Mehrheitlich gute Stimmung bei den Versicherern in Deutschland: Drei von vier Entscheidern erwarten, dass sich die Branche bis 2023 mindestens so gut entwickeln wird wie die gesamte Wirtschaft – 41 Prozent erwarten eine bessere Entwicklung. Gründe für die Zuversicht: weniger Schäden und Leistungsfälle.
Viele Unternehmen haben außerdem den Lockdown genutzt, um ihr Geschäft (noch) digital(er) aufzustellen. Darüber hinaus erwartet die Mehrheit der Versicherer Nachholeffekte. Das ergibt jedenfalls die Studie Branchenkompass Insurance 2021 von Sopra Steria in Kooperation mit dem F.A.Z.-Institut.
Große Versicherer freuen sich über geringe Schadenquoten
Vor allem die großen und mittelgroßen Versicherer haben allen Grund optimistisch zu sein. Hausrat- und Kfz-Versicherer verzeichneten als Folge des Lockdowns geringere Schadenquoten. Die Einbruchszahlen gingen beispielsweise zurück, zudem gab es weniger Verkehrsunfälle. Einige Versicherer wollen ihren Kunden als Konsequenz Teile der Beiträge erstatten. Viel mehr Unternehmen als noch vor zwei Jahren bieten ihren Kunden Apps, Videochats und Self-Services über Online-Kundenportale an. Bei den Vermittlern, insbesondere bei den kleinen gebundenen, ist die Stimmung dagegen gedämpfter: Nur jeder Fünfte von ihnen glaubt an eine im Vergleich zur Gesamtwirtschaft bessere Geschäftsentwicklung in den kommenden zwei Jahren. Der Grund: Kleinere Vermittler haben stärker mit dem Umstieg auf eine Online-Beratung als Folge der Corona-Pandemie zu kämpfen als große Makler. Die vertriebsunterstützenden Maßnahmen ihrer Produktgeber werden erst mittelfristig greifen und sich stimmungsaufhellend auswirken.
GDV-Studie sieht die Lage ganz ähnlich
Sopra Steria sieht seine Untersuchungsergebnisse auch durch eine Studie des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) bestätigt. Die Verbandsstudie hat ermittelt, dass im branchenübergreifenden Vergleich die Assekuranz recht glimpflich durchs Krisenjahr 2020 gekommen ist und die Beiträge sich stabil entwickelten. Und für 2021 geht der Verband von spürbaren Erholungseffekten aus, insbesondere wegen eines Nachholbedarfs bei Lebensversicherungen und anderen Vorsorgeprodukten.
Doch ein Beigeschmack bleibt: Die Covid-19-Pandemie ist derzeit für fast zwei von drei Versicherern die größte Herausforderung. Infolgedessen rücken Digitalisierung und damit die Themen Datensicherheit und Datenschutz immer stärker in den Fokus der Branche. Neue Arbeitsformen wie Homeoffice und Beratung per Videochat erfordern zusätzliche Anstrengungen bei der Abwehr von Cyber-Attacken und genaues Hinschauen, ob Datenschutzvorschriften in der Beratung eingehalten werden. Die genannten Themen verdrängen damit andere wichtige Themen wie Niedrigzinsniveau, Regulierung und Kosten. Nur jeder dritte Versicherer sieht aktuell die niedrigen Zinsen als Top-Herausforderung, nur jeder vierte nennt Kosten und Fachkräftemangel als Themen auf der Agenda: „Das liegt schlicht daran, dass derzeit Corona alle übrigen Aufgaben überstrahlt. Die Versicherer sind gezwungen, zu digitalisieren und als Folge daraus in die IT-Sicherheit zu investieren.“, kommentiert Kai-Uwe Reiter, Leiter Insurance Consulting bei Sopra Steria, die aktuelle Lage.
Entwickler werden wieder aus dem Ruhestand gelockt
Einen massiven Kostenblock bilden beispielsweise die IT-Systeme der Versicherer. Die Ablösung der Mainframe-Rechner durch moderne Cloud-Computing-IT gilt als Dauerthema in der Branche – echte Fortschritte blieben bislang die Ausnahme. Allerdings steigt der Druck zum Handeln: Den Versicherern gehen die Entwickler mit Expertise in den veralteten Systemen und Programmiersprachen aus. „Einige Häuser fragen bereits bei Entwicklern im Ruhestand nach Unterstützung“, sagt Kai-Uwe Reiter von Sopra Steria. Darüber hinaus bremst die Alt-IT dringend benötigte Innnovationen und digitale Geschäftsfelder aus. Der Grund: Die Finanzindustrie gibt fast ein Drittel des jährlichen IT-Budgets für die Behebung technischer Schulden aus, ergibt eine Studie. Gemeint sind nicht durchgeführte Erneuerungen an den IT-Systemen.
Ein weiteres Drittel wird für den Betrieb benötigt. Ein kompletter IT-Neustart ist in der Fläche nicht zu erwarten. Viele Versicherer ziehen einen Zwischenschritt vor, indem sie ihre Alt-Software in eine Cloud-Umgebung umziehen. „Mit diesen Mainframe-to-Cloud-Initiativen erkaufen sich die Versicherer Zeit. Sie erreichen schnell erste Kostenvorteile der Cloud-Infrastruktur, ohne allerdings das ganze Einsparpotenzial im IT-Betrieb auszuschöpfen“, so Reiter.
Versicherer werden kaum den Klimawandel stoppen
Anders als Digitalisierung und Kosten schafft es das Thema Nachhaltigkeit derzeit auf kaum eine Strategieagenda der Versicherer. Nur 20 Prozent der befragten Entscheiderinnen und Entscheider halten die Integration von Nachhaltigkeitskriterien für eine Aufgabe mit Vorrang, so die Studie. Dabei müssen die Versicherer als Finanzmarktteilnehmer mittlerweile offenlegen, wie nachhaltig ihre Anlageprodukte sind. Mit der Erweiterung der nichtfinanziellen Erklärung im Lagebericht müssen Versicherer auch Angaben zu CO2- und Wasserverbrauch bei Versicherungstätigkeiten machen.
Zudem müssen Vermittler Kunden neuerdings mitteilen, ob sie eine Nachhaltigkeitsstrategie verfolgen oder nicht. Den Einfluss der Branche auf eine nachhaltige Wirtschaft stufen die Befragten mehrheitlich als eher gering ein. Nur 16 Prozent sind der Auffassung, dass Versicherer künftig wesentlich dazu beitragen werden, den Klimawandel zu stoppen.
Hintergrundinformationen
Für den „Branchenkompass Insurance 2021“ wurden im April 2021 insgesamt 108 Führungskräfte aus der Versicherungsbranche befragt. Zusätzlich wurden Telefoninterviews mit drei Entscheidern aus der Versicherungsbranche geführt und zwar mit Michael Diener, Vorstandsmitglied der Neuen Rechtsschutz-Versicherungsgesellschaft (NRV), mit Matthias Uebing, Gründer und Vorstand der Mailo Versicherung, und mit Guido Leber, Bereichsleiter für die Konzern- und Unternehmensstrategie der ALH Gruppe.
Quelle: Sopra Steria
Autor(en): versicherungsmagazin.de