Nachhaltig und digital. Zwei Schlagworte, die immer stärker unsere Gesellschaft prägen. Auch die Versicherungswirtschaft und nicht nur durch Corona. Die DKM liefert Beispiele.
„Nachhaltig und digital: Schafft die Versicherungswirtschaft den Turn-Around?“ So lautete die Überschrift über der diesjährigen "Elefantenrunde" auf der DKM 2021 in Dortmund. Der einhellige Tenor der Diskutanten lautete: Ja mit leichten Abstrichen.
Die Digitalisierung wird sich sicher auch auf die Vertriebskanäle der Versicherer auswirken, sie werden sich „durch diese verändern, aber nicht gefährdet“, so die Position von Theodoros Kokkalas, Vorstandsvorsitzender von Ergo Deutschland. Denn der Vertriebsexperte ist fest davon überzeugt, dass das Bedürfnis nach Beratung bleiben wird, denn der Vertrieb sei zwar nicht sexy, aber auf jeden Fall emotional und genau darum „brauche es einen starken Vertrieb“.
Eine neue Definition der Kundenorientierung finden
Nach Ansicht von Kokkalas hat Amazon die Kunden „sehr verwöhnt“. Diese Entwicklung dürften die Versicherer nicht unterschätzen, aber das Fachwissen der Versicherungsexperten sei einfach nicht zu ersetzen. „Wir müssen aber sicher an einer neuen Definition der Kundenorientierung arbeiten“, konkretisierte der Ergo-Mann seine Einschätzung.
Auch Uwe H. Reuter, Vorstandsvorsitzender der VHV Holding, argumentierte in der Diskussionsrunde in der Speaker’s Corner ähnlich: „Durch die Digitalisierung müssen wir uns nicht Bange machen lassen.“ Sicherlich habe Amazon und sein Geschäftsgebaren das Kundenverhalten verändert. Die äußerst schnellen Lieferungen und die hohe Kundenorientierung des Versandhändlers hätten die Deutschen – vor allem in der Corona-Pandemie – beeinflusst und die Erwartung bei diesen geweckt, dass auch andere Branchen und Dienstleister so schnell agieren wie das weltweit aktive Unternehmen. Die Anspruchshaltung der Menschen, dass schnell geliefert oder einfach schnell gehandelt würde, hätte sich auch auf die Versicherungsbranche übertragen. Das bedeutet für Reuter in der Konsequenz, dass „wir als Versicherer nicht nur mitmachen können, sondern für den Kunden das Beste machen müssen“.
Ein klares Bekenntnis zur Maklerschaft
Die Maklerschaft hätte hier bereits viel Flexibilität bewiesen, hätte schnell umgelernt und dadurch sogar noch Marktanteile gewonnen. Jedenfalls für komplexe Produkte und Produktgruppen sei dies der Fall. Reuter gab vor dem DKM-Publikum dabei noch ein klares Statement ab: „Wir setzen auch in Zukunft auf unsere Makler!“
Dass die deutsche Versicherungswirtschaft Amazon als potenzieller Konkurrent ernst nehmen müsse, sei klar, aber dessen Agieren nicht lebensbedrohlich. Vor allem die Tatsache, dass Amazon zum Beispiel in England mit einem Versicherer und Broker kooperiere, um das Versicherungsgeschäft für sich zu erobern, beweise, dass der Weltkonzern nicht allein agieren könne und auf Fachexperte zurückgreife. Außerdem wäre Amazon bislang nicht wirklich fähig, ein Schadenmanagement zu betreiben.
Und Norbert Rollinger, Vorstandsvorsitzender der R+V Versicherung, führte gleich ein praktisches Beispiel an, das zeigen sollte, dass klassische Versicherer wie sein Haus gegenüber Vergleichspattformen punkten können und so gute Geschäfte tätigen. O-Ton Rollinger: „70 Prozent unserer Kunden aus den flutgeschädigten Gebieten haben eine Elementarschadenversicherung und haben so schnelle Hilfe erhalten“. Hier zeige sich eindeutig, dass gute Berater weiter wichtig seien. Dieser vertriebliche Moment der Schadenanalyse und Entschädigung gebe den altgedienten Versicherern die Chance, sich gegenüber den neuen Wettbewerbern zu unterscheiden und so auch zu punkten.
Gerne nachhaltig, aber nicht um jeden Preis
Und was halten die großen Versicherungsplayer vom Thema Nachhaltigkeit und seinen künftigen Auswirkungen? Nochmals Rollinger: „Nachhaltigkeit gibt uns Versicherern die Chance, uns zu profilieren.“ Wichtig sei in diesem Zusammenhang aber auch, dass noch genauere Transparenzvorschriften kommen müssten, besonders um die Versicherungsakteure vor einer möglichen Haftung zu schützen.
Vor allem müsse ein Schutz vor dem Zugriff der Politik bestehen. Rollinger nannte auch hier ein Beispiel: Kohlekraftwerke dürfen bis 2038 legal betrieben werden. Wenn aber nun die neue Regierung einen Ausstieg bis 2030 umsetzen wolle, müsse es auch klare Rahmenbedingungen für die Versicherungswirtschaft geben. Denn dann stelle sich einfach die Frage, ob man diese Kraftwerke noch versichern könne/dürfe und wenn ja, mit welchen Folgen.
Der R+V-Chef sieht sich und sein Haus hier in erster Linie als „Lösungspartner“ für Kunden zum Beispiel aus Aluminium-, Stahl- und Kohleindustrie. Er ergänzt: „Wir können unsere Kunden nur unterstützen, nachhaltiger zu werden“, damit ihnen und den Versicherern nicht der Boden unter den Füßen weggezogen werde. Auf keinen Fall dürfe der Standort Deutschland durch politische Fehlentscheidungen in Gefahr gebracht werden. „Eine dekarbonisierte Gesellschaft ja, aber bitte keine deindustrialisierte Gesellschaft“, so sein vehementer Appell.
Autor(en): Meris Neininger