Die Corona-Krise hat Finanzinstitute zu einem Tempowechsel bei der Digitalisierung gezwungen. Welche Technologien aber sind zu priorisieren? Gastautor Chirag Shah gibt einen Überblick über die wichtigsten Trends.
Covid-19 hat den Druck auf Banken und Finanzinstitute massiv erhöht, ihre digitale Transformation zu beschleunigen. Schon vor der Krise wuchs der Wettbewerb mit Fintechs und Bigtechs. In Zeiten von Home Office, Remote Work und Kontaktbeschränkungen sind Technologien mehr denn je für den Erfolg von Unternehmen entscheidend. Banken und Finanzinstitute müssen jetzt ihre Fähigkeit unter Beweis stellen, neue kundenfreundliche Innovationen und digitale, datenbasierte Services zu entwickeln. Folgende Technologietrends sind dabei zu berücksichtigen:
Problematisch: Häufig werden Privatgeräte genutzt
Seit dem Ausbruch der Pandemie haben Cyber-Attacken massiv zugenommen. Privat wie beruflich gewinnen Online-Plattformen immer mehr an Bedeutung im Alltag der Menschen. Problematisch ist, dass häufig Privatgeräte genutzt werden, wobei sich die Transaktionsmuster rasch ändern und Zugangsberechtigungen nur begrenzt kontrolliert werden können. Sicherheitskontrollen werden dadurch erschwert.
Da verteiltes Arbeiten auch die nahe Zukunft prägen wird, ist es für Organisationen unabdingbar, sich auf Sicherheitsmaßnahmen hinsichtlich der technologischen Infrastruktur, Produkte und Personen zu konzentrieren. Folgende Empfehlungen sollten Entscheider beachten, um sich vor Cyber-Angriffen zu schützen:
- Grundsätzlich gilt es, robuste und widerstandsfähige Produkte zu entwickeln.
- Über Anwendungs-, Daten- und Netzwerk-Stacks müssen die Zugriffsrechte stärker kontrolliert werden.
- Hardware und Software sollte immer mit den neuesten Sicherheitsupdates gepatcht werden.
- Durch den Aufbau nativer Cloud-Produkte, die über strengere Sicherheitskontrollen verfügen, kann Cyber-Attacken vorgebeugt werden.
Sich dafür rüsten, digitale Produkte und Dienstleistungen skalierbar zu machen
Seit Beginn der Krise ist es für Banken und Finanzinstitute dringlicher denn je, ihr Innovationstempo zur Modernisierung und Rationalisierung technologischer Anwendungen zu beschleunigen. Sie müssen sich dafür rüsten, digitale Produkte und Dienstleistungen skalierbar zu machen, und ihre Legacy Systeme und Technologien auf moderne Plattformen migrieren.
Es gilt, kritische Plattformen für Finanzdienstleistungen wie den Brokerage-Handel, das kommerzielle Kreditgeschäft, Customer Analytics und Call Center durch neueste Technologien, die virtuell, skalierbar und föderiert sind, zu modernisieren. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, ist der Einsatz neuer Tools und Prozesse zwingend erforderlich. Resilienz bedeutet zu gewährleisten, dass moderne verteilte Applikationen sicher funktionieren, ähnlich zuverlässig wie Mainframes und skalierbar wie die Cloud.
Banken und Finanzinstitute sind mehr denn je gefordert, ihre Digitalisierung voranzutreiben, um dem sich wandelnden Kundenverhalten zu begegnen. Low-Code/No-Code-Plattformen werden dabei immer relevanter, denn sie ermöglichen die schnelle Entwicklung von Anwendungen mit minimalem manuellen Programmierungsaufwand. Sie bieten Mehrwert auf agile und zuverlässige Weise.
Laut dem Marktforschungsinstitut Gartner werden bis zum Jahr 2024 drei Viertel der Großunternehmen mindestens vier Low-Code-Entwicklungstools einsetzen, sowohl für die Entwicklung von IT-Applikationen als auch für Citizen Developer-Initiativen. Low-Code-Application Development soll in vier Jahren bereits mehr als 65 Prozent aller Anwendungsentwicklungsaktivitäten ausmachen.
Demokratisierung der Daten wird Schlüsselinitiative
Für Banken und Finanzinstitute wird die Demokratisierung der Daten eine Schlüsselinitiative sein, insbesondere bei der Umgestaltung von Produkten, um sie den Kunden digital verfügbar zu machen. Die Aktivitäten auf den digitalen Kanälen schaffen massive Datensätze, die es zu sammeln, analysieren und zum Mehrwert der Organisation und Kunden zu nutzen gilt. Folgende Strategien können Finanzdienstleistungsunternehmen dabei helfen, datenorientierter zu agieren:
- Die enorme Menge an strukturierten und unstrukturierten Daten, die durch Kunden auf diversen Kanälen generiert werden, müssen für eine 360-Grad-Sicht auf den Kunden nutzbar gemacht werden.
- Es gilt, neue Datenschutzregulierungen, Data Governance-Maßnahmen und Datenpraktiken umzusetzen.
- Visual Analytics und Data Storytelling können bei der datenbasierten Entscheidungsfindung helfen.
Mit künstlicher Intelligenz Kreditverlusten vorbeugen
Künstliche Intelligenz kann Banken dabei helfen, Kreditverlusten vorzubeugen. Durch die kaum abwägbarenFolgen von Covid-19 ist es schwierig, die Kreditwürdigkeit von Personen festzustellen. Bonitätsauskünfte geben beispielweise nicht genau wieder, ob Kreditnehmer Zahlungen an Kreditgeber über Monate hinweg aufgeschoben haben. Durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz können Banken einen besseren Service bieten und potenziell säumige Kunden identifizieren. Je nach Kundenprofil gilt es angemessen zu reagieren:
- Neukundenakquise: Marketingmaßnahmen, die sich an Kunden mit erhöhtem Risiko richten, müssen aktiv vermieden werden. Vorab als kreditwürdig eingestufte Kunden haben durch die Krise möglicherweise ihre Kaufkraft verloren, was sich nicht direkt in den Kreditberichten widerspiegelt.
- Prädelinquente Kunden: Es gilt ein Frühwarnsystem zu etablieren, um Kunden mit Problemen zu identifizieren und rasch reagieren zu können.
- Postdelinquente Kunden: Es müssen Härtefall-Programme angeboten werden, die das Risiko für Kunden, die ihren Arbeitsplatz verloren haben oder in Kurzarbeit sind, reduzieren.
Zielstrebig in Technologien investieren
In Zeiten von Remote Work und Home Office stehen gerade Front-Office-Mitarbeiter von Finanzinstituten vor Herausforderungen bezüglich des gewohnten Informationszugangs und -flusses. Die Nutzung KI-gestützter Chatbots nimmt rapide zu, da diese mittels Natural Language Processing in der Lage sind, verschiedene zugrunde liegende Systeme zu verbinden, um zur zentralen Informationsstelle für die Anlageexperten zu werden, beispielsweise unter Einsatz von Kollaborationstools wie Symphony.
So ist es möglich, Daten per Knopfdruck mit anderen Investment-Spezialisten zu teilen oder auf Daten aus verschiedenen Systemen zuzugreifen. Auch Call Center setzen verstärkt auf KI-Unterstützung und Chatbots, um eingehende Anrufe daraufhin zu prüfen, ob ein virtueller Assistent in der Lage ist, die Kundenanfragen direkt zu beantworten.
Banken und Finanzinstitute dürfen sich nicht länger mit ihren veralteten Legacy-Systemen und -Anwendungen zufrieden geben. Es ist die falsche Strategie, abzuwarten, bis sich herausstellt, welcher Technologietrend am effektivsten ist. Die Krise hat mehr als deutlich gemacht, dass es für Entscheider jetzt an der Zeit ist, zu handeln. Finanzinstitute müssen sich aktiv an die Veränderungen anpassen und zielstrebig in neue Technologien investieren, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein. Der Wettbewerb schläft nicht.
Der Artikel ist ursprünglich auf Springer Professional erschienen.
Autor(en): Chirag Shah, Beratungshaus Publicis Sapient, Segment Fintech-Practice