Für viel Wirbel und Unruhe unter Lebensversicherten dürfte eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EUGH) sorgen. Mit einem scheinbar ewigen Rücktrittsrecht eröffnet sie Kunden den lukrativen Ausstieg aus der Lebensversicherung. Praktisch dürften die Auswirkungen deutlich geringer sein. Vor allem, wenn der Bundesgerichtshof (BGH) die wahren Modalitäten des Rücktritts festlegen wird. Doch die Verunsicherung der Kunden dürfte weiter zunehmen.
Lebensversicherte können ihren Vertrag auch Jahre später noch auflösen, wenn sie fehlerhaft oder gar nicht über ihre Rechte aufgeklärt wurden, meint der EUGH (Urteil vom 19.12.2013 - C-209/12). Eine einjährige Frist für den Rücktritt, wie es deutsches Recht in der Vergangenheit beim „Policenmodell“ vorsah, ist europarechtswidrig. Damit haben theoretisch Millionen von Kunden das Recht, ihre Lebensversicherung von Beginn an aufzulösen.
Kein automatisches Erlöschen des Rücktrittrechts
"Ein automatisches Erlöschen des Rücktrittsrechts nach einem Jahr gibt es nach Ansicht der EUGH-Richter nicht", erläutert Kerstin Hartwig, die Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Versicherungsrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV) ist. Damit gewährt der EUGH allen Verbrauchern, die nicht oder nicht ausreichend über ihre Rechte aufgeklärte wurden, ein unbegrenzt langes Rücktrittsrecht.
Demgegenüber hatte der deutsche Gesetzgeber für zwischen 1995 und 2007 abgeschlossen Verträgen bestimmt, dass auch nicht aufgeklärte Verbraucher ihren Vertrag nach einem Jahr nicht mehr einfach auflösen können. Bei dem umstrittenen so genannten Policenmodell wurden dem Kunden erst nach der Unterschrift unter den Vertrag die Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen zusammen mit der Police übersandt. Der Versicherungsvertrag kam zustande, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb einer Frist von 14 Tagen, ab Ende 2004 von 30 Tagen nach Erhalt der Unterlagen widersprach. Nach einem Jahr entfiel jedes Widerspruchsrecht - egal, ob der Kunden aufgeklärt worden war oder nicht.
BGH entscheidet noch
Das EUGH-Urteil stärkt Lebensversicherten mit Altverträgen nun deutlich den Rücken. "Wer nicht aufgeklärt wurde, kann sich jetzt direkt auf das EUGH-Urteil berufen und seine Versicherungsbeiträge eventuell auch verzinst zurückverlangen", erläutert Expertin Hartwig. Besser wäre es nach Meinung der Juristin aber, wenn die Kunden das Urteil des deutschen Bundesgerichtshofs (BGH) abwarten würden. Diese Meinung vertritt auch die Verbraucherzentrale Hamburg. Der BGH hatte mit einer internationalen Überprüfung der Klage eines Allianzkunden den Anstoß für die jetzige EUGH-Entscheidung gegeben. "Unklar ist nämlich, ob sich eine Auflösung von Verträgen wirtschaftlich überhaupt lohnt", so Hartwig. Erst der BGH werde die Rückzahlungsmodalitäten für die Versicherer festlegen.
Frage der Beweislast
Zudem sei es nicht ausgeschlossen, dass die Beweislast, dass nicht belehrt wurde, vom BGH im Einzelfall anders definiert werde. Bisher trifft allein den Versicherer die Beweislast. Marktführer Allianz und auch der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), behaupten, dass den Kunden „regelmäßig die vorgeschriebenen Vertragsunterlagen vollständig übersandt und sie ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt worden wären“. Ein Nachweis dürfte der Branche aber in der Mehrzahl der Fälle schwer fallen.
Gilt jetzt ewiges Widerspruchsrecht?
Daher geht die Verbraucherzentrale Hamburg auch davon aus, dass "zig Millionen Kunden und zig Milliarden Euro" von der EUGH-Entscheidung betroffen sind. Experten kritisieren die EUGH-Richter. "Das Urteil führt zu einem ewigen Widerspruchsrecht und ermöglicht es manchen Versicherungsnehmern, sich auf Kosten der Gefahrgemeinschaft risikolos nach längerer Zeit aus der Bindung zu befreien", bemängelt Prof. Christian Armbrüster von der Freien Universität Berlin. Rechtlich ungeklärt sei, inwiefern das Urteil zu Rückforderungsansprüchen für geleistete Prämien führt. Nach Einschätzung des Versicherungsjuristen würden Ansprüche schon drei Jahre nach der letzten Prämienzahlung erlöschen. Nach einem längeren Zeitraum sei der Anspruch aus Gründen der Rechtssicherheit möglicherweise sogar vollkommen verwirkt.
Daher dürfte der jetzt anstehenden Entscheidung des BGH höchste Bedeutung zukommen. Möglich, dass der Allianzkunde trotz des EUGH-Urteils leer ausgeht. Geklagt hatte er zehn Jahre nach Abschluss seiner Kapitallebensversicherung. Zu einem Zeitpunkt, so die Allianz, sei der Vertrag schon längere Zeit gekündigt gewesen.
Bildquelle: © Gerd Altmann /
Lebensversicherte können ihren Vertrag auch Jahre später noch auflösen, wenn sie fehlerhaft oder gar nicht über ihre Rechte aufgeklärt wurden, meint der EUGH (Urteil vom 19.12.2013 - C-209/12). Eine einjährige Frist für den Rücktritt, wie es deutsches Recht in der Vergangenheit beim „Policenmodell“ vorsah, ist europarechtswidrig. Damit haben theoretisch Millionen von Kunden das Recht, ihre Lebensversicherung von Beginn an aufzulösen.
Kein automatisches Erlöschen des Rücktrittrechts
"Ein automatisches Erlöschen des Rücktrittsrechts nach einem Jahr gibt es nach Ansicht der EUGH-Richter nicht", erläutert Kerstin Hartwig, die Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Versicherungsrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV) ist. Damit gewährt der EUGH allen Verbrauchern, die nicht oder nicht ausreichend über ihre Rechte aufgeklärte wurden, ein unbegrenzt langes Rücktrittsrecht.
Demgegenüber hatte der deutsche Gesetzgeber für zwischen 1995 und 2007 abgeschlossen Verträgen bestimmt, dass auch nicht aufgeklärte Verbraucher ihren Vertrag nach einem Jahr nicht mehr einfach auflösen können. Bei dem umstrittenen so genannten Policenmodell wurden dem Kunden erst nach der Unterschrift unter den Vertrag die Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen zusammen mit der Police übersandt. Der Versicherungsvertrag kam zustande, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb einer Frist von 14 Tagen, ab Ende 2004 von 30 Tagen nach Erhalt der Unterlagen widersprach. Nach einem Jahr entfiel jedes Widerspruchsrecht - egal, ob der Kunden aufgeklärt worden war oder nicht.
BGH entscheidet noch
Das EUGH-Urteil stärkt Lebensversicherten mit Altverträgen nun deutlich den Rücken. "Wer nicht aufgeklärt wurde, kann sich jetzt direkt auf das EUGH-Urteil berufen und seine Versicherungsbeiträge eventuell auch verzinst zurückverlangen", erläutert Expertin Hartwig. Besser wäre es nach Meinung der Juristin aber, wenn die Kunden das Urteil des deutschen Bundesgerichtshofs (BGH) abwarten würden. Diese Meinung vertritt auch die Verbraucherzentrale Hamburg. Der BGH hatte mit einer internationalen Überprüfung der Klage eines Allianzkunden den Anstoß für die jetzige EUGH-Entscheidung gegeben. "Unklar ist nämlich, ob sich eine Auflösung von Verträgen wirtschaftlich überhaupt lohnt", so Hartwig. Erst der BGH werde die Rückzahlungsmodalitäten für die Versicherer festlegen.
Frage der Beweislast
Zudem sei es nicht ausgeschlossen, dass die Beweislast, dass nicht belehrt wurde, vom BGH im Einzelfall anders definiert werde. Bisher trifft allein den Versicherer die Beweislast. Marktführer Allianz und auch der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), behaupten, dass den Kunden „regelmäßig die vorgeschriebenen Vertragsunterlagen vollständig übersandt und sie ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt worden wären“. Ein Nachweis dürfte der Branche aber in der Mehrzahl der Fälle schwer fallen.
Gilt jetzt ewiges Widerspruchsrecht?
Daher geht die Verbraucherzentrale Hamburg auch davon aus, dass "zig Millionen Kunden und zig Milliarden Euro" von der EUGH-Entscheidung betroffen sind. Experten kritisieren die EUGH-Richter. "Das Urteil führt zu einem ewigen Widerspruchsrecht und ermöglicht es manchen Versicherungsnehmern, sich auf Kosten der Gefahrgemeinschaft risikolos nach längerer Zeit aus der Bindung zu befreien", bemängelt Prof. Christian Armbrüster von der Freien Universität Berlin. Rechtlich ungeklärt sei, inwiefern das Urteil zu Rückforderungsansprüchen für geleistete Prämien führt. Nach Einschätzung des Versicherungsjuristen würden Ansprüche schon drei Jahre nach der letzten Prämienzahlung erlöschen. Nach einem längeren Zeitraum sei der Anspruch aus Gründen der Rechtssicherheit möglicherweise sogar vollkommen verwirkt.
Daher dürfte der jetzt anstehenden Entscheidung des BGH höchste Bedeutung zukommen. Möglich, dass der Allianzkunde trotz des EUGH-Urteils leer ausgeht. Geklagt hatte er zehn Jahre nach Abschluss seiner Kapitallebensversicherung. Zu einem Zeitpunkt, so die Allianz, sei der Vertrag schon längere Zeit gekündigt gewesen.
Bildquelle: © Gerd Altmann /
Autor(en): Uwe Schmidt-Kasparek