Mit maximal 5.500 bis 6.000 Vermittlern will die Ergo in Zukunft noch zusammenarbeiten. Aktuell sind es 7.580 Personen. Gleichzeitig ist der Versicherer dabei, neue (junge) Menschen für sein Haus zu gewinnen. Klingt nach Widerspruch. Nicht für Ronny Walter, Leiter der Vertriebsdirektion West der Ergo Beratung und Vertrieb AG.
Für Professor Fred Wagner, Vorstand des Instituts für Versicherungswissenschaften an der Universität Leipzig, erscheint die Herangehensweise der Ergo widersprüchlich: „Warum rekrutieren Sie schon, wenn Sie erst konsolidieren (sollten)?“ Doch Ronny Walter, Vertriebschef der Ergo Beratung und Vertrieb AG, zeigte sich auf der 11. IfVW-Konferenz „Aktuelle Fragen des Versicherungsvertriebs“ offen für ein Nebeneinander beider Aktivitäten seines Unternehmens.
Bisherige Partner abbauen, neue Köpfe gewinnen
Die Zahl der aktuellen Vermittler Schritt für Schritt zu senken, hat nach Aussage des langjährigen Ergo-Mannes verschiedene Gründe: einerseits "zur Imagepflege", andererseits aus demografischen Gründen. Darüber hinaus scheint das Versicherungsunternehmen aber auch bestrebt, die Vermittlerzahl grundsätzlich zu reduzieren. Eben auf rund 6.000 oder doch eher 5.500? Die Zahlen schwankten etwas bei Walter, wie auch Wagner amüsiert vermerkte: „Die Zahlen werden immer kleiner.“ Wohl der Tatsache geschuldet, dass der Versicherer noch nicht absehen kann, wie seine Akquise von neuen – jungen – Köpfen ausgehen wird.
Nicht ganz einfach, engagierte und kompetente Nachwuchskräfte finden
Der Vortrag von Walter bei der Konferenz in Köln war übrigens überschrieben mit „Recruiting im Versicherungsvertrieb im Spannungsfeld von demografischem Wandel, schlechtem Image und zunehmenden Anforderungen – Status quo und Lösungsansätze“. Klingt etwas sperrig, zeigt aber eben auch, dass es für die Versicherungswirtschaft und natürlich auch für die Ergo nicht ganz einfach ist, engagierte und kompetente Nachwuchskräfte zu finden. Besonders, da sie „ein dickes Dampfschiff ist“, wie Wagner verschmitzt kommentierte.
Doch der Versicherer aus Köln wirbelt kräftig, um neue Leute an Bord zu bekommen, wie die Präsentation von Walter zeigte. So hat er unter andrem eine interne Qualifizierung gestartet, setzt auf eine digitale Ausbildungsmesse, bei der für eine Ausbildung in der oder ein Studium mit der Ergo geworben wird, Live-Chats mit interessierten Bewerbern laufen können und bespielt die üblichen Social-Media-Kanäle wie Instagram oder Youtube. Zudem gibt es eine eigene Karriere-Website, auf der sich auch Vertriebsführungskräfte vorstellen.
80 Prozent der AO-Bewerber unter 30
Und obwohl der Kölner Versicherer weiß, dass klassische Stellenanzeigen wenig bringen, hat er auch hier investiert und seine klassischen Stellenanzeigen neu gestaltet, einmal für ein jüngeres Klientel mit Du-Ansprache, für die älteren Semester mit betont höflicher Sie-Anrede.
Und wenn dann einer/eine anbeißt, sind die 80 Prozent der Bewerber – nur für den Außendienst (AO) – unter 30 Jahre. Etwas gegen den allgemeinen Trend setzt die Ergo so auf „eine Starke AO, geht bewusst den AO-Weg“. Der Bewerber selbst kann sich aber nur noch online bewerben, „der Ergo-Bewerbungsprozess läuft rein digital“ über eine Recruiting-App.
Erstaunlich auch das – wohl recht erfolgreiche - Lokmittel der Ergo, die jungen Leute für ihr Haus, „für einen der unbeliebtesten Berufe überhaupt“ zu gewinnen: Jeder neue Auszubildende erhält einen eigene Wagen, weiß mit rotem Ergo-Logo. Das sag‘ noch einer, alle jungen Leute radeln nur noch zur Fridays-for-future-Demo. Die Begründung von Walter für diese Vertriebsschmankerl früherer Zeiten: „Wir müssen dahin gehen, wo die jungen Menschen sind“. Und die sind nicht nur im Netz, sondern auch anscheinend immer noch gerne im Auto unterwegs. Junge Menschen für den Versicherungsvertrieb zu gewinnen, „ist der Königsweg der Rekrutierung“ weiß Ronny Walter, da müssen eben alle möglichen Hebel in Bewegung gesetzt werden.
Junge Leute wollen sich vor allem frei entfalten
Und die Ergo weiß natürlich auch, dass den jungen Menschen heutzutage ihre Work-life-Balance verdammt wichtig ist, ihre Freiheit, ihre freie Entfaltung. Diesem Anspruch möchte sie gerecht werden, gleichzeitig aber auch den Unternehmergeist in den Youngstern wachkitzeln. Aus diesem Grund hat der Kölner Versicherer auch zwei unterschiedliche Imagefilme entwickeln lassen, einen für Branchenkenner, einen für Branchenfremde, aber immer mit jugendlichem Touch, mit viel fröhlichen lachenden Menschen, die Sport treiben, gerne auch Extremportarten. Die Botschaft dahinter: Auch in unserem Unternehmen ist der Fun-Faktor echt hoch, kannst Du Dich entfalten und Leistung wird belohnt.
Doch so wichtig den Jugendlichen auch ihre Freiheit ist, so stark sind die bei ihrem Gehalt aber auf Sicherheit fixiert. Eine Beobachtung, die die Versicherungswirtschaft als auch die Versicherungswissenschaft immer wieder machen, wie Wagner und Walter auf der IfVW-Tagung bestätigten: „41 Prozent der Studierenden wollen in den öffentlichen Dienst, so zum Beispiel zur Polizei.“ Auch hier will die Ergo liefern. Doch wie passt das zusammen? Dieses Sicherheitsbedürfnis und das Ziel des Versicherers, Branchenneulinge für das Unternehmertum zu begeistern, in dem neben dem Fixum auf eine mehr oder weniger ausgeprägte erfolgsorientierte Provision gesetzt wird? Auch Professor Wagner hatte hier seine Zweifel.
Zahnzusatzversicherung als Türöffner für weitere Produkte
Was Walter bei seiner engagierten Werbung für sein Unternehmen, ganz der Vollblut-Vertriebler, auch noch ansprach: Die Zahnzusatz-Versicherung von Ergo, ehemals von Ergo Direkt. Diese Zusatzversicherung ist für Ergo noch DER Türöffner für weitere Versicherungsabschlüsse. Außerdem hat der Versicherer es wohl geschafft, dass in den vergangenen zehn Monaten aus der Generierung von Leads 170.000 Neuverträge entstanden. (Leads sind zum BeispielE-Mail-Adressen, eine Telefonnummer, der Name des Ansprechpartners, Unternehmensnamen oder Positionstitel.) Gut für den Versicherer und den Vermittler, mit einem kleinen Haken: Wenn der Kunde über Leads generiert wurde, muss der Vermittler einen fünfundzwanzig-prozentigen Abschlag auf den Vertrag hinnehmen.
Autor(en): Meris Neininger