Spurhalteassistent, Notbremsassistent oder Abbiegeassistent können Leben retten oder wenigstens schwere Unfälle vermeiden. Doch die vorhandenen Möglichkeiten werden noch zu wenig ausgeschöpft, so jedenfalls die Ansicht der Dekra.
Leistungsfähige Fahrerassistenzsysteme im Lkw können Menschenleben retten. Ihre Verbreitung in der Flotte lässt aber noch zu wünschen übrig; in manchen Bereichen sind außerdem noch technische Weiterentwicklungen nötig. Die Sachverständigenorganisation Dekra fordert Hersteller, Politik, Spediteure und Fahrer auf, das Sicherheitspotenzial von Systemen wie Spurhalteassistent, Notbremsassistent oder Abbiegeassistent voll auszuschöpfen.
„Die Entwicklung der Unfallzahlen geht zurzeit in die richtige Richtung, aber wir dürfen in unseren Anstrengungen für die Verkehrssicherheit nicht nachlassen“, sagte Dekra Vorstand Clemens Klinke vor der Eröffnung der IAA Nutzfahrzeuge in Hannover. Immer wieder werden die Unfallsachverständigen des Vereins zu schweren Auffahrunfällen mit Nutzfahrzeugen, gerade am Stauende auf der Autobahn, gerufen. „Die Masse, die ein beladener Lkw mit sich bringt, führt hier naturgemäß zu besonders schweren Unfallfolgen“, so Klinke. „Solche Unfälle können moderne Notbremsassistenzsysteme in vielen Fällen vermeiden oder zumindest die Unfallschwere deutlich verringern.“ Der Notbremsassistent warnt den Fahrer zunächst rechtzeitig vor der drohenden Kollision mit einem per Radar und/oder Kamera erfassten Hindernis. Wenn der Fahrer nicht reagiert, leitet das System selbsttätig eine Bremsung ein.
Fahrzeuge kommen selbst vor stehendem Hindernis zum Stillstand
Notbremsassistenten sind seit 2015 für die meisten neu zugelassenen Serien-Lkw über acht Tonnen vorgeschrieben; im November 2018 tritt die Ausrüstungspflicht für neu zugelassene serienmäßige Nutzfahrzeuge über 3,5 Tonnen in Kraft. Die Vorschrift verlangt von den Systemen allerdings nur eine bestimmte Verringerung der Geschwindigkeit, zum Beispiel bei pneumatischen Bremsanlagen auf ein stehendes Hindernis eine Reduktion um 20 km/h. Viele der heute verfügbaren Systeme würden allerdings deutlich mehr als diese Vorgabe leisten. „Die Fahrzeuge kommen – je nach Ausgangsgeschwindigkeit – in den meisten Fällen selbst vor einem stehenden Hindernis komplett zum Stillstand und vermeiden die Kollision.“, erklärt Vorstand Klinke.
Erste positive Auswirkungen von Notbremsassistenten auf die Unfallstatistik ließen sich bereits feststellen. Das zeige eine aktuelle Analyse aus dem Verkehrssicherheits-Screening in Baden-Württemberg mit Blick auf Autobahn-Unfälle, bei denen Sattelkraftfahrzeuge Hauptverursacher waren. Danach sei hier zwischen 2015 und 2017 der Anteil der Auffahrunfälle von knapp 61 Prozent auf 54 Prozent gesunken. Waren 2015 noch fast 73 Prozent aller Getöteten und Schwerverletzten bei Auffahrunfällen zu verzeichnen, sank der Anteil bis 2017 auf gut 66 Prozent. Bei den polizeilich geschätzten Sachschäden zeige sich ein ähnliches Bild (2015: 73 Prozent bei Auffahrunfällen, 2017: 63 Prozent).
Leistungsfähigste Notbremssysteme nur als Sonderausstattung verfügbar
Damit die verfügbaren Notbremsassistenten ihr Sicherheitspotenzial noch stärker ausspielen können, müssen sie in der Flotte möglichst weit verbreitet sein. „Wir rufen deshalb die Transportbranche dazu auf, ihre Fahrzeuge mit den besten verfügbaren Notbremssystemen auszurüsten und sich nicht auf die gesetzlichen Mindestanforderungen zu beschränken“, so Klinke. Manche Hersteller bieten serienmäßig Systeme an, die den vorgegebenen Mindeststandard leisten, während die neuesten und leistungsfähigsten Notbremssysteme als Sonderausstattung verfügbar sind. „Wir appellieren deshalb auch an die Nutzfahrzeughersteller, die Sicherheitssysteme der jeweils neuesten Generation als Serienausstattung zu verbauen.“
Das gilt auch für den Abbiegeassistenten, der zurzeit besonders im Zentrum der verkehrspolitischen Diskussion steht. Die Unfälle, bei denen ein abbiegender Lkw-Fahrer einen Radfahrer oder Fußgänger im toten Winkel nicht sehen kann und deshalb erfasst seien zwar verhältnismäßig selten - rund 30 Getöteten pro Jahr in Deutschland. Allerdings hätten diese Unfälle eben fast immer besonders schwerwiegende Folgen.
Einige Nachrüstlösungen in der Praxiserprobung
Aktuell bietet ein Lkw-Hersteller einen Abbiegeassistenten ab Werk an, andere sind in der Entwicklung. Außerdem sind verschiedene Nachrüstlösungen verfügbar. Sie alle überwachen den toten Winkel neben dem Lkw, den der Fahrer weder direkt noch über Spiegel einsehen kann, mit Radarsensoren beziehungsweise Kameras und warnen den Fahrer, wenn sich dort jemand aufhält.
Auch für den Gesetzgeber sieht Klinke Handlungsbedarf. Die Regelung in § 5, Absatz 8 der Straßenverkehrsordnung ist aus seiner Sicht problematisch. „Sie erlaubt Rad und Mofa Fahrenden, an Lkw, die zum Beispiel an der Ampel warten, rechts vorbei zu fahren, wenn ausreichend Platz vorhanden ist. Das Problem ist aber: Dieser Platz entsteht überhaupt nur dann, wenn der Lkw sich etwas weiter links einordnet, um nach rechts abbiegen zu können“, erläutert Klinke. „Das heißt, dass ungeschützte Verkehrsteilnehmer durch diese Regelung buchstäblich in eine Falle gelockt werden. Wir fordern seit Jahren, dass dieser Absatz 8 im Interesse der Sicherheit der Radfahrer gestrichen wird.“
Quelle: Dekra
Autor(en): Versicherungsmagazin