Ein Versicherungsvertreter hatte das unbewohnte Gebäude seines Kunden zum Zeitwert versichert. Leider zu niedrig, wie sich im Schadensfall herausstellte.
In einem vom Landgericht Halle (Urteil vom 31.3.2023, Az. 5 O 414/21, r+s 1/2024, 47-48, Landesrecht Sachsen-Anhalt) entschiedenen Fall wurde ein Versicherungsvertreter zu einem Schadensersatz von knapp 102.000 Euro nebst Zinsen und Kosten verurteilt.
Leerstand und Sanierungsbedarf mit der Folge Zeitwertversicherung
Hintergrund war, dass der Vertreter ein im Jahr 2014 vom Kunden erworbenes Mehrfamilienhaus mit Beginn zum 14.Mai 2015 versicherte. Das leerstehende und sanierungsbedürftige Haus hatte der Kunde für 40.000 Euro gekauft. Versichert wurde es mit einer Zeitwertsumme von 200.000 Euro für eine Jahresprämie von 198,23 Euro.
Am 30.8.2018 brannte es in dem Haus. Aus diesem Anlass wurde das Haus begutachtet und mit 508.000 Euro Zeitwert taxiert. Der Zeitwertschaden wurde mit 142.689 Euro netto zuzüglich Aufräumungs- und Abbruchkosten von 8.925 Euro brutto festgestellt, insgesamt also 151.614 Euro. Der Versicherer machte einen Abzug wegen Unterversicherung geltend und zahlte 40 Prozent des Schadens ohne Mehrwertsteuer oder 50.000 Euro an den Kunden.
Aus der Luft gegriffene Summe
Dagegen wehrte sich der Kunde und behauptete, er sei zur Wertermittlung seines Hauses nicht ausreichend aufgeklärt und nicht korrekt beraten worden. Nach seinen Angaben hatte er wohl einen „aus der Luft gegriffenen“ Betrag von 200.000 Euro als Wert genannt. Der Vertreter hingegen habe diesen Wert entgegengenommen, keine Nachfragen gestellt und nicht erläutert, was ein Zeitwert ist und wie man diesen korrekt bestimmt. Auch die Folgen einer Unterversicherung seien nicht thematisiert worden.
Es gab in diesem Fall eine Beratungsdokumentation. Diese aber half dem Vertreter nicht, im Gegenteil. Es handelte sich dabei um einen Vordruck, in dem der Vertreter verschiedene Inhalte auszufüllen hatte. Darin hatte der Vertreter vermerkt: „Kundenwunsch zum Wert von 200.000 Euro absichern.“ Verhängnisvoll war dann im weiteren Verlauf des Protokolls, dass dort eingetragen worden war: „Es bestehen keine abweichenden Kundenwünsche zu den vom Vermittler empfohlenen Versicherungen/zur empfohlenen Absicherungen“.
Keine Beratung und erfolglose Schutzbehauptung
Das Gericht kommentiert das so: Wenn man diese Dokumentation ernst nehme, dann habe keine Beratung stattgefunden, insbesondere nicht zu dem letztlich festgestellten, tatsächlichen Wert des Gebäudes. Die vom Vertreter angeführte Behauptung, eine höhere Versicherungssumme sei dem Kunden zu teuer gewesen, konnte er weder mithilfe des Beratungsprotokolls noch auf anderem Weg beweisen.
Es wäre die Aufgabe des Vertreters gewesen, sich „durch Inaugenscheinnahme oder Einholung einer Werteinschätzung ein eigenes Bild“ zu machen, ob die Angabe des Kunden von 200.000 Euro Zeitwert passend war. Der Kunde hatte offensichtlich keine eigene Expertise in der Wertbestimmung, was auch der Vertreter nicht etwa zu seiner Verteidigung behauptet hatte. Der Vertreter hätte unter diesen Umständen im Rahmen seiner Beratungspflichten den Irrtum des Kunden über den tatsächlichen Wert des Gebäudes bemerken und thematisieren müssen.
Auch gab es sonst keinen Nachweis dafür, dass der Kunde sich bei korrekter Aufklärung bewusst für die Unterversicherung entschieden hätte. Somit musste das Gericht davon ausgehen, dass der Kunde sich bei richtiger Beratung auch richtig entschieden hätte.
Wertbestimmung elementare Vermittlerpflicht
Aus dem Urteil kann man lernen, wie wichtig eine korrekte Wertbestimmung ist, selbst wenn der hier vorliegende Fall einer Zeitwertbestimmung wegen Leerstands des Gebäudes nicht zum Alltag eines Versicherungsverkäufers gehören dürfte. Aber dafür muss sich ein Versicherungsvermittler bei Bedarf Hilfe holen. Gerade Versicherungsvertreter sollten hierfür in der Regel einen Zugriff auf Spezialisten des Versicherungsunternehmens und deren Expertise haben.
Doch auch der Versicherer sollte sich fragen lassen, ob die Prozesse in seiner Antragsabteilung ausreichend darauf ausgerichtet waren, Fehler in der Beantragung von Gebäudeversicherungen zu erkennen. Denn auch in der Antragsabteilung wird es kein Standardfall sein, ein Wohngebäude zum Zeitwert zu versichern. Es ist deshalb nicht anzunehmen, dass ein solcher Fall „dunkel verarbeitet“ einfach so durchlaufen kann wie bei einer klassischen Versicherung zum gleitenden Neuwert.
Ungewöhnliche Anträge aussteuern und manuell prüfen
Vielmehr hätte der Antrag ausgesteuert und von sachkundigen Mitarbeitenden nachgeprüft werden müssen. Bei einem derart eklatanten Missverhältnis zwischen der angegebenen und der tatsächlichen Zeitwertsumme wäre zu erwarten, dass dies schon mit einfachen Plausibilitätsprüfungen eines Antrags aufgefallen wäre, jedenfalls, wenn sich der Versicherer vernünftigerweise eine Risikobeschreibung im Antrag geben lässt.
Im nächsten Schritt hätte man erwarten können, dass die Antragsabteilung in das Beratungsprotokoll Einsicht nimmt, ob sich daraus ein Hinweis für den Grund einer eklatanten Unterversicherung ergibt. Ein Recht zur Einsichtnahme kann ein Versicherer bei seinen Vertretern geltend machen.
Hier wäre – gemäß dem Vortrag des beklagten Vertreters – zu erwarten gewesen, dass es einen ausdrücklichen Vermerk dazu gibt, dass der Vertreter einen korrekten Zeitwert und die dazu fällig Prämie angeboten, der Kunde diese aber abgelehnt und ausdrücklich eine Unterversicherung mit allen ihren Konsequenzen gewünscht hätte. Ist kein solcher Hinweis vorhanden, wäre eine Nachfrage durch die Antragsabteilung beim Vertreter wohl nicht zu viel verlangt gewesen. Und selbst wenn ein solcher Hinweise vorhanden gewesen wäre, müsste man als nächstes nachfragen, ob man ernsthaft eine Versicherung mit bekannter, eklatanter Unterversicherung annehmen sollte, obwohl der Ärger im Schadensfall geradezu vorprogrammiert ist.
Autor(en): Matthias Beenken