Fragwürdige Vorwürfe rund um Dokumentation

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Das Bundesjustizministerium hat am 25. Juni die schon länger angekündigte Studie des ITA Instituts zu Beratungsdokumentationen veröffentlicht. Justizminister Maas kritisiert vor allem eine geringe Quote der Pflichterfüllung. Doch die Studie selber provoziert dieses Ergebnis. Dahinter stehen andere Kritikpunkte zurück, über die die Branche nachdenken sollte.

"In der Praxis gibt es bei der Beratungsdokumentation offensichtlich große Defizite. Wenn überhaupt nur jeder vierte Kunde ein Protokoll bekommt, dann ist der Zweck der Beratungsdokumentation nicht erfüllt", kritisiert Bundesjustizminister Heiko Maas die Beratungspraxis bei der Vorstellung der Studie "Evaluierung der Beratungsdokumentation im Geldanlage- und Versicherungsbereich". Diese wurde vom ITA Institut für Transparenz GmbH erstellt, das inzwischen zur Morgen & Morgen Gruppe gehört.

Kleine Zahl von Testkäufen
Die Aussage basiert auf einer Untersuchung mittels verdeckter Testkäufe, die das Institut in Auftarg gab. Dabei wurden insgesamt 119 Testkäufe getätigt, mit einigen Zweitgesprächen waren es laut der Studie 130 Beratungsgespräche. Die Zahl ist relativ gering, um hieraus Rückschlüsse ziehen zu können, in anderen Studien wurden teilweise deutlich höhere Fallzahlen erreicht.

Das Testdesign sieht vier verschiedene "Beratertypen" vor. Getestet wurden 40 Bankangestellte, 30 Versicherungsvertreter, 35 Versicherungs- und Finanzmakler sowie 14 Versicherungsberater. Nachgefragt wurden sieben verschiedenen Produkttypen aus dem Anlage- und dem Versicherungsbereich, teilweise kamen auch mehrere davon vor. Daraus lässt sich zwar eine Vielzahl von Gesprächsvarianten erzeugen, je Fallkonstellation sind es aber nur zwischen einer und maximal 28 Beobachtungen - für belastbare Aussagen zur Häufigkeitsverteilung zu wenig.

Verbraucherzentralen wurden ausgeschlossen, weil sie "ohne Gewinnerzielungsabsicht beraten". Das ist insofern bedauerlich, als ein früherer Test der Verbraucherzentralen durch Studierende der Fachhochschule Köln gezeigt hatte, dass die Verbraucherzentralen überwiegend (in acht von elf Fällen) nicht dokumentiert und nur in einem Fall ein ausgesprochenes Beratungsprotokoll erstellt hatten. Angesichts des eigenen Anspruchs, "Finanzmarktwächter" zu werden und das Verhalten der Finanzdienstleistungsunternehmen zu überwachen, ist dies kein überzeugendes Vorbild.

Dokumentationspflicht noch nicht nach dem Erstgespräch
Insgesamt wurden laut Studie nur in 24,4 Prozent der Testfälle Beratungsdokumentationen erstellt. Versicherungsvertreter (13,3 Prozent) und Versicherungs- und Finanzmakler (14,3 Prozent) kommen dabei besonders schlecht weg. Etwas besser sieht es bei Banken (35 Prozent) und den Versicherungsberatern (42,9 Prozent) aus.

Der Beschreibung der Vorgehensweise in den verdeckten Tests lässt sich allerdings nicht entnehmen, dass Versicherungsanträge gestellt worden wären. Damit waren die getesteten Vermittler nicht verpflichtet, eine Beratungsdokumentation zu erstellen, auch nicht wenn der Testkunde nach dem Erstgespräch entsprechende Unterlagen angefordert hat. Die Dokumentation ist "vor dem Abschluss des Vertrags" zu übermitteln (§ 62 Absatz 1 VVG), das heißt nach Antragseinreichung, aber vor Policenzusendung. Man kann es zwar für wünschenswert halten, sofort im unverbindlichen Beratungsgespräch und unabhängig vom Antrag eine Dokumentation zu erhalten, rechtlich geboten ist dies nicht. Insofern ist bezogen auf die Versicherungsvermittlung die Aussage fragwürdig, dass die Vermittler mehrheitlich ihrer Dokumentationspflicht nicht nachkommen würden.

Nur vier von zehn Kunden nehmen Dokumentation wahr
In einer weiteren Untersuchung wurden nach eigenen Angaben bevölkerungsrepräsentativ rund 1.000 Kunden befragt. Auch hier haben laut Studie nur 39 Prozent eine Dokumentation erhalten und 38 Prozent angegeben, keine erhalten zu haben, der Rest war offensichtlich unsicher. Dabei zeigt die Studie, dass selbst die geschulten Testkäufer in 26 Prozent der Fälle die ihnen ausgehändigten Unterlagen nicht richtig zuordnen konnten, ob es sich um eine Beratungsdokumentation oder um eine andere Unterlage wie zum Beispiel ein Produktinformationsblatt oder einen Angebotsausdruck handelt.

Eine an der Fachhochschule Dortmund und der Universität Köln gemachte Befragung von 500 Altersvorsorgekunden hat dagegen immerhin eine Quote von 69 Prozent ergeben, mit der eine Beratungsdokumentation vorgelegen hat.
Die ITA-Studie wirft dagegen ganz andere, wichtige Fragen auf. Sie kritisiert den Gesetzgeber, dass er keine genauen Vorgaben gemacht habe und die Dokumentationspflichtigen "bei der Gestaltung und Anfertigung von Beratungsdokumentationen allein gelassen sind". Das sei "ein unbefriedigender Zustand, der vom Gesetzgeber geändert werden sollte".

Honorar allein wird es nicht richten
Dass die Unterlagen selbst von geschulten Testkäufern häufig verwechselt werden, spricht dafür, dass es der Gesetzgeber insgesamt mit den Informationspflichten übertrieben hat. Gerade im Versicherungsbereich führt die Pflicht, rechtzeitig vor Antragstellung Versicherungsbedingungen und zahlreiche weitere Informationen auszuhändigen, zu einer für Laien nicht mehr durchschaubaren Informationsflut.

Anders als in der Studie dargestellt, lässt sich erneut kein Beleg für eine Überlegenheit der Honorarberatung ableiten. Auch die getesteten Honorarberater dokumentierten mehrheitlich nicht, und dass, obwohl sie nicht vermitteln, sondern mit dem Beratungsgespräch der dokumentationspflichtige Beratungsprozess in der Regel abgeschlossen sein dürfte. Dagegen meint ITA, "die Tatsachen, dass der Zusatzaufwand bei Versicherungsvermittlern nicht entlohnt wird und unterbleibende Dokumentationen nicht sanktioniert werden, könnten erklären, warum Versicherungsvermittler viel seltener Dokumentationen aushändigen als Bankberater und Honorarberater".

Als Enthaftungsinstrument missverstanden
Ein Mangel ist, dass anscheinend viele Anbieter die Dokumentation als Enthaftungsinstrument verstehen und einsetzen. Das belegt die ITA-Studie eindrucksvoll mit der Aussage, dass 76 Prozent der vorgelegten Dokumentationen vom Kunden zu unterschreiben waren, und davon nur knapp jede zehnte Unterschrift ausdrücklich nur den Erhalt und nicht etwa auch die Richtigkeit der Dokumentation bestätigen sollte.

Eine weitere Kritik ist ernst zu nehmen: "Keine einzige Dokumentation gibt den Ablauf des Testgesprächs vollständig, richtig, verständlich und übersichtlich wieder." Echte Fehler wurden dagegen nicht gefunden, aber offenbar vielfach zu stark standardisierte Texte und wenig verständliche Darstellungen. Kritisiert wird zudem der vor allem im Versicherungsbereich mit ein bis drei Seiten geringe Umfang der Dokumentation. Im Anlagebereich würde mit rund vier Seiten ausführlicher dokumentiert. Allerdings räumen die Autoren ein: "Nur vom Umfang lässt sich nicht auf die Qualität der Dokumentation schließen."

Minister Maas kündigt an, dass er mit den betroffenen Branchen und ihren Verbänden über die Studienergebnisse sprechen wird. "Die Beratungsprotokolle sollen qualitativ hochwertige Beratung sicherstellen. Unnötige Bürokratie nutzt Niemandem."

Bildquelle: (c) cirquedesprit/Fotolia.com

Autor(en): Matthias Beenken

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