"Es ist wichtig, in der Transformation Vorreiterbeispiele zu kommunizieren"

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Stephan Bongwald ist schon seit fast 25 Jahren bei der Barmenia. Seit 2012 ist er offiziell der Nachhaltigkeitsbeauftragte im Unternehmen. Was seine Aufgaben sind, wie die Barmenia Nachhaltigkeit umsetzen will und wie sie sich auch mit Blick auf EU-Regulierungen für die Zukunft aufstellen will, bespricht er mit Versicherungsmagazin.

Herr Bongwald, wie sind Sie zu ihrem jetzigen Posten gekommen?

Stephan Bongwald: Ich habe inzwischen schon lange Interesse an Nachhaltigkeitshemen, sie begeistern mich beruflich und privat. 2008 hatte ich bei der Barmenia erste berufliche Berührungspunkte zur Nachhaltigkeit, da gewannen wir den Sonderpreis beim deutschen Nachhaltigkeitspreis. 2009 setzte ich den ersten Nachhaltigkeitsbericht um und bin davor auch bis heute zuständig. 2012 gab mir die Barmenia offiziell meine jetzige Position. Damit bin ich einer der ersten Nachhaltigkeitsbeauftragten, wenn nicht der erste Nachhaltigkeitsbeauftragte, in der Versicherungsbranche.

Welche Rolle spielt nachhaltiges Handeln und Wirtschaften für die Barmenia?

Nachhaltiges Handeln und Wirtschaften ist schon lange fester Bestandteil unserer Unternehmenskultur und seit 1998 auch in unserer Unternehmensphilosophie verankert. Dabei war es uns sehr wichtig, dass Nachhaltigkeit neben dem Umweltbewusstsein auch ökonomisches Handeln sowie soziale Verantwortung umfasst. Bereits seit 2009 veröffentlichen wir Nachhaltigkeitsberichte, obwohl es erst ab 2017 zur Pflicht wurde. Ende 2010 haben wir ein Ziel CO2-Neutralität für den Geschäftsbetrieb festgelegt, seit 2015 veröffentlichen wir die CO2-Bilanz für die Hauptverwaltungen und engagieren uns seitdem finanziell in zertifizierten internationalen Klimaschutzprojekten, und im Jahr 2014 haben wir als einer der ersten deutschen Versicherer die Principles for Responsible Investment (PRI) der Vereinten Nationen gezeichnet. Seitdem entwickeln wir uns kontinuierlich weiter. So haben wir im Jahr 2021 eine neue Nachhaltigkeitspositionierung erarbeitet und veröffentlicht, die die Schwerpunkte unseres Handelns festlegt. Das Versprechen daraus lautet „Nachhaltig aus Überzeugung“. Es zeigt, dass wir uns seit über zwanzig Jahren unserer nachhaltigen Verantwortung stellen, und gleichzeitig ist es unser Versprechen für die Zukunft. Wir bekommen von außen durch Preise und sehr gute Noten von Nachhaltigkeitsratings wie Assekurata und Franke und Bornberg signalisiert, dass wir bisher einen guten Job gemacht haben, und das ist schön.

Die Barmenia hat auch einen Nachhaltigkeitsbeirat. Welche Befugnisse hat dieser, kann er beispielsweise auch Vetos aussprechen?

Den Nachhaltigkeitsbeirat gibt es in seiner heutigen Form seit 2014, den Vorläufer – ein Nachhaltigkeits-Produktbeirat – bereits seit 2001. Der Beirat besteht aus externen Experten und ist ein Impulsgeber für Nachhaltigkeitsthemen. Er berät den Vorstand auch bei diesen Themen. Ein Veto war bisher nicht nötig und wie gesagt, ist es ein beratendes Gremium. Auch unser Aufsichtsrat prüft ESG-Themen, wie die CSR-Berichte und entsprechende Vorstandsziele.

Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit für Ihre Kundinnen und Kunden?

Viele Jahre war es schwierig, den Bezug von Versicherungen und Nachhaltigkeit zu verdeutlichen. Ich arbeite bereits sehr lange intensiv an Nachhaltigkeitsthemen und habe stets die Kommunikation entwickelt und weiterentwickelt. In der Versicherungsbranche und auch branchenübergreifend waren es immer dieselben Menschen, die versuchten, das Thema weiterzuentwickeln. Den großen Schwung brachte der Klimaschutzgipfel und die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen im Jahr 2015, einen noch größeren gesellschaftlichen Umschwung zu mehr Nachhaltigkeit verzeichne ich aber seit 2018 mit dem Start der Initiative Fridays for future. Die Millionen von demonstrierenden Menschen haben die Politik und auch Unternehmen in neue Handlungsmöglichkeiten versetzt, da man hier weitestgehend einen Konsens gefunden hatte. Die Kunden fordern Nachhaltigkeit. Das Thema hat sich aus der Nische hinausbewegt. An unseren Absatzzahlen spüren wir, dass das Thema Ökologie und Soziales eine immer größere Rolle bei den Kundinnen und Kunden spielen. Der Anteil an unserem Fondsportfolio mit ökologischen und sozialen Kriterien nach Artikel 8 oder Artikel 9 der Transparenz-Verordnung lag bei uns zum 31.12.2022 bei 57 Prozent, 2021 waren es noch 35 Prozent. Das Angebot ist also da und die Nachfrage auch.

Wie könnte sich die Green Claims Directive der EU, die sich gegen Greenwashing richten soll, auf Versicherer und speziell auf Barmenia auswirken? Müsste Ihre Strategie in der Vermarktung angepasst werden?

Als Greenwashing definieren die Aufsichten, wenn nachhaltigkeitsbezogene Behauptungen, Erklärungen, Handlungen oder Mitteilungen das zu Grunde liegende Nachhaltigkeitsprofil eines Unternehmens, eines Finanzprodukts oder einer Finanzdienstleistung „nicht eindeutig und redlich“ widerspiegeln. Dieses Gesetzesvorhaben steht noch am Anfang. Im Vorstand der Barmenia gilt aber schon immer der Grundsatz: „Greenwashing geht auf keinen Fall“. Wenn dann ein Fehler begangen wird und die Vorwürfe im Raum stehen, ist die über Jahre aufgebaute Reputation einfach weg. Unser Marketing ist da deshalb vorsichtig und agiert nicht so offensiv. Als Kommunikations- und Marketingexperte und als jemand, der schon viele Changeprozesse begleitet hat, finde ich es aber auch nicht immer glücklich, wenn man nicht kommunizieren kann, da man nicht mehr weiß, was richtig und falsch ist. Wir befinden uns gerade in einer abwartenden Situation, und es ist wichtig, in der Transformation Vorreiterbeispiele zu kommunizieren. Nur so können wir alle von ihnen lernen. Wenn sich keiner mehr traut, etwas zu sagen, ist es auch eine Gefahr für die Gesellschaftsentwicklung.

Die Regulierungen durch die EU stoßen nicht immer auf Gegenliebe in den Branchen, die von ihnen betroffen sind. Hatten Sie auch schon Probleme damit, diese Vorgaben umzusetzen?

Momentan ist es sehr herausfordernd, denn es werden ständig neue Vorgaben gemacht. Es herrscht gerade eine gewisse Dynamik in der Regulatorik, neue Regeln und Gesetze überholen sich teilweise rechts, so schnell wird alles auf den Weg gebracht. Dabei ist die Taxonomie mit ihren Umweltzielen noch nicht vollständig in Kraft getreten. Dies wird erst zum 1.1.2024 der Fall sein.

Die Offenlegungsverordnung hat durch die Einstufung in die Artikel 6, 8 und 9 eine gewisse Transparenz geschaffen, womit wir das Potenzial hatten, nachhaltige Fonds anzubieten, die den gesetzlichen Nachhaltigkeitsanforderungen entsprechen und wie man sieht, ist es uns bisher gut gelungen. Es werden immer mehr Möglichkeiten geschaffen, um attraktive Nachhaltigkeitsangebote zu machen. Das Angebot wird weiterentwickelt und die Nachfrage wird immer größer. Ich habe eine Studie gelesen, die von einer fast 50-prozentigen Steigerung des Absatzes gesprochen hat. Von solchen Quoten hat man immer geträumt und jetzt ist dieses Entwicklungspotenzial bei Nachhaltigkeit vorhanden. Die Menschen wollen mehr für die Gesellschaft tun, auch durch ihr Kapital und ihren Versicherungen.

Wie könnte die Entwicklung in der Branche in den nächsten Jahren aussehen, wird Nachhaltigkeit ein dominierendes Thema werden?

Nachhaltigkeit ist ein dominierendes Thema. Man sieht es allein an den Gesetzen, die die EU auf den Weg gebracht hat. Sie flankieren den Green Deal, der das nachhaltige und ab 2050 klimaneutrale Europa zum Ziel hat. Zu den Gesetzen gehören beispielsweise die Offenlegungsverordnung, die weitere Ausgestaltung der Taxonomie, die Weiterentwicklung der CSR-Berichtspflicht durch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), wonach in Europa bisher ungefähr 12.000 und dann circa 50.000 Unternehmen berichtspflichtig werden oder die Entwürfe zur Transparenz von ESG-Ratings und auch die Green Claims, um Greenwashing zu vermeiden. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. (GDV) hat vor zwei Jahren eine umfangreiche Nachhaltigkeitspositionierung veröffentlicht, die für uns und die Mitgliedsunternehmen maßgeblich ist. Die mit konkreten Zielen bestückte Position ist mehr als ein Versprechen, da wir uns daran messen lassen müssen. Die Fortschritte kann man nicht nur in den Nachhaltigkeitsberichten der Unternehmen nachlesen, sondern auch im GDV-Nachhaltigkeitsbericht, der jährlich veröffentlicht wird. Denn letztendlich müssen wir alle nachhaltig werden, um eine große gesellschaftlich nachhaltige Transformation zu erreichen. Wir unterstützen dabei.

Das Interview führte Frederik Schmidt, Redakteur Versicherungsmagazin.

Mehr zum Thema Nachhaltigkeit in der Versicherungsbranche finden Sie in Versicherungsmagazin Ausgabe 11/2023. Hier geht es zum kostenlosen Probeabo.

Autor(en): Frederik Schmidt

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