewerbsdruck.
KR: Inwieweit kann Deutschland die Regeln eigentlich mitbestimmen?
UD: Weltweit wird auf die deutsche Regelbildung geachtet, weil wir eine starke Automobilindustrie haben. Das Regelsystem der deutschen Ethikkommission für automatisiertes und vernetztes Fahren wird inzwischen bis zur OECD hinauf wahrgenommen. Wenn ein Land seine führende Stellung in einem bestimmten Wirtschaftssektor allerdings verliert, dann werden andere die Standards setzen.
KR: Gilt das auch für den Umgang mit den Fahrzeugdaten?
UD: Die für Europa nicht sehr günstige Entwicklung bei Suchmaschinen, sozialen Netzen oder dem Onlinehandel muss sich nicht bei Mobilitätsentwicklungen wiederholen. Aber wir müssen aufpassen, dass die Plattformen, die Navigationsdaten und Mobilitätsinformationen anbieten, sich keine faktische Monopolstellung verschaffen. Der Gesetzgeber wird eine Art Datenverteilungsordnung erlassen müssen, weil das automatisierte und vernetzte Fahren zu einem hohen Datenaufkommen führt.
KR: Ist das nicht genau das Versprechen: Daten im Tausch für kostenloses Fahren?
UD: Es gibt Grundprinzipien: Der Nutzer, der personenbezogene Daten erzeugt, entscheidet selbst, was damit geschieht. Auf der anderen Seite stehen Autohersteller oder andere Wirtschaftsakteure, die Daten brauchen, um die Sicherheit des Systems zu gewährleisten. Das Big-Data-Geschäft der Plattformen ist dagegen nachrangig zu behandeln, aber hier kommt es auch auf technische Abhängigkeiten an.
KR: Sie sind 64 Jahre alt. Glauben Sie, dass Sie das autonome Fahren im Alltag noch erleben werden?
UD: Gemessen an der durchschnittlichen Lebenserwartung wird meine Generation das sehr wohl noch erleben. Ich habe sogar etwas spöttisch in der Kommission gesagt: Wir sollten diese Technik vorantreiben, denn wenn ich irgendwann nicht mehr sicher ein Fahrzeug steuern kann, dann möchte ich automatisiert gefahren werden.
Lesen Sie hier das ausführliche Interview.
Autonomes Fahren wird auch auf unserer 5. Internationalen ATZ-Fachtagung "Automatisiertes Fahren" thematisiert: https://www.atzlive.de/veranstaltungen/automatisiertes-fahren/
Quelle: GDV (Karsten Röbisch), ATZ
Autor(en): Versicherungsmagazin