Ergo-Ärger geht weiter – Unsinnig umgedeckt

Ein neuer Vertriebsskandal erschüttert den durch Sex-Belohnungsreise und fehlerhaftem Riester-Formular kritisierten Ergo-Konzern. 2009 wurden zeitweise Lebensversicherungskunden der Victoria Versicherung angesprochen, die ihre Policen ruhend gestellt hatten.

Der Lebensversicherungsvertrag wurde gekündigt und der Rückkaufswert in eine Unfallversicherung mit Beitragsrückgewähr (UBR) gesteckt. Sie enthält zusätzlich eine Kapitallebensversicherung, aus deren Ertrag die Beiträge für den Unfallschutz bezahlt werden. Damit schlossen laut Financial Times bis zu 4.000 Kunden erneut eine Lebensversicherung ab, und verloren so die Schlussgewinne des ruhenden Vertrags. Verbraucherschützer kritisierten die UBR seit langem als Mogelpackung, weil der Unfallschutz teuer erkauft wird. Unfallschutz ist deutlich preiswerter erhältlich.

Problematischer Dokumentationsverzicht
Die Ergo-Versicherung bestreitet den Vorgang nicht. „Es ist aber fraglich, ob man hier von einem Schaden sprechen kann, wenn die Kunden diesen Risikoschutz wollten“, heißt es bei der Ergo. Zudem würden sich wenig Kunden schlecht beraten fühlen, wie die geringe Stornoquote zeige. Ein Nachweis dürfte den Kunden im Nachhinein schwer fallen. Grund: Scheinbar wurde immer mit dem nach § 61 VVG möglichen Dokumentationsverzicht gearbeitet. So sollen die Kunden die Formulierung „Beratung wurde gewünscht, auf eine Dokumentation wurde verzichtet“, unterschrieben haben. Doch der regelmäßige Einsatz des Beratungs- oder Dokumentationsverzicht ist nicht legal.

„Die Möglichkeit wurde eingeführt, damit kein Beratungszwang entsteht. Sollte aber nur die Ausnahme sein. Kann nachgewiesen werden, dass der Verzicht planmäßig eingesetzt wurde, dürften die Verträge kaum gerichtsfest sein“, schätzt Klaus-Jörg Diwo, Fachanwalt für Versicherungsrecht in Freiburg. Gleichzeitig sei eine Beratung, die augenscheinlich nur dem Interesse der Vermittler und des Versicherer gelten würde, auch ein Verstoß gegen Treu und Glauben und zudem auch ein aufsichtsrechtlicher Missstand.

Riester-Schaden trägt Unternehmen
Mit einem solchen Missstand kämpft Ergo, weil 2005 Riesterverträge mit einem zu günstigen Kostensatz feilgeboten wurden. Lange Zeit hatte die Vertriebstochter HMI auf Basis eines Formulars verkauft, in dem der Kostensatz viel zu niedrig ausgewiesen wurde. Der Ergo-Konzern will die Betroffenen nun entschädigen. „Die Entschädigung trägt die Gesellschaft, also die Aktionäre“, bestätigte Ergo auf Anfrage. Dabei gehe es um einen einstelligen Millionenbetrag, der deutlich unter neun Millionen Euro liege. Auch die Zahl der betroffenen Kunden, die mir rund 14.000 angegeben wurde, werde sich nicht erhöhen. Die Abschätzung sei mit einem hohen Sicherheitszuschlag getroffen worden. Alle bisher ermittelten Daten zum Riester-Komplex seien der Aufsichtsbehörde gemeldet worden.

Senkung von extremen Abschlussvergütungen
Der neue Skandal mit umgedeckten Lebensversicherungen reiht sich ein eine Kette von Fällen, die Riester-Renten und Private Krankenversicherungen betreffen. Der Trend zu regelrechten Provisionsexzessen bei Privaten Krankenversicherern hatte schon Anfang des Jahres die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) öffentlich gemacht und die Versicherer zu einer Senkung von extremen Abschlussvergütungen aufgefordert. Auch Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner hat sich mittlerweile für eine Provisionsdeckelung ausgesprochen. Die Unionsabgeordneten Karin Maag und Jens Spahn sollen bereits einen Gesetzesentwurf erarbeitet haben, nach dem Vermittler pro Abschluss höchstens noch neun Monatsbeiträge erhalten sollen.

Verbindliche Regelung durch PKV-Verband nicht möglich
Demgegenüber fordert Hartmuth Wrocklage, Vorstand des Bund der Versicherten (BdV), sogar eine Begrenzung auf sechs Monate. Zudem wollen Verbraucherschützer und Politiker, das Vermittler die Provisionen, die sie erhalten haben, bis zu fünf Jahre nach einem Abschluss zurückzahlen, falls der Kunde den Vertrag beendet. Direkt an Gesprächen über Provisionsbegrenzungen ist der Verband der Privaten Krankenversicherungen nicht beteiligt. „Eine verbindliche Regelung durch den PKV-Verband selbst ist nicht möglich, weil dies gegen das Kartellrecht verstoßen würde“, erklärt Sprecher Stefan Reker.

Provisionssystem unter Druck
Trotzdem gerät - auch durch die Vorgänge bei Ergo - vor allem die Abschlussprovision unter politischen Druck. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) sieht hingegen keinen Anlass, Abschlussprovision in Frage zu stellen. Bei „jeder guten Beratung“, so die Versicherungslobby aus Berlin, würde „das Kundeninteresse und nicht das Provisionsinteresse“ im Mittelpunkt stehen. Experten fordern hingegen, dass die Abschlussvergütung künftig direkt vom Kunden bezahlt wird und nicht in den Prämien verschwindet.
„Dafür müsste der Gesetzgeber die Versicherer aber zwingen, Tarife ohne Provisionen anzubieten“, so Professor Matthias Beenken von der Fachhochschule Dortmund. Damit würde der Wettbewerb um die günstigste Vermittlungsleistung eröffnet.

Autor(en): Uwe Schmidt-Kasparek

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