Erfolgsstory und Altlasten

Auf eine "Erfolgstory der letzten drei Jahre" verwies Dr. Werner Görg, Vorstandsvorsitzender der Gothaer Versicherungsbank a.G. und Konzern-Chef der Gothaer Gruppe bei seinem jüngsten Pressegespräch in Köln. Denn der Gothaer Konzern hatte das "Ergebnis der normalen Geschäftstätigkeit" von minus 204 Millionen Euro im Jahr 2002 auf positive 113 Millionen Euro per 31.12.2003 verbessert.

Die Erfolgsnachricht war nötig. Zu viele Altlasten, Projekte und Hiobsbotschaften, nicht nur aus den letzten Monaten, haben dem Gothaer-Image Schrammen verschafft. Dafür hatten nicht nur die Nachricht eines abrupten Auswechselns des Gothaer Finanzvorstandes im April und die plötzliche Schließung der Gothaer Rückversicherung vor wenigen Wochen gesorgt, auch die Vorgehensweise im Umbau der Konzern-Struktur hatte Fragen provoziert.

Görg trat jetzt allein und ohne Unterstützung weiterer Vorstands-Kollegen vor die Presse, die wie alljährlich – auf Einladung – zusammen mit den Geschäftsberichten der Gothaer Gesellschaften Erläuterungen zur Bilanz 2003 erfahren wollten. Görg blieb allerdings viele Antworten schuldig, wollte sie auf Zuruf nachliefern. Ungewöhnlich fanden die Chronisten den einsamen Auftritt des Konzern-Chefs, denn in der Branche üblich ist, dass die verantwortlichen Vorstandsmitglieder einzelner Ressorts gemeinsam dem Pressegespräch beiwohnen, um Zahlen und Zusammenhänge zu Detailfragen zu liefern.

Das gab es diesmal bei der Gothaer nicht, dafür aber acht Geschäftsberichte – Gesamtgewicht knapp zwei Kilo – und einen Konzern-Chef, der mit Vehemenz durch die Zahlen-Kolonnen des letzten Geschäftsjahres jagte, um sie der Öffentlichkeit vorzustellen. Etwas weniger Tempo und eine weniger offensive Schonhaltung hätten dabei durchaus Licht ins Dunkel einiger Hintergründe bringen können.

So zeigte sich der Vorstandsvorsitzende zwar ganz und gar nicht zufrieden mit der B+-Bewertung der Gothaer Kranken durch die Rating-Agentur Assekurata auf Basis des Abschlusses 2003 ("Unser Ziel ist ein A-Rating!"), doch bezog er das Ergebnis allein auf die "Noch ausreichend"-Bewertung beim Wachstum. Dass die Assekurata die Kundenorientierung der Gothaer Kranken lediglich mit "zufriedenstellend" bewertete, überging er indes. Dabei hatte Görg zuvor offengelegt, dass beim Neugeschäft sowohl die Vollversicherten als auch die Zusatzversicherten dem Unternehmen "in erheblichem Umfang" verloren gingen – von 2001 bis 2003 sank die Anzahl aller Krankenversicherten bei der Gothaer um immerhin mehr als 30.000. Erst auf Nachfrage begründete Görg diesen Einbruch lapidar als Folge "notwendiger Beitragsanpassungen, auch bedingt durch unsere Sanierungspolitik". Als hätten Beitragsanpassungen nur bei der Gothaer stattgefunden und als wäre gerade der Bereich Zusatzversicherungen nicht ein Wachstumsmotor bei den Privaten ...

Auch das Thema Stellenumbau und Abbau sowie Reduzierung der Niederlassungen sowie Zentralisierung nach Köln quittierte Görg nur mit wenigen Worten: "Lesen Sie dazu die jüngsten Interviews. Anderes hören Sie von mir dazu nicht mehr!"

Ebenfalls eher als Randnotiz wurde erwähnt, dass die Gothaer Leben keinen einzigen der drei von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) geforderten Stresstests bestanden hatte. Görg begründete den Tiefschlag mit dem Engagement in Private Equity, das von der Aufsicht wie Aktien behandelt wird. Künftig wolle man, versicherte Görg auf Nachfrage, im Konzern die Anlagepolitik noch risikoärmer fahren und langfristig ganz aus dem Private-Equity-Bereich aussteigen.

Nicht verhindert werden konnte weiterhin, dass auch Fragen zu den ehemaligen Großprojekten Kopperation mit der Bankgesellschaft Berlin (ehemals Berliner Bank), Parion, Eureko, Gothaer Kreditversicherung und Gothaer Rückversicherung aufkamen.

Besondere Aktivitäten für diese Unternehmen gehörten einst zu den großen Gothaer Visionen, deren Realisierung Dr. Wolfgang Peiner, der heutige Finanzsenator der freien Hansestadt Hamburg, seit Ende der achtziger Jahre forcierte.

Bankgesellschaft Berlin:
Hier war die Gothaer 1988 angetreten, um als erste deutsche Versicherungsgesellschaft offiziell mit einem deutschen Geldinstitut zu paktieren. An der Rechtsvorgängerin der Bankgesellschaft, der Berliner Bank, besaß die Gothaer zunächst 25 Prozent und eine Aktie. Im Zuge eines politischen Verwirrspiels mit dem Land Berlin und Immobilien- sowie anderen Finanz-Aktionen der Bankvorstände reduzierte sich das Gothaer Engagement rapide. Heute hält der Gothaer Konzern 1,87 Prozent an der Bankgesellschaft Berlin. An Versicherungsgeschäft vereinnahmt sie nach Görgs Aussagen jährlich 320 Millionen Euro LV-Beitragssumme, die über den Banktresen akquiriert werden.

Parion:
Nachdem die Gothaer Lebensversicherung a.G. und die Gothaer Versicherungsbank VVaG 1990 nach über hundertjähriger Zweigleisigkeit unter ein Gruppendach mit Finanzholding geführt wurden, war die Vision von Parion als Holding und Aktiengesellschaft geboren. Die größere finanzielle Freiheit und Kapitalbeschaffungsmöglichkeit einer AG sollte den beiden ältesten deutschen Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit bessere Perspektiven bieten. Das neue Parion-Logo, neue Imagekampagnen und andere Äußerlichkeiten verschlangen Geldsummen, die heute nicht genannt werden. Irritationen rief auch die Wortschöpfung hervor, weil sie in Assekuranz-Kreisen in keine Schublade passte. Parion gibt es seit dem Beginn des Konzern-Umbaus

Eureko:
Mitte der Neunziger Jahre sprach man dann in der Branche von "Eureko", einer Gruppe europäischer Finanzdienstleister, der als deutsches Mitglied der Parion Konzern angehörte (Anteil zwei Prozent). Über Kosten des weiterhin bestehenden Engagements sagte Görg nichts. Es handele sich aber um eine interessante Sache, weil hier ein internationaler Produkt-Abgleich und Austausch erfolge, der grenzüberschreitend auch Gothaer Kunden nutze.

Gothaer Credit Versicherung:
Im Internet bei der Angabe zu Konzern-Unternehmen der Gothaer Gruppe noch zu finden ist die Kreditversicherung, die bereits 2001 ihre Marktpräsenz aufgegeben hatte. Wolfgang Peiner hatte 1993 mit dem damals weltweit größten Kreditversicherer Crédit Namur einen Deal besiegelt, aus dem die "Gothaer Namur Creditversicherung" hervorging. Doch nur für nicht ganz zwei Jahre. Denn dann holte der Gerling Konzern die Crédit-Namur-Aktivitäten in sein Unternehmensgeflecht. Die Gothaer machte allein mit der in "Gothaer Credit Versicherungs-AG" umbenannten Gesellschaft weiter. Offensichtlich mit wenig Erfolg. Seit nunmehr drei Jahren wird hier kein Neugeschäft mehr getätigt. Die Anzahl noch bestehender Verträge, die abgewickelt werden, wurde nicht benannt.

Gothaer Rückversicherung:
Vom 30. Juni 2004 stammt die Meldung, dass die Gothaer Rückversicherung ab sofort kein Neugeschäft mehr zeichne. Im Jahre 1998 wurde die Neuausrichtung der Gothaer Rückversicherung AG zu einem auch international tätigen Rückversicherer besiegelt. Während früher (Gründung 1923) der überwiegende Teil des Geschäftes aus konzerninterner Rückversicherung bestand, operierte die Gesellschaft ab sofort in verschiedenen in- und ausländischen Geschäftsfeldern. Als besonderer Tätigkeitsschwerpunkt wurde die Beratung und Unterstützung von Versicherungsvereinen genannt. Nun wurde auch die Gothaer Rück geschlossen. Hintergrund sei, so Konzern-Chef Görg, "die konsequente Ausrichtung der Gothaer auf die zukünftige Solvabilitätsanforderung nach Solvency II. – Überbleibsel der Gothaer Rück: 1.200 Verträge – 85 Prozent konzernfremdes Geschäft – mit einem Prämienvolumen von 360 Millionen Euro. Die Verträge sollen sukzessive abgewickelt werden.

Jetzt will sich die Gothaer mit einem speziellen Zukunfts-Programm fit machen. Im Detail bedeutet dies nach Görgs Aussagen eine Optimierung der Versicherungstechnik, die in Phase 1 bereits gelungen sei, sowie die Positionierung der Marke Gothaer mit einer groß angelegten Werbekampagne (Görg: "Die Kosten werde ich hier nicht nennen."). Ein straffes Kostensenkungsprogramm wurde auf den Weg gebracht, um den finanziellen Rahmen für weitere Maßnahmen zu schaffen. Nun startet die Phase 2 des Zukunftsprogramms durch, in der man sich unter anderem auf die Kernkompetenz, die Erstversicherungen, konzentrieren und Voraussetzungen für Solvency II schaffen will.

Autor(en): Marianne Storck und Gabi Böttcher

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