Der neue Bundestag ist gewählt, auf die neue Bundesregierung warten eine Menge Aufgaben. Je nach Koalition kann es für bestimmte Projekte Mehrheiten geben, die die Versicherungsbranche allgemein und die Vermittler im Besonderen massiv betreffen werden. Wahrscheinlich sind im Moment die Ampel- oder die Jamaica-Koalition.
Bei einer Ampel mit SPD und Grünen käme es auf die FDP an, inwieweit sie bereit ist, in den drei wichtigen Fragen ihre Positionen durchzusetzen. Aber ewig lange Sondierungsgespräche helfen dem Land nicht weiter, denn in vielen Bereichen wie der Bekämpfung des Klimawandels und der gesetzlichen Rentenversicherung muss bald gehandelt werden.
Irrweg 1: Die Bürgerversicherung
Die Corona-Krise hat gezeigt, dass das deutsche Gesundheitssystem sich bewährt hat. Eine Bürgerversicherung führt weder einen schnelleren Zugang zu medizinischen Leistungen noch zu einer besseren Versorgung. Dies lehren auch die Erfahrungen anderer Länder, die eine Einheitsversicherung eingeführt haben. Diese sind im Übrigen weit schlechter durch die Corona-Krise gekommen. Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach brachte es in einer Podiumsdiskussion der Conti auf den Punkt: „Wenn die Deutschen im Ausland krank werden, wollen sie so schnell wie möglich wieder nach Hause.“ Und zum Thema Zwei-Klassen-Medizin: Es soll doch keiner glauben, dass Wohlhabende keine Mittel und Wege finden, sich eine bessere medizinische Versorgung zu sichern, notfalls mit direkten finanziellen Transfers.
Wenn die Privatversicherten in die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) einbezogen würden, würden die für die private Krankenversicherung (PKV) typischen höheren Honorare wegfallen. Für Ärzte und Krankenhäuser, Physiotherapeuten und Hebammen würden dann pro Jahr schlagartig 12,7 Milliarden Euro Mehrumsatz fehlen – jede einzelne Arztpraxis hätte im Schnitt über 50.000 Euro pro Jahr weniger, rechnet der PKV-Verband vor. Insolvenzen von Arztpraxen wären die logische Folge. Die medizinische Versorgung würde also schlechter.
Klar ist, dass die Befürworter einer solchen Einheitsversicherung es auf die Alterungsrückstellen der PKV-Versicherten abgesehen haben. Ein Transfer in die GKV wäre ein staatlicher Eingriff in gesichertes Eigentum, der vor dem Bundesverfassungsgericht sicher keinen Bestand hätte. Der mit der Einführung einer solchen Einheitsversicherung verbundene Verlust von vielen Arbeitsplätzen in der Versicherungsbranche würden die Gesellschaft dazu stark belasten.
Irrweg 2: Der Staatsfonds
Es spricht wohl vieles für die Umsetzung dieser Idee durch die Politik, egal welche Koalition regieren wird. Richtiger wird sie damit dennoch nicht. Die Grundidee eines Staatsfonds, Deutschland-Rente (Vorschlag CDU-Grüne Hessen), Extrarente (Verbraucherzentrale Bundesverband) oder gesetzliche Aktienrente (FDP), besteht darin, dass jeder Arbeitnehmer, der nicht explizit widerspricht (Opt-in), einen Teil seines Lohns darin einzahlen würde. Das ist auch schon der erste Nachteil, dass nur Arbeitnehmer von dieser Möglichkeit profitieren sollen.
Viel schwerwiegender ist, dass beispielsweise allein 2002 der von vielen als Vorbild gesehene schwedische Staatsfonds 27 Prozent Verluste eingefahren hat, davor verlor er sieben Prozent im Jahr 2000 und elf Prozent 2001. Wenn Arbeitnehmer in kürzester Zeit ihre zu einer für die Altersvorsorge gedachten Einzahlungen am Kapitalmarkt verlieren, dürfte das zum Problem werden.
Das Problem ist: Waren aktienbasierte Lösungen für Verbraucherschützer viele Jahre lang Teufelszeug, gewinnt die Diskussion um genau diese Lösungen nach zehn guten Börsenjahren an Fahrt. Es ist fast schon tragisch, dass das Interesse an mehr Kapitaldeckung in der Vorsorge immer erst dann nach guten Jahren steigt – ähnlich wie vor Einführung der Riester-Rente 2001. Was folgte, war ein Crash. Aber die Riester-Rente hatte eine Beitragsgarantie eingebaut.
Bewusst sollen dieses Mal bei dem Staatsfonds keine Garantien eingezogen werden, um Versicherungslösungen außen vor zu lassen. Darüber hinaus birgt die Staatsnähe des zugehörigen Deutschlandfonds die Gefahr der politischen Einflussnahme auf die Kapitalanlage oder noch schlimmer zur Umwidmung für andere Aufgaben. Hier sind Politiker meist sehr kreativ. Und: Die Probleme der gesetzlichen Rentenversicherung können nicht gelöst werden, denn es würde laut dem Deutschen Institut für Altersvorsorge mindestens 20 Jahre brauchen, bis erste Leistungen als ergänzende Altersversorgung an die Rentner ausgezahlt werden können. Zu spät, um die Finanzierunglücken der nächsten Jahre zu schließen.
Irrweg 3: Das Provisionsverbot
Die provisionsbasierte Beratung muss erhalten bleiben. Dies gilt auch, wenn ein kleiner Teil der Branche selbst verschuldet wegen diverser Exzesse in die Kritik geraten ist. Es ist richtig, wenn diesen Machenschaften das Handwerk gelegt wird. Dazu ist aber kein allgemeines Provisionsverbot notwendig. Spätestens seit Einführung des Provisionsdeckels in der PKV und des Lebensversicherungsreformgesetzes bleiben solche Auswüchse ausgeschlossen.
Die provisionsbasierte Beratung ist zudem sozial gerechter als eine Honorarberatung, denn bei dieser zahlt ein Millionär relativ viel weniger als ein Normalverdiener. Schon heute können die Verbraucher im Übrigen eine honorarbasierte Beratung wählen. Das Beispiel Skandinavien und Großbritannien zeigt, dass ein Provisionsverbot zu weniger Beratung gerade bei den einkommensschwachen Schichten führt. Altersarmut wäre für diese Menschen die logische Konsequenz.
Autor(en): Bernhard Rudolf war von 1999 bis 2021 Chefredakteur von Versicherungsmagazin.