Wollen Unternehmen neue Wege gehen, brauchen sie eine gute Fehlerkultur. Dass deutsche Firmen hier Nachholbedarf haben, zeigt eine Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young (EY). In der Finanzbranche fällt die Einschätzung der Führungskräfte besonders kritisch aus. Ein Gastbeitrag.
Fehler passieren in jedem Unternehmen. Das wissen die Führungskräfte. So geben in einer aktuellen EY-Studie 80 Prozent von ihnen an, dass ihnen selbst in den vergangenen beiden Jahren Fehler unterlaufen sind. Diese haben den Betriebsablauf gestört, Projekte verzögert, finanziellen Schaden verursacht oder dem Ansehen ihrer Abteilung geschadet. Ebenfalls bewusst ist den leitenden Angestellten: Steht ihre Organisation vor neuen Herausforderungen, schnellt die Fehlerquote in die Höhe. So sind 85 Prozent der Führungskräfte und 80 Prozent der Mitarbeiter davon überzeugt, dass die Gefahr Fehler zu machen mit der Digitalisierung zumindest teilweise steigt.
Befragt wurden für die Studie 800 Angestellte und 218 Führungskräfte aus den Branchen Maschinenbau, Transport und Logistik, Automobilhersteller und -zulieferer sowie Banken und Versicherer. Die Gegenüberstellung der Aussagen von Führungskräften und Mitarbeitern zeigte die unterschiedliche Einschätzungen beider Gruppen.
Eine offene Diskussionskultur anstreben
Damit Firmen produktiv mit ihren Fehlern umgehen können, muss über Fehlverhalten, falsche Entscheidungen und gescheiterte Projekte offen gesprochen werden - insbesondere auch über die Hierarchie-Ebenen hinweg. Die Grundlage dafür ist eine offene Diskussionskultur zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten, die jedoch zumindest nach Einschätzung der Mitarbeiter nur in weniger als der Hälfte der Unternehmen gegeben ist. Nur 40 Prozent geben an, dass Vorstand und Geschäftsleitung über Fehler in ihrem Zuständigkeitsbereich sprechen. Die Führungskräfte sehen die Diskussionskultur mit 66 Prozent zwar deutlich positiver. Die Diskrepanz spricht jedoch dafür, dass in der Mehrzahl der Unternehmen Handlungsbedarf besteht.
Fehlerkultur wird kaum gefördert
Über alle Branchen hinweg sehen die befragten Führungskräfte mit 46 Prozent die größte Gefahr einer mangelnden Fehlerkultur in zu wenig Innovationstätigkeit und damit in einem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit. 42 Prozent fürchten, dass sich vertuschte Fehler zu Skandalen ausweiten. 41 Prozent nennen die Demotivation der Mitarbeiter als eine der größten Bedrohungen und 40 Prozent das Scheitern von Großprojekten. Bei den Angestellten steht mit 57 Prozent die Demotivation der Mitarbeiter an erster Stelle.
Diesen Erkenntnissen hinkt die Förderung einer positiven Fehler- und Innovationskultur in den Unternehmen deutlich hinterher: So sieht die Hälfte der Angestellten in ihrem eigenen Unternehmen keine konkreten Ansätze, den Umgang mit Fehlschlägen zu verbessern. Jeweils 27 Prozent berichten von Trainings für Mitarbeiter beziehungsweise Führungskräfte. Bei elf Prozent der Befragten gibt es die Möglichkeit, anonym über Fehler zu berichten. Agile Methoden wie Scrum und Design Thinking, die einen produktiven Umgang mit Fehlern fördern, kennen lediglich neun Prozent der Mitarbeiter aus der eigenen Firma. Von Innovationsprogrammen, die ausdrücklich zum Ausprobieren und Experimentieren ermutigen, wissen nur sechs Prozent.
Ebenfalls aufhorchen lassen sollte die Unternehmen: Von ihrem Vorgesetzten fühlen sich lediglich 35 Prozent der Mitarbeiter motiviert, neue und gegebenenfalls risikoreiche Wege zu gehen. Dass die Geschäftsleitung dazu anregt, erklären 15 Prozent.
Fehlerkultur findet im Finanzbereich kaum statt
In der Finanzbranche fallen einige Umfrageerbnisse im Vergleich mit anderen Wirtschaftszweigen auf. So berichten bei Banken und Versicherer lediglich 47 Prozent der befragten Führungskräfte von einer offenen Diskussionskultur zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten - und damit fast 20 Prozent weniger als im Branchendurchschnitt. Geht es um die Hindernisse beim Etablieren einer positiven Fehlerkultur, nennt ein besonders hoher Anteil von 60 Prozent der Führungskräfte die Angst vor Gesichtsverlust und fast die Hälfte die Macht alter Gewohnheiten.
Auch das reflexhafte Suchen nach den Schuldigen ist nach Ansicht der Führungskräfte in der Finanzbranche am stärksten ausgeprägt. So wird bei den Unternehmen aus dem Finanzsektor der Handlungsbedarf unternehmensweit zwar klarer gesehen als in anderen Wirtschaftsbereichen. Dafür scheint er zumindest in einigen Punkten auch besonders hoch zu sein.
Autor(en): Nelson Taapken