Vor Bigtechs, die den Versicherungsmarkt dominieren könnten, warnt die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in einer aufwändigen Studie zu Big Data (BD) und künstlicher Intelligenz(Artificial Intelligence; AI). Die Studie: "Big Data trifft auf künstliche Intelligenz" (Juni 2018) nennt ausdrücklich Google, Amazon, Facebook und Apple als Bigtechs, die die Branche bedrohen könnten. Gleichzeitig behauptet die Aufsicht, dass eine tiefgreifende Marktänderung nicht in Sicht sei. Solche Aussagen widersprechen sich.
So stellt die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) fest: "Die tatsächlichen Machtverhältnisse zwischen Bigtechs und konventionellen Versicherungsunternehmen könnten sich dramatisch verschieben. Versicherer könnten gezwungen sein mit den genannten Bigtechs zusammenzuarbeiten." Grund: Google & Co. könnten den direkten Kontakt zu den Versicherungsnehmern derart dominieren, dass der Versicherer Interessenten kaum noch über andere Kanäle ansprechen könne. Gleichzeitig warnt die Behörde davor, dass die Bigtechs "Prozesse derart kosteneffizient durchführen, dass der Versicherer bei einer Durchführung dieser Prozesse in Eigenregie nicht mehr wettbewerbsfähig wäre."
Schadenregulierung bald vollautomatisch
In der Studie werden verschiedene schon heute reale Anwendungen von "BDAI" aufgezeigt. Durch das maschinell unterstützte Auswerten öffentlich verfügbarer Datenbanken und eingereichte Bild- oder Videoaufnahmen von Versicherten kann das Schadenmanagement stark beschleunigt und die Betrugserkennung automatisiert werden. Die Kunden würden das erwarten.
Die Schadenregulierung soll künftig weitgehend über mobile Endgeräte erfolgen. In den Segmenten der Kranken- und Lebensversicherungen könnten externe Daten erfasst oder erworben und mit Hilfe von Algorithmen analysiert werden, um dadurch den Versicherungsschutz differenzierter zu bepreisen. Kostenintensive, größtenteils manuelle Gesundheitsbewertungen zur Vorab-Einschätzung von Risiken potenzieller Versicherungsnehmer könnten somit in vielen Fällen durch Risikomodelle ersetzt werden.
Erstes KV-Produkt berücksichtigt Verhaltensdaten der Versicherten
Durch die kontinuierliche Erfassung von Verhaltensdaten von Versicherungsnehmern können detaillierte Profile erstellt werden. Bei risikobewusstem Verhalten werden Versicherungsnehmer dann entweder durch Beitragsrückerstattungen oder durch die Ausgabe von Gratifikationen belohnt und zugleich motiviert, weiterhin risikopräventiv zu leben. Ein solches Produkt bietet die Generali Versicherung mit "Vitaliy" bereits an.
In Deutschland darf die Tarifeinstufung auf Grundlage einer Gesundheitsprüfung bei Vertragsbeginn durch Umstände, die nach Vertragsschluss beim Versicherten eintreten, nicht geändert werden. Nicht ausgeschlossen sind aber laut dem Verband der privaten Krankenversicherer Anreizsysteme, bei denen gesundheitsbewusstes Verhalten über Beitragsrückerstattungen honoriert wird, insoweit nachweislich Versicherungsleistungen eingespart werden. Zudem bestehe versicherungsrechtlich die Möglichkeit, von Beginn an einen Versicherungstarif mit eigener Prämienkalkulation anzubieten, der mit der Bereitschaft zur laufenden Erhebung von gesundheitsrelevanten Daten verbunden ist.
Branche investiert Millionen in die Abwehrschlacht
"Es wird deutlich, dass BDAI nicht nur dazu geeignet ist, bestehende Strukturen zu optimieren, sondern grundsätzlich neue Anwendungen, Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle ermöglicht, mit allen Chancen und Risiken", stellt Bafin-Präsident Felix Hufeld fest.
BDAI-Potenziale ließen sich aber nur innerhalb einer geeigneten IT-Architektur vollständig umsetzen. Dies erfordere eine Harmonisierung von Kernsystemen. Die hierfür häufig notwendigen Datenmigrationen sind jedoch mit Projektrisiken und erheblichen Investitionskosten verbunden. Die Bafin: "Für viele Versicherungsunternehmer waren diese Risiken in der Vergangenheit der Hauptgrund, Migrationen nicht durchzuführen.
Branche hat Expertise was Regulatorik angeht
Nun will die Branche investieren. Im Durchschnitt nennen deutsche Versicherer Einzelbudgets zwischen 100 Millionen und 500 Millionen Euro für den Gesamtzeitraum von 2017 bis 2021. Damit will man den möglichen Angriffen der Bigtechs Paroli bieten. Nach Einschätzung der Bafin haben die traditionellen Versicherungsunternehmen in der Regel - im Vergleich zu Insurtechs und Bigtechs - deutlich mehr Expertise, was die Berücksichtigung regulatorischer Anforderungen angeht.
Zudem genössen sie ein potenziell höheres Vertrauen der Verbraucher, was den Umgang mit sensiblen Daten anbelangt. Zudem behauptet die Aufsicht, dass eine fundamentale Veränderung im Markt durch den Eintritt neuer beziehungsweis bestehender Insurtechs derzeit nicht absehbar sei. Grund: Die traditionellen Versicherer könnten die Strukturen von Insurtechs leicht ins eigene Unternehmen integrieren.
15 Millionen Kunden ignoriert
Damit bleibt die Studie insgesamt sehr ambivalent. So wird auf der einen Seite vor den Möglichkeiten und der Stärke von Bigtechs durch eine umfassende und tiefgreifende Analyse gewarnt, während auf der anderen Seite der Markt mit wenig überzeugenden Aussagen beruhigt wird. Das zeigt sich beispielsweise an folgender Argumentation: "Ungeachtet der Präsenz von Insurtechs im Markt hat dieser sich bislang nicht stark verändert. Auch in den nächsten Jahren ist eine solche Änderung durch Insurtechs nicht absehbar, denn es mangelt dem Großteil der Insurtechs an einer breiten Kundenbasis."
Solche Aussagen überraschen. Denn allein der Marktführer bei Vergleichsportalen, Check24, hat nach eigenen Angaben derzeit mehr als 15 Millionen Kunden.
Autor(en): Uwe Schmidt-Kasparek