Einen beachtlichen Anteil der Ausbildungs- und der dualen Studienplätze können die Versicherungsunternehmen nicht mehr besetzen. Was die Ursachen sind, und wie das neue Normal aussieht.
Das Berufsbildungswerk der Deutschen Versicherungswirtschaft (BWV) und der Arbeitgeberverband der Versicherungsunternehmen (agv) haben eine neue Ausbildungsumfrage veröffentlicht. Enthalten sind Antworten von 62 Versicherungsunternehmen und Konzernen, die für 92 Prozent der Beschäftigten der Branche stehen.
Jeder fünfte duale Studienplatz unbesetzt
Die Zahlen bestätigen einen Trend, der auch vor Ort beobachtbar ist: Zwölf Prozent der Ausbildungsplätze und sogar 20 Prozent der dualen Studienplätze können derzeit nicht besetzt werden. Fast alle Befragten (97 Prozent) geben als Grund eine unzureichende Eignung der Bewerber an und damit ein qualitatives Problem. Hinzu kommt bei 78 Prozent eine „regional schlechte Bewerber-Situation“, das dürfte auf ein quantitatives Problem hindeuten.
„Die verlorene Jugend“, titelte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) am 1. Mai. „In der Corona-Pandemie sind Tausende junge Leute von der Bildfläche verschwunden. Wo stecken sie nur?“, fragte die Zeitung auf der Titelseite.
Rund 200.000 junge Menschen, so schätzte das europäische Statistikamt laut FAS, seien nicht dort angekommen, wo sie nach der Schule üblicherweise ankommen: In der Ausbildung oder im Studium. Über die Ursachen könne man nur spekulieren. Aber die Pandemie dürfte eine bedeutende Rolle dabei spielen.
Mehr als jeder Fünfte ist Agentur-Azubi
Zugenommen hat der Anteil derjenigen Auszubildenden, die ihre Ausbildung „in Vertriebseinheiten“ absolvieren, aber von Versicherungsunternehmen finanziert werden. Gemeint sind Ausschließlichkeitsvertreter, die für die Ausbildung Zuschüsse erhalten. Für 2021 wird ein Anteil von 22 Prozent Agentur-Auszubildenden angegeben, gegenüber 15 Prozent im Jahr 2017. Leicht zugenommen hat der Anteil dualer Studierender, von 16 auf 17 Prozent im selben Zeitraum. Damit ist der Anteil klassischer „Hauptverwaltungs-Auszubildender“ von 69 auf 61 Prozent zurückgegangen.
Auch insgesamt schrumpft die Zahl der Auszubildenden, so zeigen es Statistiken des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) bis einschließlich 2020. Waren Anfang der 2000er Jahre noch bis zu über 16.000 Auszubildende beschäftigt, die meist, aber nicht nur die Ausbildung zu Kaufleuten für Versicherungen und Finanzen machten, wurden für 2020 nur noch 10.300 verzeichnet. Damit erscheint es schwer vorstellbar, das Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge in den Unternehmen ausgleichen zu können.
Wählerische Versicherer in Sachen Übernahme
Trotz der schwierigen Lage auf dem Ausbildungsmarkt wird bei weitem nicht jeder erfolgreich Ausgebildete unbefristet übernommen. 38 Prozent erhalten einen befristeten Vertrag, davon 31 Prozent Anteil des Abschlussjahrgangs als befristete Innendienst- und sieben Prozent als befristete Außendienstmitarbeiter. Unbefristet sind dagegen 38 Prozent eines Jahrgangs im Innen- und 21 Prozent im Außendienst übernommen worden. Relativ ist der Außendienst als Beschäftigungsperspektive attraktiver, dennoch verwundert der hohe Anteil an Befristungen und damit an relativ unsicheren Aussichten angesichts der Arbeitsmarktsituation.
Ausbildung im Homeoffice klappt – nicht immer optimal
Die Corona-Pandemie hat auch die Berufsausbildung durcheinandergewirbelt. Zentrale Elemente der Ausbildung im Betrieb sind das Lerngespräch und die angeleitete Bearbeitung von Vorgängen mit der schnellen Möglichkeit zur Rückfrage und auch zur Kontrolle durch Ausbilder. Das ist im Homeoffice zumindest nur erschwert darstellbar.
Dennoch sagen acht von zehn Unternehmen, dass sie planen, Auszubildenden Mobilarbeit anzubieten, wie der arbeitsrechtlich korrektere Begriff lautet. Für die meisten Auszubildenden gilt das ab Beginn der Ausbildung oder spätestens zum Ende der Probezeit.
Die Ausbilder haben sich darauf eingestellt und sind nach Ansicht aller Befragten auch mobil gut für ihre Auszubildenden erreichbar. Etwas zurückhaltender ist die Einschätzung allerdings, ob Mobilarbeit Selbstorganisation, Eigenverantwortung und Motivation der Auszubildenden stärkt. Gut jedes vierte Unternehmen beklagt zudem, dass der persönliche Kontakt bei Mobilarbeit fehle und durch virtuelle Medien nicht umfänglich ersetzt werden könne. Ganz so rosig scheint das „New Normal“ dann doch nicht zu sein.
Autor(en): Matthias Beenken