Ergo: Lahmer Befreiungsschlag und HMI soll wohl bleiben

Untersucht, Fehler eingestanden und abgehakt. So hatte sich der Vorstandsvorsitzende Torsten Oletzky wohl das Resultat seiner Pressekonferenz „Ergo in der Kritik – Prüfungsergebnisse und Maßnahmen“ vorgestellt. Immerhin: Die von fast einem Dutzend Fernsehteams und rund 30 weiteren Journalisten besuchte Presseveranstaltung hatte ein größeres Medienecho als alle bisherigen Bilanzkonferenzen, wie Oletzky selbst feststellte.

Erstes High-Light waren Demonstranten in Bademänteln und mit Sektflaschen, die vor der Ergo-Zentrale die 2007 erfolgte Belohnungs-Sex-Reise für Topverkäufer satirisch verspotteten. Sie waren dem Facebook-Aufruf des ehemaligen Titanic-Chefredakteurs und Gründers „Der Partei“ Martin Sonneborn gefolgt. Während der Pressekonferenz gab es hingegen nichts zu lachen. Oletzky betonte, dass er eigentlich nicht mehr zu Details der Reise Stellung nehmen wolle. „Das relativiert den vollkommen inakzeptablen Vorgang nur.“

Wahren Inhalt der Reise verschleiert
Mittlerweile hätten Recherchen der Ergo ergeben, dass die Organisatoren, zwei ehemaligen Mitarbeiter der Ergo, bewusst gegen die Verhaltensregeln des Versicherers verstoßen hätten. So sei beispielsweise mit Fotoverbot und intransparenten Sammelrechnungen alles getan worden, um den wahren Inhalt der Reise zu verschleiern. Gegen die Organisatoren der Reise sei mittlerweile Anzeige wegen Untreue erstattet worden.


Gespräche mit ehemaligen Mitarbeitern laufen
Zur laufenden Anzeige gegen ehemalige HMI-Mitarbeiter wegen Erpressung, machte Oletzky keine weiteren Angaben. Derzeit würden Gespräche mit den Ehemaligen laufen. In einem Fall sei gerade ein Vergleich geschlossen worden, der „nahe an unserer Ausgangsvorstellung lag“, so Oletzky. Die gesamten Kosten der Sex-Reise nach Budapest in Höhe von 83.000 Euro sind nach Angaben der Ergo nun in den Topf für Beitragsrückgewähr geflossen und sollen somit allen Kunden wieder zu Gute kommen. Außerdem hat die Ergo – auf Anregung einer Kundin – die gleiche Summe an ein Frauenhaus gespendet. Ähnliche Skandalreisen schloss Oletzky – zumindest für seine Amtszeit - aus.

Wie hoch die Kosten für die Aufarbeitung der Skandalreise und unsauberen Policenverkäufen werden, hat das Unternehmen bisher noch nicht ausgerechnet. Zusätzliche Kosten entstehen, weil mit der PricewarterhouseCoopers AG (pwc) ein externe Wirtschaftsprüfungsgesellschaft die korrekte Aufarbeitung der Vorfälle untersucht. Die Unabhängigkeit des internen Prüfungsteams sei immer gegeben gewesen, so das Statement von Steffen Salvenmoser von pwc.

Neue Pannenserie beim bAV-Verkauf möglich
Doch statt eines medialer Befreiungsschlags, musste die Ergo neue mögliche Vertriebsprobleme zugeben. So sei man bei der Prüfung der Vorfälle zur Umdeckung von ruhenden Lebensversicherungen in Unfallversicherung mit Beitragsrückgewähr auf „zu viele Fälle von Beratungsverzicht“ gestoßen. Einen konkreten Prozentsatz nannte Oletzky nicht. Er bestätigte aber, dass schon ein Anteil von zehn Prozent inakzeptabel sei. Hier will das Unternehmen weitere Prüfung durchführen. Das gilt ebenfalls für Vertriebsprobleme rund um die betriebliche Altersversorgung. Hier gibt es zwei Szenarien, deren Umfang das Unternehmen bisher noch nicht einschätzen kann.

Viele Vermittler haben Einzelverträge abgeschlossen
So sind Unternehmen scheinbar der falschen Kollektivgruppe zugeordnet worden, und haben deshalb einen zu geringen Mengenrabatt erhalten. Hier sollen 160 Unternehmen betroffen sein. Gleichzeitig vermutet Oletzky, dass in größerem Ausmaß Vermittler Einzelverträge abgeschlossen hätten, obwohl die Kunden über ihre Firma in einen günstigen Rahmenvertrag hätte einsteigen können. Oletzky bestätigte, dass die Vermittler solche Einzelverträge wohl abgeschlossen hätten, weil sie so gegenüber dem eigentlich sinnvolleren Kollektivertrag eine höhere Provision erhalten haben.

Provisionsverkauf soll weitergehen
Trotzdem will die Ergo an ihrem Provisionssystem nicht rütteln. Laut Oletzky sei eine Arbeitsgruppe zur HMI eingerichtet, die keinerlei Denkverbote auferlegt bekommen habe. Trotzdem rechnet der Ergo-Chef nicht damit, dass diese Gruppe die Abschaffung des Strukturvertriebes oder generell der Abschlussprovision vorschlagen werden. Weitere Probleme könnten auf die Ergo zukommen, wenn sich Gerüchte bewahrheiten würden, nach denen Angestellte und Betriebsräte von Unternehmen, die eine bAV-Vertrag bei der Ergo geschlossen haben, dafür Provisionen erhalten haben. Noch sei der Ergo kein konkreter Fall bekannt.

Neue Regeln soll Druck auf Vermittler ausüben
Neben der Entschädigung aller Kunden, die durch unsaubere Vertriebspraktiken geschädigt wurden, will das Unternehmen künftig sein Beratungskonzept ändern. So soll den Kunden deutlicher als bisher die Vor- und Nachteile eines Produktes dargestellt werden. Hier will man über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen. Ein seit Anfang dieses Jahres tätiger Kundenanwalt soll als zusätzliche Beschwerdeinstanz fungieren. Außerdem sollen alle Vermittler bisher "noch ungeschriebene Regeln" für einen sauberen Verkauf unterschreiben. Damit will man mehr Druck auf die Vermittler ausüben. Gleichzeitig will die Ergo mit Testkäufen ihre eigenen Vermittler kontrollieren.

Die Skandalserie soll bisher noch keinen wesentlichen Einfluss auf das Neugeschäft haben. Die Stornoquote sei weiterhin rückläufig. Lediglich 500 Kunden hätten bisher aus Ärger über die Vorfälle gekündigt. Probleme hat die Ergo aber scheinbar bei der Rekrutierung von neuen Vertriebsmitarbeitern. Doch auch das seien lediglich Einzelfälle.

Autor(en): Uwe Schmidt-Kasparek

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