Geschäftsverhinderer

Noch vor kurzem wusste kaum ein Versicherungsmitarbeiter oder gar Vermittler mit dem Begriff "Compliance" etwas anzufangen. In Banken und großen Industrieunternehmen gab es längst Compliance-Abteilungen, in der eigentlich so stark rechtlich geprägten Versicherungswirtschaft nicht. Das hat zwar auch nicht Betrügereien in Banken und Korruptionsskandale in der Industrie verhindert, aber dennoch erstaunt diese Zurückhaltung.

Normen oder Prinzipien
Compliance kommt aus dem angelsächsischen Verständnis der Unternehmensverfassung, die weniger stark von Normen und mehr von Prinzipien geprägt ist. Hierzulande werdem üblicherweise Gesetze, Verordnungen und in Zweifelsfällen höchstrichterliche Gerichtsurteile herangezogen, um zu beurteilen, ob ein Verhalten richtig ist. Das führt allerdings auch dazu, dass sich Rechtsberatung von Unternehmen oft auf das Auffinden von Lücken, das heißt nicht definierten Bereichen in den Normen konzentriert hat. Dieses Verhalten ist dem Vertrieb wohlbekannt, auch er sucht Möglichkeiten, für den Geschäftserfolg Normen zu umgehen oder nicht allzu stark zu beugen. Die gegenwärtige Aufregung über Geldanlagen in der Schweiz mit Versicherungsmänteln, die den Namen Versicherung nicht verdienen, aber für steuerbegünstigt gehalten wurden, ist ein Beispiel.

Mit Prinzipien machen deutsche Versicherer gerade verstärkt Bekanntschaft, denn sie durchziehen neuerdings aufsichtsamtliche Vorgaben beispielsweise zum Risikomanagement. Auch die Versicherungsvermittler werden sie bald kennenlernen, denn der im Juli vorgelegte Entwurf der überarbeiteten Vermittlerrichtlinie enthält ebenfalls solche Prinzipien.

"Versicherungsvermittler und -unternehmen (haben) bei ihrer Versicherungsvermittlungstätigkeit gegenüber ihren Kunden ehrlich, redlich und professionell in deren bestmöglichem Interesse handeln", heißt es beispielsweise im Artikel 15 als "Allgemeiner Grundsatz".

Es geht um den Sinn von Vorschriften
Der "Nachteil" von Prinzipien ist, dass sie wesentlich deutlicher als Normen darauf hinweisen, dass es bei der Erfüllung um den Sinn einer Vorschrift und nicht nur um die Buchstaben des Gesetzes geht. Die Betroffenen sind aufgefordert, selbst zu entscheiden, ob ihr Verhalten dem Prinzip entspricht oder nicht.Dabei sollen Compliance-Verantwortliche helfen. Sie sind mehr als "die Rechtsabteilung" oder "die Revision". Sie sollen die Einhaltung von Normen, Prinzipien, externen und internen Regeln im Sinn der jeweiligen Vorschrift überwachen und die Führungskräfte, Mitarbeiter und Vermittler beraten. Das allerdings ist bisher ein hehrer Anspruch, wie beispielsweise Stefanie Held bekennt, seit Anfang des Jahres Compliance-Chefin des Ergo-Konzerns, in der Sonntagsausgabe vom 19. August der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". "Wir werden oft als Geschäftsverhinderer gesehen." Nach ihrer Aussage muss die neue Compliance-Funktion noch sehr um ihre Akzeptanz kämpfen, gerade auch im Vertrieb.

Compliance im Vertrieb lohnt sich
Dabei gibt es gerade im Vertrieb herausragende Beispiele, wie sich die ihrem Sinn entsprechende Beachtung von Vorschriften und langfristiger geschäftlicher Erfolg verbinden lassen. Die mit der ersten Vermittlerrichtlinie und dem deutschen Vermittlergesetz den Vermittlern auferlegten Informations-, Beratungs- und Dokumentationspflichten gehören dazu.

Wer sie ernst nimmt, darf eigentlich kaum noch bei einem Kunden ein Verkaufsgespräch nur zu einem solitären Produkt führen. Stattdessen muss er stets die viel umfassendere Bedarfssituation des Kunden im Auge haben, die oft mehrere und nicht nur ein Versicherungs- und vielleicht auch Anlageprodukt nahelegen. Der Nutzen liegt auf der Hand: Wenn der Kunde versteht, welche Probleme und Bedarfe durch die vorgeschlagenen Produktkombinationen gelöst werden, schließt mehr Produkte sowie Produkte mit höheren und dadurch bedarfsgerechten Versicherungssummen ab. Er hält diese Produkte auch aufrecht und storniert sie nicht nach kurzer Zeit, weil er ohnehin nicht wirklich von ihnen überzeugt war. Und eine ihrem Sinn entsprechend erstellte Beratungsdokumentation hält dem Kunden erfolgreich vor Augen, welcher Handlungsbedarf bei ihm noch besteht. Die nächsten Beratungstermine und damit auch Abschlüsse sind vorbereitet.

"Compliance ist ein Thema, das erst den Weg in die Köpfe finden muss", so Held weiter. Das gilt auch für den Versicherungsvertrieb fünf Jahre nach Vermittlergesetz und kurz vor der Vermittlerrichtlinie 2.

Bild: © Gerd Altmann/

Autor(en): Mathhias Beenken

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