Deutschland hat ein großes Problem mit Wirtschaftskriminalität. Auch weil viele Unternehmen diese Gefahr ausblenden oder zu lasch mit der Problematik umgehen. Der Gesamtverband der Versicherer (GDV) macht auf dieses Problem aufmerksam und plädiert gleichzeitig für den Abschluss einer Vertrauensschadenversicherung. Die Vertrauensschadenversicherung entschädigt Unternehmen, wenn interne oder externe Vertrauenspersonen Gelder veruntreuen oder das Unternehmen betrügen.
Wirtschaftskriminalität in Deutschland ist ein eklatantes und teures Problem, das Problem ist in der Öffentlichkeit aber viel zu selten präsent. Viele Unternehmen sind sich dieser Gefahr auch nicht bewusst oder blenden diese aus und agieren so fahrlässig. Auch der GDV hat laut eigener Aussage hier immer wieder Aufklärungs- und Pressearbeit betrieben, wohl mit wenig Erfolg. Die stellvertretende GDV-Hauptgeschäftsführerin Anja Käfer-Rohrbach erachtet diesen Umstand als äußerst problematisch. Und wenn Unternehmen dann von internen oder externen Betrügern geschädigt werden, machen sie diese Fälle selten öffentlich, auch weil sie um ihren Ruf fürchten.
Kriminelle Angestellte verursachen höhere Schäden als externe Täter
Der Gesamtverband hat für seine Untersuchung rund 4.400 Schadensfälle seiner Mitglieder und deren Zahlen aus der Vertrauensschadenversicherung ausgewertet. Dabei hat der GDV die Jahre 2018 und 2022/2023 in Relation gesetzt. Das Resultat der Analyse: Kriminelle Angestellte verursachen höhere Schäden als externe Täter. „Im Schnitt bringen kriminelle Mitarbeiter ihre Arbeitgeber um rund 125.000 Euro, bevor sie auffliegen“, sagt Anja Käfer-Rohrbach. Externe Kriminelle kämen im Schnitt auf 80.000 Euro. Diese Zahlen gelten für die Jahre 2022/2023. Im Jahr 2018 sah die Situation leicht anders aus. In diesem Zeitraum veruntreuten interne Täter durchschnittlich 115.000 Euro und externe Täter durchschnittlich 63.000 Euro.
„Die eigenen Mitarbeiter genießen einen Vertrauensvorschuss und kennen die Sicherheitslücken im Unternehmen genau. Deswegen bleiben sie in der Regel länger unentdeckt und können höhere Summen erbeuten“, kommentiert Käfer-Rohrbach die unschöne Situation.
Weitere Details: 2018 hatten gut 37 Prozent externe Täter Schadenfälle produziert und 63 Prozent interne Täter ihr eigenes Haus durch kriminelle Aktivitäten geschädigt. Im Zeitfenster 2022/2023 hat sich die Lage dahingegen verändert, dass die Zahl der internen und externen Täter gleichauf ist, also 50 Prozent zu 50 Prozent. Auch die Schadenhöhe hat sich in den vom Verband untersuchten Jahren verschoben. Waren 2018 externe Täter für „nur“ 25 Prozent der Schäden und interne Täter für die eklatante Höhe von 75 Prozent der Schäden verantwortlich, evozieren in den Jahren 2022/2023 die internen Täter circa 61 Prozent der Schäden und 39 Prozent der Schadenhöhe ging auf das Konto von externen Tätern.
Beschäftigte erkennen Betrug nicht und überweisen hohe Summen auf fremde Konten
Die von außen aktiven Täter gehen auch immer raffinierter vor. „Externe Täter nutzen sehr geschickt die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz, um falsche Identitäten vorzutäuschen“, schildert Rüdiger Kirsch, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Vertrauensschadenversicherung im GDV, das Problem. Bei der „Fake-President-Masche“, bei der sich Kriminelle als Führungskräfte von Unternehmen ausgeben, kommen nach Beobachtung der Versicherer zunehmend gefälschte Ton- und sogar Videoaufnahmen zum Einsatz. „Manche gehen so weit, dass sie damit in einer Videokonferenz als Vorstand oder Geschäftsführer auftreten“, so Kirsch. Immer wieder komme es vor, dass Beschäftigte den Betrug nicht erkennen und auf Weisung der angeblichen Führungskraft hohe Summen - manchmal sogar mehrere Millionen Euro - auf fremde Konten überweisen.
Kirsch präsentierte unter anderem ein besonders „teures Beispiel“: Ein Bank-Manager wird scheinbar von einem ihm bekannten CEO angerufen und um Überweisungen in Höhe von 35 Millionen Dollar gebeten, um eine angebliche Übernahme zu finanzieren. Die täuschend echt nachgemachte Stimme des CEO kündigt an, dass genauere Informationen per Mail folgen – die auch nur Minuten später von der Absenderadresse des CEO kommt. Der Bank-Manager nimmt daraufhin die Überweisungen vor. Schaden für das Unternehmen am Ende: Stolze 35 Millionen Euro!
Wirksame Kontrollsysteme aufbauen und sensible Bereiche mehrfach sichern
Die befragten Vertrauensschadenversicherer haben wohl erkannt, so ein weiteres Resultat der GDV-Recherche, dass ein gutes Betriebsklima und eine offene Kommunikation im Unternehmen das Risiko, Opfer von Kriminellen zu werden, verringern kann. Trotzdem sollten die Unternehmen aber effektive Kontrollsysteme aufbauen und sensible Bereiche mehrfach sichern. Das heißt im Detail:
- bei Zahlungen konsequent das Vier-Augen-Prinzip beachten,
- einen verbindlichen Verhaltenskodex verabschieden,
- die Mitarbeitenden regelmäßig schulen,
- ein Hinweisgeber-System aufbauen und
- einen Compliance-Beauftragten benennen.
Autoritäre Strukturen befördern interne Täter
Anja Käfer-Rohrbach plädiert vor diesem Hintergrund auch dafür, dass Unternehmenslenker ihren Mitarbeitenden nicht immer blind vertrauen sollten, sondern in ihren Häusern „eine gesunde Fehlerkultur entwickeln, ein Hinweisgebersystem implementieren und eine vertrauensvolle Überwachung einrichten sollten“. Besonders von interner Wirtschaftskriminalität gefährdete Unternehmen seien oftmals auch diejenigen, die autoritär geführt würden.
Erstaunt zeigte sich die stellvertretende GDV-Hauptgeschäftsführerin, dass viele Unternehmen noch kein Hinweisgebersystem etabliert hätten, obwohl dieses System seit Juli 2023 und für Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitenden gesetzlich vorgeschrieben ist. Auch hierzu hat der GDV aufschlussreiche Zahlen erhoben. Hatten in den Jahren 2022 und 2023 circa 74 Prozent der Unternehmen mit 50 bis 249 Mitarbeitenden noch kein Hinweisgebersystem eingerichtet, sind dies im laufenden Jahr nur noch 24 Prozent. Ein positiver Trend, aber in Anbetracht der gesetzlichen Verpflichtung immer noch ein zu hoher Prozentsatz, so die Einordnung des GDV.
Wenn besonders exponierte Stellen besetzt werden müssten, sollten Unternehmen auch ein polizeiliches Führungszeugnis verlangen. „Prävention kann nicht jeden Fall verhindern. Aber sie erschwert kriminelle Machenschaften und führt zu einer schnelleren Aufdeckung“, ist Kirsch überzeugt. Wird eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter bei einer Straftat entdeckt, sollte dieses Fehlverhalten zudem konsequent geahndet werden.
Autor(en): Meris Neininger