Das deutsche Gesundheitssystem wird in wenigen Jahren mit höheren Kosten zu kämpfen haben, da der Anteil der älteren Menschen in der Bevölkerung weiter zunehmen, während gleichzeitig der Anteil Jüngerer abnehmen wird. Eine Erkenntnis der virtuellen Gesundheitskonferenz am 16. März 2021 "Ein enkelgerechtes System der Gesundheitsvorsorge: Nachhaltigkeit des deutschen dualen Krankenversicherungssystems", veranstaltet vom Institut für Versicherungswissenschaften e.V. an der Universität Leipzig.
Erwin Rüddel, Mitglied des Deutschen Bundestag und Vorsitzender des Ausschusses für Gesundheit, sprach sich bei der Konferenz daher für mehr Eigenanteile als Steuerungselement im gesetzlichen Gesundheitssystem aus, bevor es zu Leistungskürzungen komme. Er habe es sehr bedauert, dass die Praxisgebühr zu Ende 2012 abgeschafft wurde. "Wer älter ist, wird häufiger und schwerer krank", ergänzte Professor Fred Wagner, Gastgeber als Vorstand des Instituts für Versicherungswissenschaften. Die demografische Entwicklung werde daher das Finanzierungsproblem der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verschärfen. Rüddel sieht in der nächsten Legislaturperiode Kostendämpfungsgesetze als wahrscheinlich an. Die Überschüsse in der GKV seien infolge der Corona-Pandemie abgeschmolzen worden.
Bürgerversicherung im Disput
Die Einführung einer Bürgerversicherung kann sich Rüddel bei keiner möglichen politischen Regierungskonstellation vorstellen. CDU und FDP würden damit nicht einverstanden sein, aber auch die Konstellation Rot-rot-grün bräuchte für eine solche Reform eine lange Zeit, denn die Umsetzung sei sehr schwierig. Im Übrigen sehe er die private Krankenversicherung in Zukunft eher im Bereich der Zusatzversicherungen. Aber gleichzeitig sagte er: "Gut, dass wir die zwei Systeme haben." Das Thema Bürgerversicherung sieht Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende GKV-Spitzenverbandes, anders. Da die Grünen die Bürgerversicherung favorisieren und es ihrer Meinung nach wohl keine Konstellation in einer Bundesregierung ohne die Grünen gebe, sei dies durchaus auch ein Thema im Bundestagswahlkampf.
Einnahmenslücke wird größer
Pfeifer verdeutlichte in ihrem Vortrag "Perspektiven der gesetzlichen Krankenversicherung – auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels" die zunehmende Schere in der Grundlohnentwicklung und den Leistungsausgaben in der GKV. In der Zeit von 2000 bis 2020 nahmen die Grundlöhne um 59 Prozent zu, die Ausgaben jedoch um 97 Prozent. Ein Problem, das die Lage verschärfen wird, sei der in wenigen Jahren zu erwartenden Eintritt der Babyboomer in die Rentenversicherung.
Rettung durch externe Faktoren?
Jedoch können sozio-ökonomische Bedingungen die Finanzierbarkeit des Systems positiv beeinflussen. Als Beispiele führte die Vorstandsvorsitzende die Entwicklung der Erwerbsquote an, gerade die Frauen in Deutschland hätten hier verglichen mit anderen Ländern noch Nachholbedarf. Dazu gehöre etwa auch die Verbesserung der Infrastruktur der Kindertagesbetreuung. Dazu könnten Verschiebungen beim Renteneintrittsalter die GKV-Finanzierung verbessern. Darüber hinaus könne die Zuwanderung von Migranten die Finanzierung verbessern.
Grenzen der Umlagefinanzierung
Das hohe Niveau der medizinischen Versorgung in Deutschland hob Florian Reuther, Verbandsdirektor des Verbandes der Privaten Krankenversicherung e. V (PKV-Verband). hervor. Ärzte-, Krankenhaus- und Bettendichte könnten sich im europäischen Vergleich sehen lassen. Der Anteil der Patienten, die am selben oder am nächsten Tag einen Arzttermin bekämen, läge bei 75 Prozent, das sei ein Spitzenplatz in Europa. Ambulant und stationär leiste die PKV einen strukturellen Finanzierungsbeitrag zum deutschen Gesundheitssystem. Die Grenzen der Umlagefinanzierung in der GKV werden sich ab 2025 zeigen, wenn die Babyboomer in Rente gingen.
Ältere Privatversicherte zahlen circa 500 Euro im Monat
Die Alterungsrückstellungen in der PKV betrage dagegen bereits 288,1 Milliarden Euro, die die Finanzierung der Versicherten im Alter garantierten. Dies sei ein Vorteil des Kapitaldeckungsverfahrens. In einer späteren Podiumsdiskussion verwahrte sich Reuther gegen Vorhaltungen, dass im Alter die PKV-Beiträge über 1.000 Euro lägen. Dies seien Einzelfälle und widersprächen der Verbandsstatistik. Ab dem Lebensalter von 65 Jahren liege der durchschnittliche Beitrag bei etwa 500 Euro monatlich, belegt durch reale Zahlen. Im Übrigen seien von 2011 bis 2021 die Beiträge in der GKV um 3,3 Prozent per anno gestiegen, die in der PKV nur um 3,0 Prozent.
Autor(en): Bernhard Rudolf